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Mehr Demokratie mit dem Internet?

In diesem Staat können die Bürger online wählen

Während wir am 24. September bei der Bundestagswahl entweder unsere Kreuze direkt in der Wahlkabine oder vorher per Briefwahl abgeben, können die Bürger Estlands ganz bequem im Internet ihre Stimme abgeben. Nicht nur bei der Wahl sind uns die Esten voraus, denn die estnische Gesellschaft ist weltweites Vorbild, wenn es um Digitalisierung geht.

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So funktioniert das i-Voting

Als erstes Land auf der Welt führte Estland die Möglichkeit der Internetwahl im Jahr 2005 ein. „i-Voting dauert nur drei Minuten“, heißt es auf der Internetseite e-Estonia. Gewählt werden kann dabei auf der ganzen Welt, wie weit das eigene Wahllokal entfernt ist, spielt dabei keine Rolle. Für die Abstimmung im Internet braucht es nur eine Software, der Bürger identifiziert sich mittels des digitalen Ausweises, den es in Estland seit 2001 gibt. Estnische Bürger haben die Chance, ihre Stimme so oft sie wollen abzugeben und damit auch bis zum Wahltag zu ändern. Am Ende zählt aber nur die zuletzt abgegebene Stimme.

„Das Geheimnis von Estlands Digitalisierungserfolg ist in der digitalen Führung durch den Staat begründet, der dazu ermutigte, dass das Internet zu einem sozialen Recht wurde“, sagt Anna Piperal, Sprecherin von E-Estonia, zu TECHBOOK. Sie selbst sieht sich als „E-Believer“. Die Denkweise in Estland sei so einzigartig, sie der wahre Schlüssel für die schnelle Transformation des Landes – nicht Geld oder die Technologie.

Bei der ersten Wahl im Netz im Jahr 2005 nutzten 1,9 Prozent der Wähler die Möglichkeit, online ihre Stimme abzugeben. Bei den kommunalen Wahlen 2013 wählten bereits 21,2 Prozent über das Internet. Die Wahlbeteiligung insgesamt steigerte sich aber nur geringfügig von 58,2 (2013) Prozent auf 64,2 Prozent (2015).

Dass das Internet auch Risiken birgt, merkte das Land vor zehn Jahren. Damals gelang es Hackern, die Internetangebote der Verwaltung lahmzulegen. Bei dem Vorfall wurden allerdings keine Daten der Bürger gestohlen. Seither schützt sich die Regierung mit Back-up-Servern und verwendet Blockchain-Technologie, wurde anschließend zum Experten für Cybersicherheit. Sowohl die NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (NATO CCD COE) als auch die Europäische IT-Agentur sind in Estland deswegen beheimatet.

Die mangelnde Sicherheit einer Onlinewahl wird von Kritikern immer wieder thematisiert. Befürworter entgegnen allerdings, dass auch eine Briefwahl, die vor allem bei dieser Bundestagswahl von immer mehr Deutschen genutzt wurde, manipulierbar sei, da die Briefe ebenso verschwinden oder gefälscht werden könnten. „Heutzutage haben die Menschen vergessen, dass sie Pioniere sind“, erklärt Piperal. Jeder in Estland könne sicher mit der Technologie umgehen. „Esten sind Pfadfinder und unser Pfad kann andere auf den neuen Weg des Regierens, der Null-Bürokratie und einer fürsorglichen Regierung führen“, ist sich Anna Piperal sicher.

Esten sind Digital Natives

Es liegt wohl auch am digitalen Lebensgefühl, dass die Stimmabgabe per Mausklick in Estland inzwischen Normalität ist. Die Online-Wahl ist nicht die einzige Besonderheit in dem nordischen Land. Auch sonst leben die Esten sehr digital. Schon 1997 hat sich der baltische Staat dazu entschlossen, die Wettbewerbsfähigkeit weltweit zu erhöhen und bürokratische Hürden abzubauen. Lange Wartezeiten im Bürgerbüro gibt es in Estland nicht, denn Verwaltungsangelegenheiten können zu 99 Prozent online gelöst werden.

So gut wie jeder der 1,3 Millionen Esten besitzt einen digitalen Ausweis, mit dem alle Angebote des estnischen e-Services möglich sind. Ärztliche Rezepte, Bankgeschäfte sowie sämtliche Behördenanliegen können online getätigt werden. Die hierzulande von vielen ungeliebte Steuererklärung dauert in Estland nur wenige Mausklicks. Auf der Suche nach einem Empfangssignal gehen die Esten nie. Kostenloses und frei zugängliches WLAN ist nahezu überall empfangbar. Selbst die Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr ist elektronisch und für die Esten kostenlos.

Die Digitalisierung macht Schule. Bücher und veraltete Lehrmaterialien soll es in drei Jahren in keiner Schule mehr geben. „Ein Beispiel für die digitale Wandlung im Bildungssystem ist, dass bis 2020 alle Lernmaterialien in Estland digitalisiert und über eine Online-e-Schultasche verfügbar sind“, wird auf einer Internetseite des Landes erklärt.

 

Deutsche wollen nicht online wählen

An diesem Sonntag stimmen die Deutschen bei der Bundestagswahl ab. Wäre das estnische Wahlkonzept eine Alternative zur Briefwahl oder dem persönlichen Wahlgang? Wohl eher nicht – das legen zumindest die Ergebnisse der „Digital Puls Report“ der Nesta-Stiftung nahe. Die deutschen Bürger bewerten eine Internetwahl skeptisch. In der Gruppe der 55+ würden nur 39 Prozent einer Wahl im Web zustimmen. Bei den 35- bis 54-Jährigen würde immerhin mehr als die Hälfte (51 Prozent) gerne im Internet ihre Stimme abgeben und bei Deutschen im Alter von 18 bis 34 Jahren würden 49 Prozent eine Online-Wahl für gut befinden.

Eine Internetwahl scheint in naher Zukunft nicht nur von der Bevölkerung nicht gewollt, sondern technisch und juristisch auch gar nicht möglich. Versuche, Onlinewahlen auch in anderen Ländern durchzusetzen, hat es immer wieder auch außerhalb Estlands gegeben. Im Ausland lebende Franzosen konnten 2003 und 2012 einen Rat sowie Mitglieder der Nationalversammlung wählen. In Norwegen konnten 2013 insgesamt 250.000 Bürger im Internet abstimmen. Seit 2000 lässt die Schweiz eine bestimmte Zahl an Bürger Online wählen.

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