8. August 2023, 17:49 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Frauen in der Tech-Branche sind nach wie vor in der Minderheit. Das hat vielschichtige Gründe, an denen auch auf mehreren Ebenen bereits gearbeitet wird. TECHBOOK hat dazu mit Rayissa Armata und Arzu Celik-Seidelmann von IDnow über die Herausforderungen und Chancen gesprochen.
Rayissa Armata ist für IDnow als Senior Head of Regulatory Affairs tätig und ist deshalb in diverse Prozesse des Unternehmens rund um die Themen Cybersicherheit und Digitalität integriert. Sie war zudem schon im Bereich internationale Telekommunikation bei den Vereinten Nationen tätig, ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Digitale Identitäten“ von Bitkom und macht sich für Frauen im Technologie-Sektor stark. Arzu Celik-Seidelmann ist hingegen als Head of Acquisition & Employer Branding bei IDnow genau dafür zuständig, junge neue – und auch weibliche – Talente zu finden. Zuvor war sie unter anderem bereits für Unternehmen wie Sage und PayPal tätig. Themen wie Diversität im Allgemeinen und Frauen im Tech-Bereich im Besonderen beschäftigen sie seit Jahren.
TECHBOOK hat mit den beiden über ihren persönlichen Werdegang, ihre Erfahrungen und die Entwicklungen der Branche gesprochen. Wo liegen Potenziale und Chancen? Was hat sich bereits geändert? Und wie muss sich vielleicht auch die Branche künftig noch verändern?
Interview mit Rayissa Armata und Arzu Celik-Seidelmann von IDnow
TECHBOOK: Was ist eigentlich IDnow? Wofür steht das Unternehmen und wo liegt der Fokus?
Rayissa Armata: IDnow ist ein Softwareunternehmen. Wir stellen verschiedene Produkte zur digitalen Identitätsprüfung als Plattform zur Verfügung. Unsere Produkte unterliegen strengen Regulierungen und müssen technische Standards erfüllen; unsere Kunden sind beispielsweise Banken, die IDnow nutzen, wenn etwa jemand ein neues Konto bei ihnen eröffnen möchte.
Wir orientieren uns zum Beispiel an den Geldwäschegesetzen für verschiedene europäische Länder, in denen wir unsere Produkte anbieten. Die Prozesse sind ziemlich streng reguliert. Es gibt eine Menge Zertifizierungen und technische Standards, an die wir uns anpassen müssen.
Diesbezüglich passiert im Moment einiges und dann auch noch immer schneller, gerade im Bereich Sicherheit. Die aktuellen Fortschritte im Bereich KI lassen etwa Betrugsmaschen noch echter aussehen. Was sind die größten Herausforderungen für ein Unternehmen wie IDnow in der heutigen Zeit?
Das stimmt, Identitätsbetrug nimmt sehr viele verschiedene Formen an. Wir sind hier Experten und haben ein entsprechendes Team, das sich jeden Tag mit solchen Fällen befasst. Das reicht von gefälschten Ausweisen über das Ausnutzen optischer Ähnlichkeiten bis hin zu ganz anderen vielfältigen Maschen.
Mithilfe von KI werden diese Betrüger immer geschickter. Sie befassen sich jetzt mit Deep Fakes und ganz verschiedenen Video Injection Attacks, mit denen ganze Videos verfälscht werden können. Deswegen ist es wichtig, dass unsere Produkte das richtige Sicherheitsniveau bieten.
Arbeitet ihr auch selbst mit KI, um solche Fälle zu erkennen, oder wie funktioniert das?
Ja, unsere Prozesse benutzen auch KI, um die Datei eines Identitätsdokuments zu analysieren. KI hilft uns dabei, die Fälschungen zu entdecken. Besonders jetzt in den letzten Monaten gab es gehäuft Berichte über KI und wie gefährlich das sein kann. Und man kann natürlich KI auch für schlechte Zwecke nutzen.
Deshalb befasst sich auch die EU ganz aktuell damit und hat etwa den AI Act verabschiedet. Damit will man die richtigen Applikationen für KI darstellen, damit bei der Nutzung Personen und ihre Daten gut geschützt sind. Da gibt es strenge Regulierungen.
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Wie ist es heute als Frau in der Technik-Branche?
Kommen wir zu schöneren Themen als Betrug und Regulierung, nämlich zu euren persönlichen Werdegängen. Wie seid ihr dort gelandet, wo ihr heute seid?
Arzu Celik-Seidelmann: Ich bin im Bereich Talentakquisition tätig, mache das seit über 15 Jahren und bin vor zehn Jahren in die IT-Branche gewechselt. Das hat sich einfach so ergeben. Ich wollte sehr gerne in einem internationalen Umfeld arbeiten. Und da ist nach wie vor die IT-Branche am stärksten vertreten.
Mich hat es sehr gereizt, mit verschiedenen Nationalitäten zu arbeiten, aber auch in verschiedenen Ländern zu rekrutieren. Diese Möglichkeiten habe ich in der IT-Branche. Dabei war es sehr spannend, von einem doch eher weiblich dominierten Umfeld im Recruiting in ein sehr männlich dominiertes Umfeld in der IT zu kommen. Vor dem Wechsel habe ich das gar nicht so deutlich wahrgenommen, weil ich eben zu der dominierenden Mehrheit gehört habe.
Als ich dann in der Minderheit war, dachte ich mir: „Aha, okay – warum ist das eigentlich so?“ Und da fing für mich dann diese Reise an. Warum gibt es in der IT-Branche so wenige Frauen? Gibt es sie tatsächlich nicht oder haben wir nicht die richtigen Methoden, um sie zu finden und für uns zu gewinnen?
Hast du denn schon Antworten auf diese Fragen gefunden?
Arzu: Da gibt es, glaube ich, keine spezifische Antwort, es ist ein Puzzle aus verschiedenen Elementen. Ich glaube schon, dass es zum einen viele Frauen in IT Berufen gibt; sie sind nicht immer so sichtbar gewesen. Weiterhin muss man das Arbeitsumfeld näher betrachten und bewerten, wie attraktiv es für diese Zielgruppe ist.
Es ist aber tatsächlich auch bewiesen, dass man mit dezidierter Sprache auch verschiedene Zielgruppen ansprechen kann. Also je nachdem, wie eine Jobbeschreibung aufgesetzt ist, kann sie eine Frau ansprechen oder eben nicht. Das ist zum Beispiel eine Stellschraube, an der man sehr einfach drehen kann, um mehr Kandidatinnen in den Bewerbungsprozess zu bekommen.
Eine andere Möglichkeit ist natürlich, in die Pipelines und Shortlists gezielt diverse Kandidatinnen aufzunehmen. Es gibt ja einen akuten Personalmangel im IT-Bereich, dem man so auch gezielt entgegenwirken kann. Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, sondern auch für Personen mit anderen Nationalitäten. Es ist wichtig, schon im ersten Schritt Menschen mit verschiedenen Kulturen und Nationalitäten anzusprechen.
Rayissa, wie war dein Weg in die Branche?
In meinem Studium habe ich mich in erster Linie für Politikwissenschaft und besonders für Regierungsbeziehungen interessiert. Über ein besonderes Programm konnte ich mich auf diese Thematik sowohl im wissenschaftlichen als auch technologischen Bereich spezialisieren; da gibt es starke Zusammenhänge. Im Rahmen dieses Programms bin ich außerdem direkt bei den Vereinten Nationen (UN) in Genf gelandet.
Zuerst habe ich dort im Telekommunikationsbereich mit Schwerpunkt Satellitenkommunikation gearbeitet. Von dort aus habe ich mich dann tatsächlich gezielt weiterentwickelt, auch aus persönlichem Interesse. Mir war außerdem immer wichtig, für eine internationale Firma zu arbeiten, die da breit aufgestellt ist.
Tech-Sektor bietet viele Vorteile
Ihr habt ja beide das Thema Internationalität und seine Wichtigkeit für die Technikwelt angesprochen. Gibt es weitere Aspekte, die euch am Techniksektor besonders gefallen?
Arzu: Was mich an der Technik- beziehungsweise der IT-Branche am meisten reizt, ist die Innovation. Dem Bereich kommt da schon immer eine Vorreiterrolle zu, auch in der Art und Weise, wie wir arbeiten, wie wir Dinge neu entdecken. Ich finde, dass man sich hier mehr als in jedem anderen Sektor Arbeitsweisen abschauen und persönlich entwickeln kann.
Rayissa: Dem stimme ich in jedem Fall zu. Und ich würde außerdem sagen, dass es wirklich toll ist, diese internen Innovationen dann auch nach außen zu tragen. In unserem Fall arbeiten wir mit verschiedensten internationalen Organisationen zusammen, die dann wiederum auch etwa mit Regierungen zusammenarbeiten, technische Standards entwickeln, um zu zeigen, was Technologie eigentlich kann. Und das finde ich wahnsinnig interessant.
Was wärt ihr geworden, wenn ihr nicht in diesem Bereich tätig wärt? Gibt es irgendetwas anderes, was euch interessiert hätte?
Rayissa: Außendienst, also sehr verwandt. (lacht)
Arzu: Ich mag meinen Beruf total gerne, obwohl ich ja, im Gegensatz zu Rayissa, hier eher ungeplant gelandet bin. Wenn ich nochmal neu anfangen könnte, könnte ich mir aber auch vorstellen, Pilotin zu werden. Das war früher immer mein Traum.
Ist die Tech-Branche wirklich noch eine Männerdomäne?
Ihr habt es beide bereits mehrfach angesprochen: Die Technikwelt ist immer noch eine Männerdomäne, vor allem auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Erlebt ihr das auch tatsächlich so in eurem Alltag?
Arzu: Teilweise ja, es ist aber auch schon besser geworden. Gerade bei IDnow stehen wir, was das angeht, eigentlich ganz gut da. Mit 35 Prozent haben wir einen großen Frauenanteil, der auch über dem Durchschnitt der IT-Branche in Deutschland liegt.
Es sind aber eben 35 Prozent und nicht 50 Prozent. Also ist auf jeden Fall noch Potenzial da. Aber es wird besser, besonders in den vergangenen Jahren ist viel passiert. Es gibt etwa viel mehr Frauennetzwerke in der IT-Branche, an denen man sich orientieren kann. Es gibt viel mehr weibliche Vorbilder für die junge Generation. Und dadurch, dass die jetzige Generation mit der digitalen Welt aufwächst, ist die Sensibilisierung natürlich eine ganz andere. Es wird von vornherein ein natürliches Interesse geweckt. Deshalb bin ich insgesamt sehr positiv bei dem Thema.
Rayissa: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Es verbessert sich, weil wir in einer digitalen Welt leben. Das Thema ist den meisten nicht mehr so fremd wie vor 15 oder 30 Jahren. Ich habe inzwischen viele Frauen in meinem Bereich und ich persönlich habe das Glück gehabt, schon früh weibliche Vorbilder zu haben, die mich inspiriert haben – genauso wie Männer.
Ein Baustein ist auch, dass man jetzt schon in der Grundschule beginnt, Themen wie Wissenschaft und Technologie zu integrieren und sie dabei nutzerfreundlich und familiär zu gestalten. Das ist sehr wichtig für junge Mädchen, die da ein Interesse haben oder auch einfach gut in Mathe oder den technischen Fächern sind.
Weibliche Vorbilder erfüllen eine wichtige Funktion
Wer waren denn zum Beispiel eure Vorbilder und was hat euch sonst persönlich weitergebracht?
Rayissa: Als ich in Washington D.C. gearbeitet habe, hatte ich eine Chefin, bei der ich klar sehen konnte, wie sie in einer männerdominierten Welt gearbeitet hat und was sie dabei alles geleistet hat. Sie war Expertin auf ihrem Gebiet der Satellitenkommunikation und wurde dafür respektiert und stach heraus – nicht, weil sie eine Frau war.
Arzu: Bei mir war es gar nicht so sehr eine bestimmte Person. Aufgrund meines Berufs komme ich mit vielen Menschen in Kontakt und hatte dann in der IT-Firma, in der ich gestartet bin, das Glück, auf diesem Wege einen Stammtisch gründen zu können, über den ganz spannende Synergien entstanden sind, auch dazu, wie man mehr Frauen in die Branche bekommen kann.
Das hat mich persönlich weitergebracht und es hat mir dabei geholfen, bessere Entscheidungen zu treffen, indem ich etwa auch die Hiring Manager mit denen ich arbeite, auch mal challenge.
Mit diesen Personen konnte ich dann auch neue Wege beschreiten und gezielt auf Veranstaltungen gehen, um Absolventinnen anzusprechen. Wir haben auch dafür gekämpft, nicht nur Senior-Stellen mit entsprechend erfahrenen Leuten zu besetzen, sondern auch Berufseinsteigern und Einsteigerinnen eine Chance zu geben und sie in einem Mentoring-Programm zu begleiten. Das waren für mich ganz entscheidende Motivatoren.
Diese Networking- und Organisationsprogramme empfiehlt Arzu Celik-Seitelmann:
Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen dem deutschen Markt und der internationalen Konkurrenz?
Arzu: Ich würde sagen, dass es nicht signifikant anders ist – die nordischen Länder etwas ausgenommen, die sind in ihrer Entwicklung wirklich ein Stück weiter. Das hat aber nicht nur mit den Unternehmen hier zu tun, sondern hat auch soziopolitische Gründe.
In diesen Ländern gibt es etwa bessere Betreuungsmöglichkeiten für Familien, sowohl für die Väter als auch für die Mütter, was es beiden Elternteilen ermöglicht, besser beziehungsweise anders ins Berufsleben zurückzukehren. Ich glaube, dass wir in Deutschland diesbezüglich noch sehr viel Aufholbedarf haben und uns da noch einige Talente durch die Lappen gehen.
Gerade auch im IT-Sektor werden händeringend Fachkräfte gesucht. Liegt da nicht auch noch ein großes ungenutztes Potenzial, das wir abrufen könnten, wenn wir mehr Frauen in diesen Bereich bringen?
Arzu: Auf jeden Fall. Was ich beispielsweise aus vielen Gesprächen mit Kandidatinnen mitnehme, ist, dass sich viele für den Freelancer-Bereich entscheiden. Der Knackpunkt dabei ist die Flexibilität. Diese Frauen möchten nicht fünf Tage die Woche von acht bis 18 Uhr erreichbar sein. Ich persönlich glaube, dass Unternehmen bei Fachkräften schon viel gewinnen, wenn sie eine zeitliche Flexibilität anbieten.
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Tipps für den Einstieg in den Tech-Bereich
Hättet ihr abschließend Tipps für Frauen, die in der Technikwelt Fuß fassen wollen? Wie sollte man sich in Bewerbungsgesprächen geben und wie geht man mit einem Team um, in dem größtenteils Männer sind?
Rayissa: Man sollte immer bei sich bleiben und das, was man kennt und kann, die eigene Expertise, ins Zentrum stellen. Für mich persönlich war es auch immer gut und wichtig, ein Netzwerk aufzubauen und zu kommunizieren. Wie Arzu bereits gesagt hat, gibt es inzwischen viele Organisationen, über die Frauen Social Networking betreiben können. So kommt man auch mit Personen aus den verschiedensten Bereichen in Kontakt. Das ist wichtig, um die Prozesse im eigenen Unternehmen und darüber hinaus zu verstehen. Außerdem ist es immer positiv, sich entsprechend einzubringen; damit kann man am Ende nur gewinnen.
Arzu: Dem kann ich nur zustimmen. Was ich aber noch hinzufügen möchte, ist Folgendes: Frauen lesen eine Stellenanzeige oft sehr sorgfältig und sagen dann aufgrund weniger Punkte, dass der Job nicht passend ist oder sie nicht die Anforderungen erfüllen.
Meiner Erfahrung nach sollte man sich trotzdem einfach bewerben, wenn einen der Job interessiert. Im Zweifel kann man ja auch aus einem Gespräch schon sehr viel mitnehmen. Mit genau diesem Mindset sollte man auch in ein Vorstellungsgespräch gehen. Man sollte sich eher fragen, ob Job und Arbeitgeber zu einem passen und nicht, ob man wirklich alle aufgelisteten Anforderungen erfüllt. .
Idealerweise würde ich außerdem empfehlen, sich einen Mentor oder eine Mentorin zu suchen. Dafür gibt es unterschiedliche Programme, teilweise auch kostenlos. Das hilft einem auch zusätzlich, an seinem Mindset zu arbeiten und selbstbewusster zu werden.
Hinweis: Dieses Interview ist im Rahmen der Women-in-Tech-Reihe von TECHBOOK erschienen.