4. Oktober 2024, 15:59 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Nacktheit oder Sexszenen schockieren wohl kaum noch jemanden. Doch tatsächlich scheinen erotische Darstellungen in Filmen nicht bloß für viele langweilig oder überflüssig geworden zu sein, sondern richtiggehend störend – mit entsprechenden Konsequenzen. Eine Studie hat sich genauer damit befasst, wie nicht zuletzt Streaming zu dieser Entwicklung beigetragen hat. TECHBOOK hat sie sich angesehen.
War es bei Ihnen auch so? Wenn man als Kind noch mit den Eltern vor dem Fernseher gesessen hat und eine Sexszene anfing, da empfanden das wohl alle Anwesenden als unangenehm. Früher war es gang und gäbe, dass Frauen im Film ihre Brüste entblößten oder es zwischen den Darstellern gar richtig zur Sache ging. Nun kommt es Ihnen vielleicht nicht so vor – immerhin sind Sexszenen nach wie vor Bestandteil verschiedener Filme und Serien. Insgesamt ist der Anteil speziell in Filmen aber rückläufig, wie eine aktuelle Untersuchung belegen will. Und dafür gibt es offenbar Gründe.
Übersicht
Rund 40 Prozent weniger weniger Sexszenen in Filmen
Filmexperte und Analyst Stephen Follows hat zusammen mit einem Team im Auftrag der Wochenzeitung „The Economist“ untersucht, ob ein Rückgang an sexuellen Inhalten in Filmen zu verzeichnen ist. Follows selbst komme es schon längst so vor, als würden erotische Thriller, wie es sie in den 1980er-Jahren zuhauf gab, langsam aber sicher aussterben. Nun also hat er seinen Eindruck überprüft. Und hierbei habe sich gezeigt, dass der Anteil von Nacktheit und Sexszenen im Vergleich zu früheren Filmen um rund 40 Prozent abgenommen hat. „Tauglicher“ für ein jüngeres Publikum macht das moderne Filme aber nicht automatisch. Denn der Analyse zufolge haben sich Darstellungen von Gewalt und Drogenkonsum sowie vulgäre Sprache in Filmen nicht reduziert.
Vorgehen bei der Untersuchung
„Wir haben uns die 250 umsatzstärksten Filme (eines jeden Jahres, Anm. d. Red.) seit dem Jahr 2000 angesehen und den Grad des sexuellen Inhalts anhand von Signalen von Filmbewertungsstellen und Filmdatenbanken verfolgt“, schreibt er dazu auf seiner Website. Dabei seien Informationen aus verschiedenen Quellen berücksichtigt worden, darunter IMDb, Wikipedia, Commen Sense Media und mehr. Follows fügt hinzu, dass er bei der Bewertung seine eigenen Maßstäbe für die Qualifikation als „Sexszene“ angesetzt hat. Szenen, die sexuelle Gewalt bzw. Vergewaltigung beinhalteten, schloss er aus der Analyse aus.
Mögliche Gründe für die Entwicklung
Filme ohne Sexszenen sind der Untersuchung nach belegbar erfolgreicher. Und das lässt sich offenbar sehr einfach erklären. „Der wichtigste Grund für den Rückgang sexueller Inhalte ist die steigende Zahl von Filmen, die darauf verzichten“, so Follows. Heißt: Es gebe schlichtweg mehr sexfreie Filme – klar also, dass diese auch mehr angesehen werden.
Stellt sich immer noch die Frage nach dem Warum für die Entwicklung. Hierfür liefert der Analyst sieben Erklärungsansätze.
1. Veränderter Geschmack des Publikums
Stephen Follows hat im Rahmen der Studie betrachtet, von wem zwischen den Jahren 2000 und 2021 die meisten Filme geschaut wurden und welche Genres sich dabei als besonders beliebt hervorgetan haben. Aus den Daten schließt er, dass insbesondere jüngere Generationen „weniger Interesse an Darstellungen von Sexualität“ haben. Vielmehr scheinen bei ihnen Inhalte hoch im Kurs zu sein, die ohne Sexuelles auskommen oder es zumindest sehr subtil behandeln.
Dies wird von Erkenntnissen einer Studie der Universität von Los Angeles aus dem Jahr 2023 bestätigt. Hier kam heraus, dass die sogenannte Gen Z (= zwischen 1995 und 2010 Geborene) platonische Inhalte z. B. zu Freundschaften gegenüber Sexszenen in Filmen deutlich bevorzugen.
2. Verschiebung der kulturellen Normen
Stephen Follows vermutet weiter, dass aufgrund der gesellschaftlich immer lauter werdenden Diskussionen zu Themen wie Geschlechterdarstellung und Einvernehmlichkeit beim Sex Produzenten und Filmemacher vorsichtiger geworden sind. Aus Angst davor, dass ihre Umsetzung von Sexszenen in Filmen zu Kontroversen führen könnte.
3. Berücksichtigung des weltweiten Markts
Wie der Filmexperte erklärt, lassen Filme zumeist dann die Kinokassen klingeln, wenn deren Handlung sich mit den Normen verschiedener Kulturen vereinbaren lassen. „Explizite Sexszenen können zu einer restriktiveren Altersfreigabe oder Zensur führen“, so Follows, wodurch logischerweise die Reichweite von Filmen schrumpfen könnte.
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4. Das Zeitalter des Streaming
Auch die Beliebtheit von Streaming-Diensten dürfte demnach seinen Teil zum Rückgang von Sexszenen in Filmen beigetragen haben. Zwar gebe es bis heute „Nischenproduktionen“, in denen Sex mitunter sehr plastisch dargestellt wird. Ebenso in Serien werde die Nachfrage nach Erotik bedient. Doch im Großen und Ganzen haben laut Follows Plattformen wie Netflix und Co. „maßgeschneiderte Seherlebnisse“ auf den Weg gebracht, und darin wird auf das offenbar nachlassende Interesse an sexuellen Inhalten reagiert.
5. Überholte Stereotypen
Laut dem Analysten könnte die Entwicklung auch mit einer allgemeinen Abkehr von Stereotypen zusammenhängen. Sexszenen in Filmen trugen jeher eine männliche Handschrift, erklärt er. Sie seien oft objektivierend gewesen, was nicht zuletzt mit den „traditionell männlichen Genres“, in denen sie vorkamen (demnach Thriller und Actionfilme), zusammenhängen dürfte. In neueren Filmen gebe es Darstellungen von Sex also womöglich weiterhin, sie stellten sich aber anders dar.
6. Allgemeine Verfügbarkeit sexueller Inhalte
Auch sei es so, dass Sexdarstellungen in Filmen nicht mehr wirklich nötig seien. „Mit der Allgegenwart von Internetpornografie haben Zuschauer, die explizite sexuelle Inhalte suchen, eine Fülle von Möglichkeiten, die online leicht verfügbar sind“, bringt es der Experte auf den Punkt. Deswegen zieht die Aussicht auf knisternde Szenen wohl nicht mehr. Dann kann man sie auch ganz weglassen.
7. Der Vormarsch der Intimitätskoordinatoren
Immer öfter werden sogenannte Intimitätskoordinatoren bei Film- und TV-Produktionen sowie im Theater eingesetzt, um bei der Umsetzung sexueller Inhalte zu unterstützen. Ihr Mitwirken soll gewährleisten, dass Sexszenen für keinen der Beteiligten unangenehm wird, es also nicht etwa zu Belästigung oder Übergriffigkeit kommt. Follows hält es für möglich, dass Filmemacher nach Möglichkeit auf den Einsatzbereich von Intimitätskoordinatoren verzichten, sprich auf Sexszenen in Filmen, die für die Handlung nicht wesentlich sind.
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Wenn Sex, dann voll auf die 12
Die Sexszenen, die es noch gibt, sind dafür umso tabuloser. Der „The Economist“-Beitrag erinnert an eine Szene im Film Saltburn (2023), in dem Hauptdarsteller Barry Keoghan sichtbar Oral-Sex mit einer menstruierenden Partnerin hat. Auch die Oscar-prämierte Fantasy-Komödie „Poor Things“ zählt dazu, in der Hauptdarstellerin Emma Stone als Bella ihren überbordenden Gefallen an Sex in zahlreichen, sehr expliziten Szenen auslebt. Dagegen sind die im gleichen Jahr erschienen Filme „Joy Ride“ oder „No Hard Feelings“ – darin zeigen sich jeweils weibliche Darstellerinnen vollständig nackt – Peanuts und somit auch mit FSK 12 versehen.