23. Dezember 2020, 7:45 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wir lieben Serien von Netflix, Amazon Prime Video und Co. – aber was macht sie eigentlich so besonders gut? Auf der Suche nach einer Antwort begegnet einem immer wieder eine Schlüsselfigur: der Showrunner. Was der so macht und was man sich darunter vorstellen kann, haben wir uns einmal genauer angeschaut.
Seitdem Amazon und Netflix fast zeitgleich 2014 auch in Deutschland mit ihren Streaming-Diensten an den Start gingen, haben sich nicht nur unserer Sehgewohnheiten radikal verändert, sondern auch das Business, das eben solche Inhalte produziert. Serienmacher und auch Schauspieler mussten sich umstellen. Zu den radikalsten Zeichen des Wandels gehört wohl auch der Job des Showrunners. Ein Begriff, den jeder von uns wohl schon mal gehört hat.
Aber was zum Teufel macht so ein Showrunner eigentlich?
Die kurze Antwort ist: alles. Im Detail sieht das Ganze aber etwas komplizierter aus. Am besten fragen wir mal diejenigen, die eben Serien machen und diesen Titel – zumindest auf dem Papier – allzuoft tragen. Das Prinzip ist in den USA bereits viel geläufiger als hierzulande, wird aber auch bei uns immer wichtiger. „In Deutschland gibt es kaum Beispiele, wo es einen richtigen Showrunner mal gab. Der echte Showrunner ist für mich jemand, der schreibt, Regie führt, der Executive Producer ist und auch eine finanzielle Verantwortung hat“, erklärt Oliver Kienle.
Der Drehbuchautor und Regisseur hat zum Beispiel die ZDF-Serie „Bad Banks“ über das Frankfurter Finanzviertel entwickelt und für Netflix „Isi und Ossi“ produziert. „In Deutschland ist das immer noch ziemlich klar getrennt, es ist selten, dass jemand alles macht. Aber es ist gut, dass man das so langsam verinnerlicht“, findet er. Auch weil es ein zeitgemäßeres Betrachten davon sei, wie Serien heutzutage eben entstehen: „Ich glaube an eine zentrale Kraft. Eine Geschichte hat einen klaren Erzähler und nicht drei. Deswegen hat sich das Showrunner-Konzept gerade bei Serien durchgesetzt. Weil dadurch Kontinuität entsteht.“
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Im Prinzip ist der oder die Showrunner*in ein Bindeglied zwischen allen an der Produktion beteiligten Ebenen – er oder sie kennt sich aus, hat Einblicke in alles, managt, organisiert und weiß auch über das Budget Bescheid – ziemlich viel Verantwortung also. Er oder sie plant Abläufe und ist kreativ involviert. Das kann spannend und abwechslungsreich sein, aber auch ziemlich stressig.
Davon kann auch „Skylines“-Showrunner Dennis Schanz berichten, wie er in einem Gastbeitrag für das Branchenmagazin „Blickpunkt: Film“ erzählt. Er wäre zum Beispiel gerne häufiger am Set selbst gewesen, als die Serie gedreht wurde. Oft musste er aber noch Bücher anpassen und generell immer dort sein, wo es gerade am meisten brannte. Ein Showrunner ist eben ein Mädchen für alles und muss auch flexibel sein.
Fakt ist: Es gibt keine offizielle Ausbildung zum Showrunner
– wenngleich die Writers Guild of America, der Gewerkschaft der Film- und Drehbuchautoren, ein Trainingsprogramm anbietet, mit allem, was man für den Job auf dem Kasten haben sollte. Durchgesetzt hat sich das Konzept dank „Game of Thrones“-Haussender HBO. Der wollte nämlich in den 90ern verstärkt auf Eigenproduktionen setzen. Also genau das, was Netflix und Co. heute tun.
Das Problem: HBO hatte wenig Erfahrung in diesem Bereich. Die Showrunner hatten freie Hand und sollten die Serien bestmöglich umsetzen – nach ihren Vorstellungen. So wollte sich HBO möglichst kreative Köpfe sichern und anlocken. Und es gab noch einen Vorteil: HBO selbst musste sich nicht ganz so stark mit den komplizierten Produktionsabläufen im Filmbusiness auseinandersetzen. Das Prinzip gab es vorher zwar auch schon, hat sich aber erst zu diesem Zeitpunkt richtig durchgesetzt.
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Und wie schaut das in der Praxis aus?
Sehr unterschiedlich. In Deutschland sind viele Regisseure und Produzenten noch die alten Hierarchien gewöhnt – das hat ja auch jahrelang bestens funktioniert. Etwas von seinem Einfluss auf das Endprodukt abzugeben, würde wahrscheinlich jedem von uns schwerfallen, der sich schon mal an etwas Kreativem ausprobiert hat. Jeder hat seine Vorstellungen. Das aber vor allem in heutzutage höchst flexiblen Produktionsabläufen, bei denen das Skript im Writers Room teilweise parallel zu den Dreharbeiten entsteht, um möglichst aktuelle Strömungen in eine Serie oder einen Film mit einfließen zu lassen, kann ein Showrunner eine sehr sinnvolle Sache sein – weil er das große Ganze im Kopf hat.
Manchmal ist ein Showrunner auch eher Drehbuchautor und Regisseur in einem, so wie etwa bei Oliver Kienle, als er für Netflix mit „Isi und Ossi“ den ersten deutschen Filmtitel in Eigenproduktion umsetzte. Der „Bad Banks“-Schöpfer findet, dass sich durch das Showrunner-Prinzip nicht nur etwas bei den Streaming-Diensten verändert, sondern auch bei den klassischen TV-Sendern wie ARD, ZDF, ProSieben und RTL.
Zwischen Skepsis und Freiheit
„So eine Serie wie ‚Bad Banks‘ wäre fünf Jahre früher nicht möglich gewesen im klassischen Fernsehen. Ich bin sehr froh, dass es das jetzt gibt. Ich kann dadurch jetzt alles wieder genauso machen, wie ich will“, sagt er. Er findet es super, dass die Branche sich so verändert habe und er so noch beide Optionen offen hat. „Ein Unterschied ist aber, dass ich bei Netflix eine viel größere Entschlossenheit gemerkt habe. Aber da bin ich auch mit einem fertigen Drehbuch angekommen, muss man fairerweise sagen“, erklärt Kienle.
Skylines-Showrunner Dennis Schanz kennt die Skepsis vieler seiner Kollegen, findet aber auch: „Für eine gute Serie braucht es meiner Meinung nach eine direkte Linie von der Grundidee über den Writers Room und die Dreharbeiten bis hin zur Postproduktion.“ Seine Position als Showrunner hat er vor allem mit vielen Freiheiten verbunden und auch als flexibler als bei konventionellen Produktionsabläufen. Als es etwa darum gegangen sei, dass „Skylines““ ein „Netflix Original“ werden könnte, kannte Netflix bereits die Bücher, wollte aber vor allem von ihm wissen, was seine Vision für die Serie sei.
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Die kreative Freiheit in der Umsetzung ermutige viele dazu, sich mal an eher unkonventionellen Stoffen zu versuchen – und gerade das macht dann die Titel von Netflix und Co. vielleicht einen Ticken spannender als frühere Serien.