20. Februar 2023, 11:12 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Streaming ist aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Viele erinnern sich bestimmt noch an den RealPlayer, der heute als Wegbereiter von Netflix, Spotify und Co. gilt. Doch was wurde eigentlich aus dem Programm?
Mal eben das neueste Konzert der Lieblingsband im Livestream verfolgen? Oder am Wochenende die neue Staffel der Lieblingsserie auf Netflix bingen? Heute alles kein Problem mehr, in den Anfängen des Internets sah das allerdings noch anders aus. Das Streaming, also das Übertragen von Medien von einem Rechner auf einen anderen Rechner in Echtzeit, ist technisch bereits seit Mitte der 1970er Jahre möglich. Einen ersten Streaming-Standard definiert Mitte der 1990er Jahre der RealPlayer, die Mutter aller Streaming-Dienste.
Als im Jahr 1974 das erste Mal digitalisierte Sprache über einen Computer auf einen anderen Computer übertragen wurde, hieß das Internet noch ARPANET. Die Abkürzung steht für Advanced Research Projects Agency Network. Seit dieser Zeit träumten Entwickler davon, Musik, Filme, Konzerte oder andere Veranstaltungen in Echtzeit über eine Datenleitung zu übertragen.
Erst Ende der 1980er Jahre kommen die ersten Computer auf den Markt, die leistungsfähig genug wären, um Streams zu empfangen. Allerdings reicht die verfügbare Bandbreite zu dieser Zeit noch nicht aus, um eine stabile Übertragung von Medien hinzubekommen.
Radio auf dem Computer?
Robert Glaser arbeitet ab 1983 bei Microsoft. Der studierte Informatiker liebt Radio. Als Teenager hat er sich um den Aufbau eines schuleigenen Senders an seiner Highschool gekümmert. 1993 erfährt er vom Mosaic-Browser, dem ersten Internetbrowser, der Grafiken und andere interaktive Elemente anzeigen kann. Daraufhin kündigt Robert Glaser bei Microsoft und widmet sich seiner neuen Leidenschaft. Anfang 1994 gründet Robert Glaser das IT-Unternehmen Progressive Networks. Es dauert etwas mehr als ein Jahr, dann bringt das Unternehmen sein erstes Produkt auf den Markt: Den Real Audio Player.
Mit der kostenlosen Software kann auf einem Computer Musik gestreamt und angehört werden. Das Real-Audio-Format macht es möglich, trotz der unterirdisch langsamen Modem-Übertragung von 14,4 Kilobit pro Sekunde oder 0,0000144 Gigabit pro Sekunde. Ein heutiger Internet-Anschluss schafft bis zu 1 Gigabit pro Sekunde. Auch die Tonqualität lässt deutlich zu wünschen übrig. Allerdings herrscht große Freude darüber, überhaupt Medien per Streaming übertragen und empfangen zu können.
Erster Livestream per RealPlayer
Von diesem ersten Streaming-Meilenstein angespornt, entwickelt Progressive Networks den RealPlayer weiter. Tatsächlich gelingt es im September 1995 das Baseball-Spiel der Seattle Mariners gegen die New York Yankees per Live-Stream über das noch junge Internet zu übertragen. Kurz vor Spielende bricht der Stream zwar ab, dennoch ist die Resonanz in der Computerwelt gewaltig.
Fortan gilt der RealPlayer als das Maß aller Dinge in Sachen Streaming. Weder Microsoft noch Apple haben zu diesem Zeitpunkt ein ähnliches Produkt auf dem Markt. Im Jahr 1997 veröffentlicht Progressive Networks das Real-Video-Format. Aufgrund der hohen Datenkomprimierung ist es nun möglich die damals sehr beliebten Musikvideos per Stream zu übertragen. Auch wenn die Qualität noch nicht an die Videos auf MTV heranreicht, erfreuen sich Musikfreunde auf der ganzen Welt am Streaming-Genuss per Real Player.
Inzwischen hat Robert Glaser den Namen seines Unternehmens in Real Networks geändert. Im November 1997 geht Real Networks sogar an die US-Börse Wall Street. Der Siegeszug des RealPlayers scheint ungebrochen weiterzugehen. Allerdings taucht am Horizont bereits die große Konkurrenz in Form von Microsoft auf.
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Dotcom-Blase, Windows 98, Flash
Mit Windows 98 erscheint auch eine völlig überarbeitete Version des Media Players. Zu diesem Zeitpunkt liegen noch etwa 85 Prozent der online verfügbaren Medien im Real-Format vor. Durch die massive Verbreitung von Windows 98 und damit auch des vorinstallierten Media Players ändern sich allerdings bald die Kräfteverhältnisse.
Inzwischen kommen Gerüchte auf, der RealPlayer verfüge über sogenannte Spyware. Dabei handelt es sich um ein Tool, welches ungefragt Informationen sammelt und diese an den Hersteller sendet. So soll der RealPlayer mitgehört haben, welche Musik auf dem Rechner eines Benutzers gespielt worden ist. Die Musiktitel habe die Spyware anschließend an Real Networks übermittelt. Das sorgte damals für mächtig Ärger. Heute in Zeiten von Google und Facebook wäre so ein „Skandal“ vermutlich nicht einmal eine Meldung wert. Real Networks versucht gegen das negative Image und die aufkommende Konkurrenz durch exklusive Premium-Angebote anzukämpfen, beispielsweise mit Videos von CBS, der BBC, Al Jazeera und Ministry of Sound. Der Stern des RealPlayers beginnt dennoch zu sinken. Die erste Internet-Krise im Jahr 2000, die Dotcom-Blase, beschleunigt den Abstieg von Real Networks.
Inzwischen setzen Online-Medien zudem beim Streaming vermehrt auf das Flash-Format von Macromedia. Auf dieses Format vertraut im Jahr 2005 auch ein damals neu gegründetes Videoportal namens YouTube. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gerät der RealPlayer endgültig in Vergessenheit. Tot sind die Software und das dazugehörige Real-Format allerdings nicht. Vielleicht ist es sogar ein Witz der Geschichte, denn inzwischen lassen sich mit dem RealPlayer YouTube-Videos auf den eigenen Rechner herunterladen. Zumindest eine kleine Genugtuung für den Streaming-Pionier.