24. September 2024, 17:44 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Man begleitet eine Serie und ihre Charaktere viele Jahre – nur um sich dann in einem „verkorksten“ Finale von ihnen verabschieden zu müssen. Berühmte Beispiele dafür sind „Game of Thrones“, „How I Met Your Mother“, „True Blood“ oder auch „Supernatural“. Für viele gibt es aber eine Serie, die dem ganzen die Krone aufgesetzt hat: „Lost“.
Die Fernsehserie „Lost“ gilt als eine der erfolgreichsten und dennoch umstrittensten Serien aller Zeiten. Grund für Letzteres ist vor allem das Ende. Viele Fans waren mit dem Ausgang des Geschehens nicht zufrieden und empfanden die Erklärung als zu simpel. Seitdem gilt „Lost“ auch als Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn den Machern ihre eigene Geschichte entgleitet. Seit der Ausstrahlung der finalen Folgen im Jahr 2010 äußern sich die Showrunner Damon Lindelof und Carlton Cuse immer wieder zum Ausgang der Serie. Eigentlich schwebte den beiden nämlich ein ganz anderes Ende für „Lost“ vor.
„Lost“ ist bis heute ein Phänomen
In der Serie „Lost“ muss eine Gruppe Überlebender nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel schnell feststellen, dass allerlei Unheimliches um sie herum geschieht – also noch viel Unheimlicheres als ein Flugzeugsturz. Die Mystery-Serie lief von 2004 bis 2010 und kommt insgesamt auf 121 Episoden.
„Lost“ löste damals einen seltenen Hype aus und revolutionierte rückblickend die TV-Serien-Landschaft nachhaltig. Nicht nur, dass es eine der ersten Produktionen war, die auf das typische episodische Erzählen à la „Case of the Week“ verzichtete und stattdessen auf eine größer angelegte Erzählung setzte. Diese Erzählung umfasst zudem mehrere komplex miteinander verwobenen Zeitstränge, die neben der Gegenwart sowohl Rück- als auch Vorausblenden und später auch alternative Realitäten zeigt. Hinzu kommt die generelle technische Entwicklung in diesem Bereich, die für „Lost“ zeitlich ausgesprochen günstig stattfand.
Dazu kommt die über weite Strecken faszinierende Handlung und die Zeit, die sich die Serie für ihre Charaktere nimmt. Deren Entwicklung ist für viele Fans das Herzstück der Serie. Viele sagen heute, dass „Lost“ mit seinem Ende dann an viel zu hohen Erwartungen gescheitert sei. Inzwischen ist bekannt, dass auch viele anderen Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben. Einen davon betonten die Serienmacher in einem Interview mit „Entertainment Weekly“: das liebe Geld.
Das Ende von „Lost“ erklärt
Das tatsächlich ausgestrahlte Serienfinale wird allerdings bis heute von vielen missverstanden. Grund dafür sind die parallelen Zeitstränge, die aufgemacht werden. Achtung, Spoiler!
Die finale Staffel von „Lost“ führt die Idee paralleler Realitäten ein, die erst in der letzten Episode („The End“) aufgelöst wird. Die Charaktere auf der Insel, allen voran Jack (Matthew Fox), Kate (Evangeline Lilly) und Sawyer (Josh Holloway) befinden sich in der „Realität“ und bekämpfen das vielgesichtige Böse dort. Es gibt aber auch die sogenannten „Flash-Sideways“. Dabei handelt es sich um eine Art gemeinsames Fegefeuer, in dem die Überlebenden ihre ungelösten inneren Konflikte und Beziehungen verarbeiten, bevor sie „weiterziehen“ können. Dieses stellt sich als alternative Realität dar, in der der Flugzeugabsturz scheinbar nicht stattgefunden hat.
Ein häufiges Missverständnis ist, dass die vermeintlichen Überlebenden eigentlich die ganze Zeit über tot waren. Die Insel ist in dieser Argumentation nur eine Illusion. Das stützt sich auf die Tatsache, dass sich die Gruppe am Ende in einer Art Kirche wiedersieht und scheinbar den nächsten Schritt ins Jenseits gemeinsam geht. Die Macher der Show haben aber bereits mehrfach deutlich gesagt, dass es sich dabei um eine falsche Interpretation handelt.
Die Figuren in der Kirche sind tatsächlich tot, aber sie sind zu verschiedenen Zeitpunkten gestorben, nicht bei dem Flugzeugabsturz. Einige sollen sogar lange nach den Ereignissen auf der Insel verstorben sein, die dementsprechend absolut real und keine Illusion waren.
Das Ende von „Lost“ soll den Machern zufolge das Ende dieser Figuren und ihrer zwischenmenschlichen Verbindungen zueinander markieren. Entscheidend ist dabei die individuelle Entwicklung, die die Überlebenden im „Sideways“-Universum durchmachen, um am Ende ihren Frieden zu finden. Die Szene in der Kirche ist also als eine Art Epilog zu verstehen. Auf der tatsächlichen Ebene wird zudem die Insel gerettet und kann somit weiter ihrer Aufgabe nachkommen, das Böse von der Welt fernzuhalten.
Eigentliche Vision der Macher
Fest steht aber auch, dass das Ende von „Lost“ ganz bewusst eine Menge Interpretationsspielraum bietet. So sagte etwa Hauptdarstellerin Evangeline Lilly im Jahr 2018, dass das Hauptziel der Serie eigentlich sei, die Zuschauer anzuregen, über wichtige philosophische Fragen nachzudenken. Das legt nahe, dass überhaupt nicht alle Fragen von der Serie selbst eindeutig beantwortet werden sollen.
Trotz dieser Erklärung offenbarten Damon Lindelof und Carlton Cuse im bereits erwähnten Interview mit „EW“, dass sie selbst das Ende von „Lost“ eigentlich anders geplant hatten. Unter anderem sollte es noch symbolisch aufgeladener und vor allem actionreicher werden. Auf der Insel, die die beiden Showrunner übrigens als eigenen Charakter in der Serie verstehen, gibt es einen inaktiven Vulkan.
Dieser sollte während des finalen Kampfes mit dem „Mann in Schwarz“ ausbrechen. Das sollte die Rolle der Insel als Nadelöhr zwischen dem Guten und Bösen betonen, die sie auch aktiv ausfüllt, als hätte sie einen eigenen Willen. Der entscheidende Endkampf zwischen Jack und dem „Mann in Schwarz“ hätte in dieser Version nicht am Rand einer Klippe, sondern inmitten eines sprudelnden Magma-Feldes stattgefunden.
Klingt sehr spektakulär – scheinbar ein bisschen zu sehr. Der produzierende Sender ABC schob dem einen Riegel vor. In der Begründung hieß es, dass das Ganze zu teuer werden würde. Diese Entscheidung bestimmte letztlich auch den Schreibprozess für die finale Staffel maßgeblich.
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Ende von „Lost“ ursprünglich nach 3 Staffel vorgesehen
Und es gab noch einen wesentlichen Punkt, bei dem der Sender großen Einfluss auf die Macher ausübte. „Lost“ sollte nämlich eigentlich viel kürzer ausfallen, als die am Ende veröffentlichten sechs Staffeln. Geplant war ein Ende nach der 3. Staffel; so sah es das ursprüngliche Serienkonzept laut Damon Lindelof vor.
In einem Interview mit „Collider“ im Jahr 2020 sagte er dazu: „Es gab all diese fesselnden Mysterien und so sagten wir: Wir wollen diese Sachen bis zum Ende von Staffel 1 beantworten, diese Sachen bis zum Ende von Staffel 2 und dann endet die Serie quasi nach rund drei Jahren. Das war unser ursprünglicher Pitch, doch sie wollten das nicht hören.“
Der Sender erhoffte sich zu jener Zeit den großen Erfolg von „Lost“, den die Serie dann ja auch tatsächlich einfuhr. Dahinter steht das Konzept, das bei Sendern wie HBO auch heute noch gilt. Bevor Serien in Gänze produziert werden, müssen sie sich erst über einen sogenannten Piloten durchsetzen, eine erste Folge, die als Pitch fungiert. Kommt der Pilot auch beim Publikum gut an, gibt es grünes Licht für die komplette Serie.
Das bedeutet aber auch, dass Sender ein großes Risiko mit ihren Serien eingehen. Schon ein Pilotfilm kann im schlimmsten Fall viele Millionen Euro versenken. Das bedeutet aber auch, dass gut laufende Serien schon im Konzept darauf ausgelegt sein sollten, möglichst lange zu laufen. Klar begrenzte Pläne wie im Fall von „Lost“ mit seinen drei Staffeln sind in dieser Herangehensweise nicht vorgesehen. Vor allem Streaming-Serien wie heutzutage etwa „Dark“ (drei Staffeln) oder „The Boys“ (fünf Staffeln) haben aber auch bereits bei den Sendern zu einem Umdenken geführt, wie jüngst beispielsweise „House of the Dragon“ bewies, dessen Ende nach Staffel 4 schon vor dem Start von Staffel 2 kommuniziert wurde.