13. Oktober 2024, 17:07 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Der Western hat eine lange Tradition in der Filmgeschichte und insbesondere in Hollywood. Viele Klassiker des Kinos entstammen dem Genre mit Cowboys, Indianern, Pferden und rauchenden Colts. Aber neben den großen Meilensteinen gibt es auch weniger bekannte Werke, die trotzdem sehenswert sind. TECHBOOK stellt neun von ihnen vor und sagt, wo Sie sie streamen können.
Der Western ist im Gegensatz zur bisweilen geäußerten Meinung nicht tot, sondern lebendiger denn je. Dafür steht nicht zuletzt der Erfolg der Neo-Western TV-Serie „Yellowstone“ und ihren Ablegern wie etwa „1883“. Und selbst nur die Diskussionen um „Horizon“, das Kino-Megaprojekt von Kevin Costner, zeigen, welche Rolle dem Western zumindest in Hollywood noch immer zukommt. Kein Wunder also, dass Western-Fans auch in den Streaming-Portalen durchaus fündig werden. TECHBOOK stellt neun weniger offensichtliche Perlen des Genres in nicht wertender Reihenfolge vor.
Hell or High Water (2016)
Einer besten Neo-Western der vergangenen Jahre. Einen Neo-Western zeichnet aus, dass er Handlungsmuster des Westerns in die heutige Zeit überträgt, siehe „Yellowstone“. Und auch „Hell Or High Water“ stammt aus der Feder von Taylor Sheridan. Der erzählt die im trostlosesten Teil von Texas angesiedelte Geschichte der beiden Brüder Tanner (Ben Foster) und Toby Howard (Chris Pine). Hinter dem jähzornigen Tanner liegen zehn Jahre Gefängnis, während sich der besonnenere Toby um die mittlerweile verstorbene Mutter kümmerte. Die Brüder klammern sich an die heruntergekommene, elterliche Farm, die nun aber einen Ölfund verspricht.
Um die Ranch bei der Bank abzulösen, starten die Brüder nun eine ganze Serie von Banküberfällen. Zunächst geht alles glatt. Dann aber kommt den beiden der kurz vor der Pensionierung stehende Texas Ranger Marcus Hamilton (Jeff Bridges) auf die Schliche. Buchstäblich mit aller Gewalt versuchen die Brüder Herr der Lage zu bleiben. Je mehr sie aber die Kontrolle verlieren, desto unbarmherziger schlägt vor allem Tanner um sich. „Hell or High Water“ ist ein typischer (Neo-)Western über Männer, die aus ihrer Zeit gefallen sind. Während Bridges‘ Texas Ranger das mit Achselzucken und Lakonie akzeptieren kann, scheint für die Howard-Brüder im turbokapitalistischen Trump-Amerika kein Platz mehr zu sein. Gesellschaftskritik im Gewand eines herausragenden Neo-Westerns also, den der englische Guardian „so gut, dass es schon kriminell ist“ nannte.
Hostiles (2017)
Ebenfalls ein recht neuer, aber gewiss kein Neo-Western ist „Hostiles“. Angesiedelt in New Mexico im Jahr 1892, geht es zunächst eigentlich um einen Akt der Menschlichkeit. So soll der Indianer hassende Offizier Joseph Blocker (Christian Bale) den kranken Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi) begleiten. Yellow Hawk, einst ein von den Weißen gefürchteter Krieger, möchte dort, in seiner Heimat, sterben. Für Blocker ein nahezu unerträglicher Gedanke. Und die Szene, in der Blockers Wut ihn fast zerreißt, kann nur ein Schauspieler wie Bale überzeugend umsetzen. Hier wird das Innerste nach Außen gestülpt, und der Schmerzensschrei den Blocker/Bale schließlich ausstößt, hallt beim Zuschauer lange nach. Überragend auch Rosamund Pike, die zunächst wie eine lebende Tote erscheint.
Der Besessene (One-Eyed Jacks; 1961)
Als einer der ungewöhnlichsten Western gilt „Der Besessene“. Und das nicht nur, weil es einer der ganz wenigen Genre-Beiträge ist, der am Meer spielt. Rio (Marlon Brando) hat eine Bank ausgeraubt. Und nun wird er mit seinem Komplizen „Dad“ Longworth (Karl Malden) in die Enge getrieben. Mit nur noch einem Pferd ist die Chance, zu entkommen, gleich null. Longworth verspricht mit einem zweiten Pferd zurückzukehren. Tatsächlich aber flüchtet er mit der Beute und lässt Rio im Stich. Der muss ins Gefängnis, kann aber nach fünf Jahren gemeinsam mit dem Mexikaner Chico (Larry Duran) fliehen. Als er erfährt, dass Longworth in Monterey lebt, plant Rio mit einigen Kumpanen die dortige Bank zu überfallen. Zunächst aber besucht er Longworth, dem er vormacht, ihm sei damals doch noch die Flucht gelungen. Und er wolle Dad nur besuchen, weil er in der Gegend sei.
Zu seiner Verblüffung erfährt er, dass Longworth nun Sheriff ist und dass niemand von seiner Vergangenheit weiß. Aus Rache verführt und schwängert er Louisa (Pina Pellecier), Longworth‘ Stieftochter, und erschießt in Notwehr einen Mann. Longworth, der Rio seine Geschichte ohnehin nicht geglaubt hat, will nun ein für alle Mal mit seinem ehemaligen Kumpan abrechnen. Er peitscht Rio öffentlich aus, zerschmettert ihm die rechte Schusshand und jagt ihn aus der Stadt. Mehr tot als lebendig verkriecht sich Rio in einer Hütte am Meer und sinnt auf Rache … „One-Eyed Jacks“, bei dem Brando selbst Regie führte, ist nicht weniger als ein Spektakel für die Schauspielkunst Brandos.
Er scheint sich geradezu an seinem eigenen Schmerz zu laben, ähnlich wie es schon in „On the Waterfront“ war. So sprach u. a. der Kritiker Phil Hardy von einem „einzigartigen Western“. Zudem sei „One-Eyed Jacks“ der Vorläufer der Western von Sam Peckinpah.
Nackte Gewalt (Naked Spur; 1953)
„Nackte Gewalt“ ist einer von fünf Western, die der Regisseur Anthony Mann mit dem Jahrhundert-Schauspieler James Stewart drehte. Mann war neben John Ford der herausragendste aller Western-Regisseure, einen wirklich schlechten Film machte er nie. Und wie Ford verstand es auch Mann, die Landschaft zu einem weiteren Charakter seiner Story zu machen, sodass seine stets ‚on location‘ gedrehten Filme ein wahres Fest für die Augen sind. Stewart spielt den vermeintlichen Sheriff Howard Kemp, der auf der Jagd nach dem flüchtigen Mörder Ben Vandergroat (Robert Ryan) ist, auf dessen Kopf eine Belohnung von 5.000 Dollar ausgesetzt ist. Mit diesem Geld will er eine Ranch zurückkaufen, die er an seine Verlobte verloren hatte, weil die sich mit Vandergroat eingelassen und später Selbstmord begangen hatte.
Mit Hilfe des Deserteurs Roy Anderson (Ralph Meeker) und des Goldsuchers Jesse Tate (Millard Mitchell) kann Kemp Vandergroat stellen, der mit der jungen Lina (Janet Leigh) unterwegs war. Auf dem langen Rückweg in die Stadt, wohin Kemp den Mörder bringen will, schafft es der gerissene Ben, die drei Männer gegeneinander auszuspielen und Zwietracht zu säen …
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Die Szene, in der Kemp unter Lebensgefahr versucht, die Leiche von Vandergroat dem Wildwasser zu entreißen, ist vielleicht die beste, die Stewart je gespielt hat. Stewart, wegen seiner freundlichen, zugewandten Art Liebling der US-Nation in den 1950er Jahren, gibt so überzeugend einen von tiefem Hass zerfressen Mann, sodass der Filmkritiker Leonard Maltin „einen der besten Western aller Zeiten“ nannte. Eine Meinung, die bis heute viele seiner Kollegen teilen.
Lass ihn gehen (Let Him Go; 2020)
Noch ein Neo-Western. Nachdem sie ihren Sohn verloren haben, verlassen der pensionierte Sheriff George Blackledge (Kevin Costner) und seine Frau Margaret (Diane Lane) ihre Ranch in Montana. Sie wollen ihren Enkel aus den Händen der neuen, brutalen Familie ihrer einstigen Schwiegertochter befreien. Der brutale Weboy-Clan aber will das Kind nicht herausgeben, sodass George sich gezwungen sieht, zur Waffe zu greifen …
Verortet im Amerika der 1950er Jahre, ist „Lass ihn gehen“ gleichzeitig ein bewegendes Familiendrama, wie auch ein nervenzerrender Rachethriller im Western-Gewand – oder ein dramatischer Western im Gewand eines Thrillers. Trotz aller Gewalt, die sich im Laufe der Handlung einstellt, ist der Film von Regisseur Thomas Bezucha durchzogen von einer eher leisen Trauer über die Verluste, die Blackledge und seine Frau aushalten müssen. Costner spielt so gut, wie lange nicht, wird aber noch übertroffen von der viel zu oft unterschätzen Diane Lane, die eine starke, aber auch bis in Mark getroffene Frau gibt, deren Ehe an dieser Trauer zu zerbrechen droht. Stark auch Lesley Manville als skrupellose Matriarchin der Weboys.
Der weite Himmel (auch Das Geheimnis der Indianerin oder Die Flusspiraten vom Missouri; The Big Sky; 1952)
Erst sind sie Gegner, dann Freunde, und schließlich werden sie zu Rivalen um die Gunst einer Frau. Kentucky 1832: Auf dem Weg gen Westen trifft der Trapper Jim Deakins (Kirk Douglas) auf den jungen Boone Caudill (Dewey Martin). Sie „tasten“ einander erst einmal mit den Fäusten ab, entschließen sich dann aber gemeinsam nach St. Louis weiterzuziehen, um dort Boones Onkel, Zeb Calloway, zu suchen. Der ist Pelzhändler und plant mit seiner Crew auf der „Mandan“, einem kleinen Lastensegler, eine Expedition zu unternehmen, mehr als zweitausend Meilen den Missouri hinauf. Dort will Calloway mit den gefürchteten Blackfoot-Indianern Handel treiben.
Überhaupt erst möglich machen soll das Teal Eye, die sich an Bord befindende Tochter des Häuptlings der Blackfoot. Die war einst von einem verfeindeten Stamm verschleppt worden und soll nun ein gutes Wort einlegen. Gefahr droht den Männern aber vor allem von der verbrecherischen Missouri Pelz Company, wo man nicht duldet, dass Calloway auf eigene Rechnung Handel treibt. Dann verlieben sich Boone und Teal Eye ineinander, für die aber auch Jim längst tiefe Gefühle hegt. Die Freundschaft der Männer droht zu zerbrechen …
Vielleicht einer der schönsten Western überhaupt, weil lyrisch gefärbt – wobei gefärbt einen falschen Eindruck vermittelt, handelt es sich doch um einen in Schwarz-Weiß gedrehten, wunderbaren Film. Ganz zurecht spricht das „Lexikon des internationalen Films“ von einem „spannenden Abenteuerfilm von überdurchschnittlichem Format, überzeugend in der Charakterzeichnung, mit grandiosen Landschaftsaufnahmen des Missouri-Gebietes.“
Tag der Gesetzlosen (Day of the Outlaw; 1959)
Ein kleiner, wenig bekannter, gleichwohl hervorragender Western in Schwarz-Weiß. Eine Banditen-Clique unter der Führung des ehemaligen Offiziers Captain Bruhn (Burl Ives) sucht auf der Flucht vor dem Gesetz Unterschlupf in einer kleinen Ortschaft. Der verletzte Bruhn lässt die Einwohner entwaffnen, und alsbald beginnen seine Männer, die Frauen des Ortes zu terrorisieren. Nur mit Mühe kann Bruhn seine Männer zurückhalten. Lediglich ein Mann, der Rancher Blaise Starrett (Robert Ryan), traut sich, den Outlaws etwas entgegenzusetzen, wird dafür aber fürchterlich zusammengeschlagen. Dennoch schlägt Starrett Bruhn später vor, ihm und seinen Männern einen Weg über die tief verschneiten Berge zu zeigen. So würden sie ihre Verfolger abhängen können, lockt Starrett. Tatsächlich aber plant er, die Banditen in die Irre zu führen und sie in der eisigen, ohne Ortskenntnis unbezwingbaren Wildnis ihrem Schicksal zu überlassen. Bruhn aber durchschaut den Plan …
Das Drehbuch lieferte Philip Yordan, der u. a. auch schon mit Anthony Mann zusammengearbeitet hatte und 1955 den Oscar für seine Arbeit an „Die gebrochene Lanze“ (Broken Lance) erhielt, ebenfalls ein Western (Regie: Edward Dmytryk). Und wie Mann (etwa bei „Der Mann aus Laramie“), setzt auch André de Toth, sonst eher ein Regisseur mit durchschnittlichen Ergebnissen, eine Yordan-Vorlage mit seiner wohl besten Leistung hervorragend um.
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Stadt in Angst (Bad Day at Black Rock; 1955)
Zu seiner Zeit ein echter Neo-Western. Spätsommer 1945, das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt gerade einmal ein paar Wochen zurück. Der Stromlinienzug hält zum ersten Mal seit über vier Jahren an der Haltestelle von Black Rock, tief im Südwesten der USA. Black Rock ist ein Kaff, das kaum mehr als eine Handvoll Häuser und ein kleines Hotel zählt. Ein einarmiger Fremder namens John Macreedy (Spencer Tracy) steigt aus und begibt sich umgehend zu dem kleinen Hotel. Er nimmt sich ein Zimmer und beginnt alsbald Fragen nach einem japanischen Farmer namens Kokomo zu stellen, der aber bereits seit einiger Zeit als vermisst gilt. Der Rancher Reno Smith, Wortführer im Ort, will Macreedy weismachen, dass Kokomo nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Habor wie viele seiner in den USA lebenden Landsleute in ein Internierungslager gebracht worden ist. Macreedy aber glaubt Smith kein Wort, sondern befürchtet, dass Kokomo ermordet wurde. Und je mehr er nachforscht, desto offensichtlicher wird die Feindseligkeit der Einheimischen. Schon bald gerät Macreedy in Lebensgefahr …
Das Neo-Western Drama von John Sturges gehört zu den besten Filmen der 50er Jahre überhaupt. Auch wegen seiner formalen Brillanz war „Stadt in Angst“ doch einer der ersten MGM-Filme, der im Cinemascope-Format gedreht wurde. Dieses Format erzeugt ein besonders breites Bild, das der menschlichen Wahrnehmung näher kommt als etwa das übliche 4:3-Filmformat. Vor allem aber ist „Stadt in Angst“ ein nicht nur zu dieser Zeit, kurz nach dem Krieg, eine mutige Anklage gegen Rassismus. Und der große Spencer Tracy zeigt eine der besten Leistungen seines an Höhepunkten reichen Oeuvres.
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Bis zum letzten Atemzug (Only the Valiant; 1951)
Ein besonders rüder Kavallerie-contra-Indianer-Western. Captain Lance (Gregory Peck) kehrt mit einer Kavallerie-Einheit und dem gefangenen Apachen-Häuptling Tuscos (Michael Ansara) nach Fort Winston zurück. Bei seinen Männern, einem undisziplinierten, stets zur Meuterei aufgelegten Haufen, ist Lance wegen seiner Strenge verhasst. Und auch bei der von ihm umworbenen Cathey Eversham (Barbara Peyton), die ihm eigentlich zugetan ist, hat er plötzlich einen schweren Stand. Cathey macht Lance für den Tod von Leutnant Holloway (Gig Young) verantwortlich, der ebenfalls an ihr interessiert war. Sie glaubt, Lance habe Holloway mit dem Auftrag, Tuscos nach Fort Grant zu überführen, direkt in den Tod getrieben – nur um den Nebenbuhler aus dem Weg zu schaffen. Als der Angriff der Apachen auf das Fort unmittelbar bevorzustehen scheint, entscheidet sich Lance, mit seiner Einheit die Indianer vom Fort wegzulocken, um das Leben der zurückgebliebenen Frauen und Kranken zu retten …
Mit „Bis zum letzten Atemzug“ gelang Gordon Douglas ein für die damalige Zeit ungewöhnlich pessimistischer, ja düsterer Western. Douglas, ein Regisseur aus der zweiten Reihe Hollywoods, zeichnete dennoch für einige kleine, feine Western, wie „Man nannte ihn Kelly“, „Im Höllentempo nach Fort Dobbs“, oder „Banditen am Scheideweg“, aber auch für klassisches Film-Noir- und Gangster-Kino wie „Den Morgen wirst du nicht erleben“ oder „Zwischen Mitternacht und Morgen“ verantwortlich.