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Einer der größten Skandalfilme der vergangenen Jahre kommt zu Paramount+

Monica Bellucci in „Irreversibel“
„Irreversibel“ erscheint in besonderer Schnittfassung bei Paramount+ Foto: picture alliance / Mary Evans/AF Archive/Studiocana
Woon-Mo Sung
Redakteur

2. November 2024, 17:19 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Es gibt leicht verdauliche Filme für den gemütlichen Abend auf dem Sofa – und es gibt die schweren Brocken. „Irreversibel“ ist einer davon und bald gibt es ihn bei Paramount+.

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Im Monatsrhythmus veröffentlichen die verschiedenen Streaming-Dienste zahlreiche neue Filme und Serien, mit denen sie möglichst viele Zuschauer erreichen wollen. Neben exklusiven Eigenproduktionen gibt es auch immer viele Lizenztitel zu sehen, unter denen sich oft große Kino-Blockbuster oder echte Klassiker befinden können. Wer die entsprechenden Listen aufmerksam durchforstet, kann aber mitunter echte Geheimtipps vorfinden: Obskures, Unterschätztes oder Skandalöses. „Irreversibel“ von Regisseur Gaspar Noé fällt – je nach Sichtweise – in alle drei Kategorien. Wer eine Herausforderung sucht, den eigenen Horizont erweitern und die Grenzen des eigenen Geschmacks neu ausloten möchte, sollte ab dem 15. November bei Paramount+ hineinschauen. Die Empfehlung geht aber mit einer klaren Warnung einher.

Darum geht es in „Irreversibel“

Die Handlung von „Irreversibel“ ist denkbar simpel. Das Pärchen Marcus (Vincent Cassel) und Alex (Monica Bellucci) geht eines Abends mit Pierre (Albert Dupontel), Alex‘ Ex-Freund, auf eine Party. Noch ist die Stimmung auf dem Weg dorthin gut, doch das währt nicht allzu lange. Dort angekommen geraten nämlich Alex und Marcus in einen heftigen Streit, weshalb Alex vorzeitig und allein den Heimweg antritt. Das entpuppt sich nur wenig später als folgenschwere Entscheidung, die die Leben aller Beteiligten für immer verändern wird …

„Irreversibel“ ist hart anzuschauen

„Irreversibel“ war 2002 erst der zweite Spielfilm von Regisseur Gaspar Noé. Dessen Erstlingswerk „Menschenfeind“ war bereits nichts für schwache Nerven mit expliziter Gewalt und angedeutetem Inzest zwischen Vater und Tochter. Doch die zweite Regiearbeit setzte noch einen drauf und Noé zog alle bis dato bekannten Register.

Das fängt schon bei der rein filmischen Ebene an, denn von einem Stativ wollte Noé scheinbar nichts wissen. Stattdessen ist die Kamera nicht nur stets in Bewegung. Gerade zu Beginn fliegt das scheinbar freischwebende Objektiv ununterbrochen schwindelerregende Manöver und dreht sich dabei unentwegt um die eigene Achse, das einem übel werden kann. Dazu kommt ein verstörender, surrealer Klangteppich, der die audiovisuelle Irritation und Orientierungslosigkeit in den ersten Minuten perfekt macht.

Das Auge (und der eigene Gleichgewichtssinn) bekommt auch deswegen keine Erholung, weil sich die Ereignisse in „Irreversibel“ in mehreren langen Episoden ohne ersichtlichen Schnitt abspielen. Das erzeugt eine intensive Sogwirkung und einen regelrechten Bilderstrudel – wenn man nicht gleich „seekrank“ wird.

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Zwei unerträgliche Gewaltmomente

Auf die gesamten 97 Minuten in der Originalfassung bezogen, ist „Irreversibel“ eigentlich über weite Strecken ziemlich banal und ereignislos. Die meiste Zeit sieht man das Trio Alex, Marcus und Pierre über Sex, Liebe und Beziehungen sprechen. Doch zwei Szenen stechen brachial heraus. (Vorsicht, es folgen Spoiler!)

Gleich zu Beginn rennen Marcus und Pierre sichtlich agitiert durch einen Nachtclub, auf der Suche nach jemand Bestimmten. Dabei kommt es zu einer Prügelei, im Zuge dessen Pierre einen Mann erst zu Boden bringt – und dann dessen Kopf mit einem Feuerlöscher einschlägt. Die Kamera? Die schaut nicht weg.

Noch kontroverser ist, was Alex widerfährt. Als sie durch eine Unterführung läuft, wird sie von einem Fremden überfallen. Es folgt die berüchtigte neunminütige Vergewaltigungsszene ohne Schnitt, die im Zentrum vieler Debatten rund um den Film stand. Wie es bei der IMDb heißt, wusste Noé nicht vorher, wie lange der Moment dauern würde. Das überließ er einzig Bellucci, die dafür die Regie übernahm. Bis heute soll sie eigenen Angaben nach nicht in der Lage sein, die fertige Szene komplett zu schauen.

Der Skandal um „Irreversibel“

„Irreversibel“ feierte seine Premiere beim Cannes Filmfestival 2002 vor einem Publikum aus 2400 Personen. Einem damaligen Bericht des „BBC“ zufolge war das Gezeigte für etliche Personen einfach zu viel. Etwa 250 Leute sollen entweder vorzeitig gegangen sein oder hätten ärztliche Versorgung gebraucht.

20 Personen sollen sogar ohnmächtig geworden sein, weshalb Einsatzkräfte sie mit Sauerstoff versorgen mussten. Ein Sprecher der örtlichen Feuerwehr sagte sogar: „In 25 Jahren in diesem Job habe ich so etwas noch nie beim Cannes Festival gesehen. Die Szenen in diesem Film sind unerträglich, selbst für uns Profis.“ In Neuseeland wurde das Werk dann sogar verboten.

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Ist denn „Irreversibel“ überhaupt sehenswert?

Skandal und expliziter Gewalt zum Trotz hat „Irreversibel“ viel zu bieten. Das mussten sich auch die Kritiker eingestehen, die dem Film mindestens eine starke und kunstvolle Inszenierung bescheinigten, so herausfordernd sie auch sein mag. Und auch inhaltlich steckt mehr drin, als man zunächst annehmen könnte.

In der ursprünglichen Fassung spielt sich die Handlung nämlich rückwärts ab. Der Film beginnt mit einem Höhepunkt und Gewaltausbrüchen, von denen man gar nicht weiß, welche Ereignisse überhaupt dazu geführt haben. Doch erst nach und nach wird das ganze Ausmaß der Zerstörung offenkundig – und so schlägt die Tragödie rückwirkend dann am härtesten zu, wenn die ruhigsten und friedlichsten Szenen des Films laufen.

Der berühmte US-Filmkritiker Roger Ebert stellte dies damals heraus und schrieb, dass die umgekehrte Erzählweise den Film moralisch statt ausbeuterisch mache. Das Motto des Werkes „Die Zeit zerstört alles“ wird so auf den Punkt gebracht und lädt ein zur Reflexion über die Ausweglosigkeit und Unvermeidlichkeit der Zeit. Was geschehen muss, wird geschehen und daran führt kein Weg vorbei.

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Über „Irreversible – Inversion Intégrale“

Ab dem 15. November erscheint bei Paramount+ jedoch nicht die Originalfassung, sondern die „Inversion Intégrale“, auch bekannt als „Straight Cut“. Diese feierte 2019 beim Filmfest in Venedig Premiere und präsentiert „Irreversible“ in der richtigen Chronologie. Zugleich straffte Noé die Laufzeit etwas, wodurch diese Schnittfassung nur noch 86 Minuten lang ist.

Der „Straight Cut“ kam bei der internationalen Kritik ausgezeichnet an. Bei Rotten Tomatoes sind 90 Prozent der eingegangenen Besprechungen positiv – allerdings sind es derer nur zehn. Und nur weniger als 50 Personen haben diese Version laut der Seite überhaupt gesehen und eine Bewertung abgegeben. Von denen sind aber sogar 93 Prozent wohlwollend ausgefallen.

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Ob es diese Fassung überhaupt gebraucht hat, müssen Filmfans für sich selbst entscheiden. Es ist im Grunde immer noch der gleiche Film. Doch die neue Szenenanordnung sorgt für einen neuen Zugang zur Geschichte. Wie EJ Moreno bei „Flickering Myth“ sagt, ist „Irreversible“ jetzt sogar besser, indem der Schnickschnack fehlt und nur noch „rohe Brutalität“ verbleibt. Und sogar Noé selbst sagte einst im Interview mit „20Minutes“, dass er diese Version für „traumatischer“ hält.

Doch ganz gleich, ob in „richtiger“ oder „falscher“ Reihenfolge, „Irreversible“ ist ein intensives und hartes Stück Kinokunst, das niemanden kaltlassen wird.

Themen Filme Paramount+
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