10. August 2019, 17:58 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die exorbitante Summe erinnert an Blockbuster-Transfers im Fußball oder an das Volumen von Langzeitverträgen in der NBA – der Mega-Deal zwischen Netflix und den Serienproduzenten David Benioff und Dan Weiss deutet das herausragende Vermarktungspotential der Shootingstars an.
Kampf um die Stars der Branche
Derzeit ist Netflix mit mehr als 148 Millionen zahlenden Mitgliedern in über 190 Ländern der größte Internet-Entertainment-Dienst weltweit. Doch der rekordverdächtige Deal mit den beiden derzeitigen Aushängeschildern der Branche zeigt deutlich, wie heftig um die stärkste Ausgangsposition für die anstehenden Veränderungen auf dem Streaming-Markt gekämpft wird. Ambitionierte neue Anbieter wie Disney+ und Apple+ werden mit Macht einsteigen, und eine ansehnliche Bibliothek alter Filme und Serien wird dabei nicht ausreichen, das Publikum zu binden. Auch deshalb sind D&D, wie sie inzwischen genannt werden, momentan so gefragt wie kaum ein anderer in der Unterhaltungsindustrie, wenn es darum geht, einen globalen Exklusiv-Vertrag für das Schreiben, Produzieren und Regie führen von neuen Serien und Filmen zu unterzeichnen.
Die beiden Köpfe hinter dem HBO-Megahit „Game of Thrones“, David Benioff und D.B. Weiss, haben nun aber einen mehrjährigen Deal mit Netflix abgeschlossen. Nachdem sie mehr als 10 Jahre für Home Box Office an GoT gearbeitet haben, wechseln sie künftig also zur Konkurrenz. Das Duo wird Inhalte für den Streaming-Giganten produzieren, sobald die mit Disney vertraglich vereinbarten Arbeiten an der kommenden Star-Wars-Trilogie abgeschlossen wurden. Davon abgesehen haben D&D noch weitere Verpflichtungen, denen sie nachkommen müssen: Universal hat für ein Kurt Cobain-Projekt engagiert und abgesehen davon schreiben sie für Fox/Disney an einer modernen Adaption der Gefängnisausbruch-Story „Dirty White Boys“. Bevor die beiden Produzenten für Netflix durchstarten können, werden sie aller Voraussicht nach noch eine Weile anderweitig beschäftigt sein.
Wettbieten am Streamingmarkt
Da Disney auch Teil des Wettbietens war, lag für viele die Vermutung nahe, das der Konzern mit der Maus leichtes Spiel dabei hätte, sich die Zusage bei den Verhandlungen zu sichern. Doch Fehlanzeige – Disney hat das Nachsehen und Netflix freut sich.
Damit der Streaming-Gigant das Rennen um die Beiden am Ende für sich gewinnen konnte, war ein tiefer Griff ins Portemonnaie vonnöten. Allerdings galt Netflix schon zuvor als ungemein spendabel, insbesondere dann, wenn es um seine Prestige-Projekte geht. Über das Volumen des Vertrags wurde zwar Stillschweigen vereinbart, doch soll das Kreativ-Duo eine neunstellige Summe erhalten. Den Informationen von Insidern zufolge beläuft sich der Wert des Deals auf 200 bis 300 Millionen Dollar und beinhaltet sowohl Film- als auch Serienprojekte.
Die Vereinbarung mit Benioff und Weiss erstreckt sich auf eine Laufzeit von fünf Jahren. Finanziell hat das Ganze damit eine ähnliche Größenordnung wie einige der anderen Mega-Deals, die zuletzt abgeschlossen wurden. Darunter befinden sich etwa die beiden Showrunner Shonda Rhimes („Grey´s Anatomy“) und Ryan Murphy („American Horror Story“ und „Glee“), die ebenfalls zu Netflix wechselten. Dagegen ziehen die „Westworld“-Erfinder Jonathan Nolan und Lisa Joy um, von HBO zu Amazon Studios. Eines steht jedenfalls fest, nie hatten die Macher von Unterhaltungsserien ein vergleichbar hohes Vermarktungspotential wie heute.
D&D sollen bei Netflix das nächste große Ding drehen
In einer gemeinsamen Pressemitteilung bedankten sich die Beiden bei Ihren langjährigen Geschäftspartnern: „Für uns läuft es bei HBO seit mehr als einem Jahrzehnt richtig gut und wir sind allen dankbar, dass wir uns dort immer wie zu Hause fühlen können.“ Darüber hinaus erklärten sie, wie sehr sie sich „geehrt“ fühlten, dass Netflix sie ins Team holen möchte: „In den letzten Monaten haben wir viele Stunden mit Cindy Holland und Peter Friedlander sowie Ted Sarandos und Scott Stuber verbracht. Wir mögen die gleiche Musik aus den 80er Jahren und auch die gleichen Filme; wir lieben die gleichen Bücher und wir sind auch von der gleichen Art, Geschichten zu erzählen, begeistert. Netflix hat etwas Erstaunliches und noch nie da gewesenes aufgebaut, und wir fühlen uns geehrt, dass sie uns eingeladen haben, uns ihnen anzuschließen.“
Ähnlich euphorisch und voller Vorfreude auf das Erfolgsduo äußerte sich Netflix. „Wir freuen uns sehr, die Meistergeschichtenerzähler David Benioff und Dan Weiss bei Netflix willkommen zu heißen“, gab Ted Sarandos, Chief Content Officer von Netflix, in einer Erklärung bekannt. „Sie sind pure, kreative Kraft und haben das Publikum weltweit mit ihrer Art epische Geschichten zu erzählen fasziniert. Wir können es kaum erwarten zu sehen, womit ihre Vorstellungskraft unsere Mitglieder begeistern wird.“ Wie die neuen Geschichten, die Massen begeistern sollen, konkret aussehen werden, ist derweil noch unklar.
Klar scheint hingegen, dass die Pläne zur Serie „Confederate“, welche ehemals bei HBO an den Start gehen sollte, begraben wurden. Diese hatte bereits bei Bekanntwerden der voraussichtlichen Handlung für jede Menge Diskussionsstoff gesorgt. Die Geschichte dazu war in einem fiktiven Amerika angesiedelt, in dem die Konföderierten als Gewinner aus dem Bürgerkrieg hervorgingen und die Sklaverei bis heute betrieben wird, für eine Menge Diskussionsstoff gesorgt.
Twitter-Gemeinde in Sorge
Auf Twitter wurde die Verkündung des Deals eher mit Sorge aufgenommen. Viele Nutzer reagierten auf die Unterzeichnung des Vertrags entsetzt und wütend. Die große Abneigung gegenüber D&D fußt auf der polarisierenden letzten Staffel von GoT. Für viele Fans haben die Schöpfer der Serie ihr Werk gegen die Wand gefahren, da sie es nicht schafften, die preisgekrönte Fantasy-Saga zu einem angemessenen Ende zu führen.
Die Neuigkeit sorgt für Kopfschütteln und geschlechtsübergreifende Einigkeit.
Trotz der relativen brutalen, öffentlichen Resonanz wurde die Show beim wichtigsten Fernsehpreis der Welt in diesem Jahr für 32 Emmys nominiert und stellte damit einen neuen Rekord auf. Bei all der berechtigten Kritik seitens der eingefleischten Leser der Romanreihe „A Song of Ice and Fire“ von George R. R. Martin steht dennoch außer Frage, dass Benioff und Weiss mit dem Fantasy-Epos neue Serienstandards gesetzt haben. Mit Aufnahmen in Kinoqualität, aufwändigen Kostümen und seiner detailverliebten Machart ist „Game of Thrones” der neue Maßstab in Sachen Serienproduktion. Statt dem üblichen, billigen 0815-TV-Content liegt der Fokus jetzt auf der Kunst des epischen Erzählens.
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Glücksfall oder zu hohes Risiko?
Auf den ersten Blick ist die Neuigkeit, die beiden gefragtesten Größen der Branche für sich gewinnen zu können, für Netflix natürlich eine Erfolgsmeldung. Allerdings hat die Investition eine derart große Tragweite, dass niemand heute mit Sicherheit sagen kann, ob sie auf lange Sicht auch Früchte tragen wird. Warum das so ist und weshalb dennoch die halbe Unterhaltungsindustrie bereit war, dieses Risiko einzugehen, ist schnell erklärt. So wie die Umsetzung des „Game of Thrones“-Epos gefeiert als auch kritisch gesehen wird, ganz so ist es auch mit dem Produzenten-Pärchen.
Alle Welt ist sich einig, dass die Grundlage des Erfolgs der Serie die einzigartige Welt der Buchvorlage von George R. R. Martin ist und es der Verdienst der HBO-Produktion unter Federführung von Weiss und Benioff war, die es schafften die Atmosphäre dieser Welt meisterhaft umzusetzen. Diese Meinung gilt den ersten sechs Staffeln der Serie, welche sich so eng es ging, an der Buchvorlage orientierten. Die beiden letzten Staffeln aber wurden von der Fangemeinde geradezu zerrissen, was in erster Linie daran lag, das es für deren Plot keine Buchvorlage mehr gab. Die Fortschritt der Serie hatte die Veröffentlichung der Bücher mit großen Schritten überholt.
Nach Rücksprache mit dem Autor war den Showrunnern grob bekannt, wie die Saga enden sollte, doch die Geschichte bis dorthin mussten sie fortan selbst kreieren. Für die Fans nahm damit das Unheil seinen Lauf. Die Netflix-Neuzugänge kommen also einerseits mit großen Vorschusslorbeeren im Gepäck, andererseits aber mit der schweren Bürde, mit dem missglückten Ende von GoT einen großen Teil der eigenen Fans vergrault zu haben.
Hinsichtlich des umkämpften Streamingmarktes dürfte es für Netflix von entscheidender Bedeutung sein, dass sich die gewaltigen Ausgaben bezahlt machen, um die Vormachtstellung gegenüber der Konkurrenz weiter beizubehalten.