7. Juni 2024, 10:17 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Vor einiger Zeit wurden Preiserhöhungen bei Netflix nicht nur für Neu-, sondern auch für Bestandskunden angekündigt. Der Streamingdienst braucht hierzu die Zustimmung der User – und die holt man mit Nachdruck ein.
Zwar gibt es auch kostenlose Streaming-Dienste im Netz. Doch wer besonders aktuelle und vor allem bestimmte exklusive Filme und Serien schauen möchte, kommt um ein Abo bei einem großen Anbieter nicht herum. Und für dieses wird man beizeiten mehr löhnen müssen, als es zunächst der Fall war, wie die jüngsten Preiserhöhungen bei Netflix zeigen. Hierfür greift der Anbieter auch zu eher fragwürdigen Methoden.
Zustimmung zur Preiserhöhung bei Netflix sofort
Die neuen Preiserhöhungen für Netflix sollten zunächst lediglich für Neukunden gelten. Nur wenig später und wenig überraschend teilte das Unternehmen jedoch mit, dass sie auch Bestandskunden treffen würden. Für diese stellt sich seither die Frage, ob sich das Abo überhaupt noch lohnt. Unserer TECHBOOK-Redaktionsleiterin Rita Deutschbein fällt es jedenfalls wirklich schwer, Netflix noch zu mögen.
Damit alles mit rechten Dingen zugeht, muss Netflix von bereits aktiven Nutzern die Zustimmung zur Preiserhöhung offiziell einholen. In der Praxis gestaltet sich das allerdings als äußerst unflexibel: Aktuell trifft es unter anderem User des Basis-Abos. Wie wir zusätzlich bereits vor einiger Zeit mit einem Premium-Abo feststellten, erscheint bei Nutzung der Plattform die entsprechende Abfrage. Darin sollten wir der Preiserhöhung bei Netflix zustimmen.
Allerdings fehlte die Option, die Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zu treffen. Das heißt: Netflix ist in diesem Moment und ohne vorherige Zustimmung nicht mehr nutzbar. Die Abfrage lässt sich nicht wegklicken und auch das Schließen und erneute Öffnen von Netflix beseitigt das Problem nicht. Ist man also einmal damit konfrontiert, muss die Entscheidung auch am besten direkt gefällt werden.
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Sofortige Kündigung bei Ablehnung
Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der neue Preis erst später offiziell in Kraft tritt. Etwas mehr Zeit zum Nachdenken wird einem also nicht gestattet. Wie myHOMEBOOK-Redaktionsleiter Felix Mildner mit seinem Standard-Abo zum Beispiel feststellte, blieb ihm lediglich die Wahl zwischen der sofortigen Zustimmung oder Kündigung. Als er ablehnte, erhielt er prompt die Kündigungsbestätigung per E-Mail, einloggen konnte er sich auch nicht mehr.
In der Nachricht teilte man ihm mit, dass er noch bis zum Ende des laufenden Monats weiterschauen könne. Allerdings funktionierte dies für unseren Kollegen nicht mehr.
Der erneute Login bei Netflix war dann nur noch zu den neuen Konditionen möglich, was einer Zustimmung der neuen Preise gleichkam. Dies wurde ihm in einer weiteren Nachricht bestätigt.
Das sagt Netflix zu der Preiserhöhung
Auf Anfrage von TECHBOOK betont Netflix, dass der Streamingdienst seine Kunden 30 Tage vor Eintreten der neuen Preise per E-Mail darüber informiert. Zudem weise man mehrfach während der Nutzung darauf hin – der Zeitpunkt könne dabei von Nutzer zu Nutzer variieren.
Lehnt man die neuen Gebühren vor Ablauf des bereits bezahlen Monats ab, könne man Netflix „selbstverständlich“ noch den verbleibenden Monat wie gewohnt nutzen. Letzterer Punkt erwies sich aber unserer eigenen Erfahrung nach schlichtweg als falsch. Netflix nahm hierauf jedoch keinen Bezug.
So schätzt ein Anwalt das Vorgehen von Netflix ein
Ob diese Praxis überhaupt rechtens ist und ob Netflix das eigene Angebot zurückhalten darf, ehe der User eine Entscheidung getroffen hat, wollte TECHBOOK von Rechtsanwalt Christian Solmecke wissen. Seiner Einschätzung nach sei das beschriebene Netflix-Vorgehen „sittenwidrig und der dadurch geschlossene neue, teurere Vertrag nichtig.“ Zudem sagte der Experte: „Die Tatsache, dass man keine Möglichkeit hat, die eigene Entscheidung zu vertagen, sofern man Netflix weiter nutzen will, setzt die Verbraucher in unangemessener Weise unter Druck.“
Dass unser Kollege Felix lediglich zwischen Zustimmung und Kündigung wählen konnte, stelle außerdem eine „widerrechtliche Drohung“ dar, mit der man den neuen Vertrag vor Gericht anfechten könne. Dies könne sogar eher in Betracht gezogen werden als die Sittenwidrigkeit. „In beiden Fällen (Sittenwidrigkeit und Anfechtung) läuft dann der alte Vertrag zu alten Konditionen erst einmal weiter, bis Netflix ihn kündigt“, so Solmecke.
Dass im erwähnten Fall der Zugang bei Ablehnung der Preiserhöhung vorzeitig nicht mehr möglich war, stelle eine Vertragsverletzung dar. Wie Netflix eigentlich selbst verspricht, habe „der Kollege weiterhin das Recht auf Zugang zum Dienst und für den Zeitraum, in dem er den Dienst nicht nutzen konnte, das Recht auf Schadensersatz.“
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Netflix zur Einholung von Zustimmung verdonnert
Auch haben wir den Verbraucherzentrale Bundesverband um eine Einschätzung aus Sicht der Verbraucherschützer gebeten, allerdings noch keine Rückmeldung erhalten. Allerdings kann die Verbraucherzentrale bereits eine eigene juristische Historie mit Netflix vorweisen. Schließlich waren sie es, die mittels einer erfolgreichen Klage (die sich auch gleichzeitig gegen Spotify richtete) Netflix überhaupt dazu brachten.
Der Streamingdienst wollte sich nämlich ursprünglich mit einer Klausel in den AGB das Recht vorbehalten, Preise ohne vorherige Zustimmung der Nutzer ändern zu können. Das Kammergericht Berlin entschied jedoch Ende 2023, dass dies unzulässig ist.
Fix die Zustimmung einholen? So wird’s nix, Netflix!
„Der Streaming-Markt ist hart umkämpft und die Betriebskosten werden auch nicht geringer. Dass es im Zuge dessen zu Preisanpassungen früher oder später kommt, ist zwar nervig, aber langfristig einfach unvermeidlich – und dafür sollte man als Kunde ein Mindestmaß an Verständnis mitbringen. Wem die Preise dann zu hoch sind, der kann sich jederzeit Alternativen suchen.
Dass ich aber mit einer Abfrage regelrecht überrumpelt und just in diesem Moment zur Zustimmung der neuen Gebühren geradezu genötigt werden kann, schmeckt mir aber gar nicht. Solange ich theoretisch auch nur einen letzten Tag mit meinem alten Abo habe, will ich mir auch nicht Gedanken um höhere Preise oder alternative Angebote machen müssen. Die Entscheidung sollte ich also bis dahin jederzeit vertagen dürfen – und genau das ist nicht der Fall, obwohl Netflix etwas anderes behauptet. Und selbst das Schauen für den verbliebenen Monat nach Kündigung funktionierte bei meinem Kollegen nicht, obwohl es ihm ausdrücklich in einer E-Mail gesagt wurde.
Erwartet man sich dadurch eine besonders hohe Konvertierungsrate hin zur Akzeptanz der neuen Preise oder anderer Angebote? Gut möglich. Ich verzichte aber gerne und wende mich vielleicht einfach lieber gleich einem anderen Anbieter zu.“