29. April 2022, 10:38 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Erstmals seit 2011 verzeichnet Netflix rückläufige Zahlen bei seinen Abonnenten. Nun äußerte sich der Streaming-Dienst zu möglichen Gründen für den Abwärtstrend und wie sich das auf zukünftige Pläne auswirken könnte.
Netflix ist eine feste Größe auf dem hart umkämpften Streaming-Markt. Zwar drücken Konkurrenten wie Disney+ ordentlich nach, bisher zeigte die Kurve der Abonnenten bei Netflix aber trotzdem stets nach oben – bis jetzt. Laut Quartalsbericht sank die Anzahl zahlender Kunden im ersten Viertel des Jahres 2022 von 221,84 Millionen auf 221,6 Millionen, was einen Rückgang von gut 200.000 bedeutet. Die Zahlen wirken sich auch negativ auf den Aktientrend aus. Nun zieht Netflix gleich mehrere Maßnahmen in Erwägung, um die Bilanz wieder zu verbessern.
Mit im Gespräch: Kürzere Staffeln oder auch ein werbefinanziertes Modell, bei dem die Kunden künftig einzelne Werbeclips gezeigt bekämen. Auch gegen illegales Account-Sharing will man noch härter durchgreifen.
Programm-Änderungen betreffen alle Nutzer
Netflix möchte in Zukunft wohl Kosten reduzieren und das Programm besser auswählen. Aus Netflix-Kreisen hört man beispielsweise, dass es kaum noch Talk Shows und Musicals geben wird, da diese Genres nicht mehr so beliebt sind. Zumindest wird das Geld in andere Bereiche wie Dokumentationen und ungescriptete Reality-Shows gesteckt.
Bedeutend härter sollen dann aber die Kürzung von Serien im Allgemeinen und Episoden im Besonderen ausfallen. Dieser Trend ist bereits zu erkennen. So hat die zweite Staffel der Serie „Matrjoschka“ (eng. „Russian Doll“) eine Folge weniger als die erste Staffel. Nicht das einzige Beispiel für kürzere Staffeln. Wer sich fragt, wie eine Folge weniger Netflix aus der Misere helfen soll, muss sich die teils enormen Produktionskosten verdeutlichen. So soll eine Folge „Stranger Things“ rund 30 Millionen Dollar kosten.
Apropos „Stranger Things“: Solche teuren Produktionen wird Netflix wohl nicht mehr in Masse produzieren. Effektivität ist stattdessen gefragt. Man sucht wohl eher nach günstigeren Produktionen, die trotzdem viel einspielen. Bestes Beispiel dafür ist „Squid Game“. Diese Experimente können aber auch schiefgehen. Dann bekommen Nutzer schlichtweg weniger Qualität.
Der letzte Hebel ist das Kürzen einzelner Folgen. Auch diese Möglichkeit steht im Raum und soll wohl umgesetzt werden. Netflix-Managerin Bela Bajaria sagt dazu jedoch, dass kürzere Folgen keine wirtschaftlichen, sondern nur kreative Gründe hätten.
Sehen wir bald Werbung bei Netflix?
Als Reaktion auf die Zahlen könnte Netflix einen weiteren radikalen Schritt gehen. Vorstandschef Reed Hastings äußerte sich in der Vergangenheit noch eindeutig ablehnend zu der Idee, auf Netflix Werbung zu zeigen. Plötzlich schlägt Hastings nun ganz andere Töne an. Das Unternehmen gehe davon aus, in den nächsten ein oder zwei Jahren eine werbegestützte Streaming-Strategie festzuschreiben. Man sei der Idee, etwa ein günstigeres Modell, das mit Werbung verbunden sei, anzubieten, sehr offen gegenüber. Seinen Sinneswandel begründete der Netflix-Chef mit größeren Wahlmöglichkeiten für die Nutzer.
„Aber so sehr ich ein Fan davon (Abo ohne Werbung, Anm. d. Red.) bin, ich bin ein noch größerer Fan von Wahlmöglichkeiten für den Verbraucher. Und Verbrauchern, die einen niedrigen Preis haben möchten und werbetolerant sind, so etwas zu ermöglichen, macht sehr viel Sinn.“
Reed Hastings, Variety
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Account Sharing soll härter bestraft werden
Dass sich teilweise mehrere Personen einen Netflix-Account teilen, ist bekannt und innerhalb eines Haushalts auch erlaubt. Darüber hinaus jedoch nicht. Als Folge der schlechten Quartalszahlen will Netflix künftig noch härter gegen das illegale Account Sharing vorgehen. Laut COO Greg Peters wolle man dafür innerhalb eines Jahres Zusatzgebühren für geteilte Konten erheben. In einigen Ländern Südamerikas wird diese Praxis bereits getestet.
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Das steckt hinter dem Kundenschwund bei Netflix
Generell ist seit einiger Zeit zu beobachten, dass sich das Netflix-Wachstum verlangsamt. Das könne man generell auf den großen Wettbewerb und die inzwischen hohe Durchdringung der Haushalte zurückführen, so Netflix. Ansonsten führt der Streaming-Dienst wirtschaftliche Folgen der Pandemie und den russischen Krieg in der Ukraine als Hauptgrund für die neuen schlechteren Zahlen an. In einem Brief an die Aktionäre heißt es dazu unter anderem:
„Makrofaktoren, darunter schleppendes Wirtschaftswachstum, steigende Inflation, geopolitische Ereignisse wie Russlands Invasion in der Ukraine und einige anhaltende Störungen durch COVID, haben ebenfalls einen Einfluss.“
Netflix
Netflix deaktivierte als Reaktion auf den Angriffskrieg unter anderem 700.000 Kundenkonten in Russland. Weitere Hunderttausende Abonnenten verlor der Streaming-Dienst in Folge der erhöhten Preise in den USA und Kanada. Netflix selbst führt außerdem die weiterhin verbreitete illegale Mehrfachnutzung der Konten an. Schätzungsweise 100 Millionen Haushalte würden das Streaming-Angebot bereits nutzen, ohne selbst dafür zu bezahlen, so Netflix.
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Netflix immer noch deutlich vor Disney+
Auch wenn Netflix nun das erste Mal seit über zehn Jahren einen Abwärtstrend zeigt, liegt es immer noch vor der Konkurrenz. Zum Vergleich: Im Februar 2021 verzeichnete Disney+ auf Platz 2 130 Millionen Abos – eine Differenz, die es im vergangenen Jahr nicht aufgeholt haben kann. Und trotz weniger Nutzern verzeichnete Netflix auch in diesem Quartal einen Gewinn von 1,6 Milliarden US-Dollar. Für die kommenden Monate rechnet der Streaming-Dienst allerdings erneut mit weniger Abonnenten. Ob es dann weitere Konsequenzen gibt, bleibt abzuwarten.
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