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Test von Google und Aktion Mensch

Mehrheit der großen Online-Shops in Deutschland nicht barrierefrei

Kreditkarte in einem Mini-Einkaufswagen auf einem Laptop.
Wie es um die Barrierefreiheit von Online-Shops bestellt ist, untersuchte eine neue Studie. Foto: Getty Images/sakchai vongsasiripat
Woon-Mo Sung
Redakteur

10. Juli 2024, 19:04 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Zum zweiten Mal haben Google, Aktion Mensch und weitere Partner die Barrierefreiheit von Online-Shops unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist ernüchternd.

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Wozu noch den Fuß in einen Laden setzen, wenn man ganz bequem zu Hause am Rechner die Wunschartikel bestellen kann? Heutzutage können Verbraucher aus einer Vielzahl an Kaufportalen im Internet wählen. Für Menschen mit Behinderungen sind sie sogar ganz besonders wichtig. Umso dringlicher ist ein Blick auf die Barrierefreiheit von Online-Shops in Deutschland. Ein neuer Test zeigt auf, dass es bei vielen Anbietern noch dringend Nachholbedarf gibt.

Barrierefreiheit von Online-Shops auf dem Prüfstand

Den neuen Test zur Barrierefreiheit von Online-Shops in Deutschland haben insgesamt vier Partner auf den Weg gebracht: die Google Germany GmbH, Aktion Mensch e. V., Stiftung Pfennigparade und BITV-Consult. Gemeinsam führte der Zusammenschluss das Vorhaben nach 2023 zum zweiten Mal durch.

Die Notwendigkeit für ein barrierefreies Shopping-Erlebnis im Netz liegt auf der Hand: Dem Testbericht zufolge leben in Deutschland 7,8 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, die auf reine Tastatursteuerung, Braille-Zeilen, Joysticks oder Vorlesefunktionen setzen. Viele weitere leben zudem mit einer schwächeren Behinderung oder Beeinträchtigung.

Aber gerade diese Personengruppe nutzt das Internet überdurchschnittlich viel und kauft dementsprechend oft online ein. Dem Bericht nach gehen 61 Prozent oder Betroffenen so vor, aber nur 51 Prozent der Menschen ohne Beeinträchtigung nutzen Internetportale zum Einkaufen. Gründe für die erstgenannte Gruppe sind vor allem die eingeschränkte Mobilität und die Vermeidung unnötiger und anstrengender Wege.

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Diese 8 Kriterien standen im Fokus

Um die Barrierefreiheit von Online-Shops zu überprüfen, schauten sich die Verantwortlichen die „Web Content Accessibility Guidelines“ des World Wide Web Consortiums (W3C) an – also Richtlinien für die digitale Barrierefreiheit. Aus diesen wählte man acht, auf die sich der Test konzentrieren sollte. Das sind:

  1. Tastaturbedienbarkeit: Grundlegender Aspekt, auf den viele andere aufbauen – kann jemand die Website nur mit einem Keyboard navigieren?
  2. Beschriftungen, Labels oder Anweisungen: Ein Label muss zum Beispiel klar beschreiben, was für ein Input vom User verlangt wird.
  3. Textgröße ändern: Inhalte müssen auf bis 200 Prozent vergrößert werden können, ohne dass Informationen und Funktionalität darunter leiden.
  4. Kontraste von Text und Grafiken: Grafische und Bedienelemente sowie Symbole und Texte müssen durch ausreichenden Kontrast lesbar sein.
  5. Multimediale Inhalte: Produktvideos sollten unter anderem auch Untertitel und Audiodeskription zur Verfügung stellen.
  6. Pausieren, beenden, ausblenden: Videos, aber auch Bild-Slider, sollten von selbst anhalten können. Sie können sonst sehr ablenken und Menschen können Probleme haben, die nur kurz gezeigten Informationen zu erfassen.
  7. Überschriften und Beschriftungen: Müssen den zugehörigen Inhalt korrekt bezeichnen und unterscheidbar sein. Mehrere gleichlautende Überschriften gilt es von daher zu vermeiden.
  8. Name, Rolle, Wert: HTML-Bedienelemente sollten so programmiert sein, dass sie mit unterstützenden Technologien vermittelt und dann auch nutzbar werden. Es sollte zum Beispiel möglich sein, dass eine Vorlesefunktion mitteilt, ob ein Menüpunkt gerade offen oder aktiv ist. In diesem Zusammenhang sind hinterlegte Alternativtexte sehr wichtig für klare Informationen. „Name“ kann also die eindeutige Bezeichnung eines Menüs sein, „Rolle“ bezeichnet Typ und Verhalten (Button, Link) und „Wert“ kann ausdrücken, ob ein Häkchen in einem Kasten gesetzt wurde oder ob ein Menü gerade ausgeklappt ist.

Die Tastaturbedienbarkeit stellte für den Test das wichtigste Kriterium dar. Versagte ein Online-Shop bereits in diesem Punkt, erübrigte sich dessen Untersuchung auf die weiteren Faktoren.

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So lief der Test auf Barrierefreiheit von Online-Shops ab

Wie schon 2023 schaute man auf die Top-500-Websites in Deutschland, gemessen an ihrem Traffic. Von diesen wählte man 71 Plattformen mit einem E-Commerce-Web-Shop aus, der eine vollständige „User Journey“ anbietet – also vom Durchsuchen der Datenbank nach passenden Waren bis hin zum Kaufabschluss.

Für den Test bewertete das Team zunächst nur die Tastaturbedienbarkeit. Erst wenn diese gegeben war, schaute man im nächsten Schritt auf die weiteren Faktoren anhand der kompletten „User Journey“. Den reinen Bezahlvorgang berücksichtigte man aber nicht mehr, da viele Seiten auf externe Dienste zurückgreifen, die allesamt sehr unterschiedlich ausfallen können.

Zu den untersuchten Websites gehören bekannte Marken und Konzerne wie Amazon, Otto, Media Markt und Saturn, Lidl, Zalando oder Ikea. Obwohl es bei der gesamten Liste vornehmlich um deutschsprachige Angebote geht, finden sich auch vereinzelt internationale Webauftritte wieder wie amazon.com oder ebay.com.

Tastaturbedienbarkeit – Barrierefreiheit bei Online-Shops enttäuscht

Das Testresultat lässt sehr zu wünschen übrig. Von den 71 Seiten boten nur 15 eine ausreichend gute Tastaturbedienbarkeit an. Damit hatte sich nur weniger als ein Viertel der untersuchten Websites für die nähere Betrachtung qualifiziert, wobei ihr prozentualer Anteil von 22 auf 21 Prozent sogar leicht sank.

Häufigstes Problem war ein fehlender Tastaturfokus. Das heißt, es war nicht ersichtlich, welches Bedienelement gerade ausgewählt war. Auch falsche oder unlogische Tab-Reihenfolgen stellten die Tester fest. Aber auch darüber hinaus bemängelt man einen wiederholt schlechten Kontrast und die fehlende Möglichkeit, Pop-ups zu schließen, was die Navigation der Hauptinhalte verhinderte.

Beschriftungen, Labels oder Anweisungen

In dieser Kategorie konnten immerhin 9 der übrig gebliebenen 15 Web-Shops punkten, was einen Anteil von 60 Prozent ergibt. Im Vorjahr qualifizierten sich allerdings noch 17 Portale, von denen sogar 100 Prozent gute Beschriftungen anzeigten.

Für 2024 hebt Aktion Mensch das Online-Einrichtungshaus xxxlutz.de positiv hervor.

Textgröße ändern

73 Prozent der Shops und damit 11 von 15 bieten die Möglichkeit, die Textgröße für bessere Lesbarkeit zu verändern. 2023 waren es noch 15 von 17 und 88 Prozent.

In dieser Sparte überzeugte zalando-lounge.de, wo die einfache „Pinch to Zoom“-Geste funktioniert. Allerdings muss man einschränkend erwähnen, dass Personen mit eingeschränkter Bewegung auch damit Probleme haben können.

Kontraste von Text und Grafiken

12 der 15 Online-Shops und damit 80 Prozent wiesen gute Kontraste für ausreichende Sichtbarkeit der Grafiken und Texte auf. Einen Vergleich zu 2023 gibt es hingegen nicht, da man im vergangenen Jahr einen entsprechenden Test nicht durchführte. Stattdessen schaute man sich den Textabstand an, den 94 Prozent (16 von 17) erfüllten.

Klare Kontraste von Text und Bedienelementen sah man vor allem bei nike.com.

Multimediale Inhalte

Von den 15 Plattformen hatten sechs Video- oder Audioinhalte in der direkten „User Journey“ eingebaut. Doch nur bei einer gab es überhaupt Untertitel. Diese fehlten anderswo genauso wie alternative Möglichkeiten bei stummen oder gar reinen Audioformaten. Zum Beispiel fehlten auch Audiodeskriptionen für Videos, die nur mit Musik untermalt waren, damit Menschen mit Sehschwäche trotzdem einen Eindruck von den Bildschirminhalten erhielten.

2023 gab es ebenfalls nur einen Shop, der Untertitel anbot. Für dieses Jahr wird apple.com lobend erwähnt, mit Untertiteln sowie der Option für eine zusätzliche Transkription. Sogar Gebärdensprache kann angezeigt werden.

Pausieren, Beenden, Ausblenden

Bei diesem Kriterium gibt es eine deutliche Verbesserung zum Vorjahr zu vermelden. Denn 2023 bot keiner von 17 Online-Shops ausreichende Möglichkeiten zum Pausieren, Beenden oder Ausblenden von blinkenden oder animierten Elementen an.

2024 boten im Test 11 Websites derartige Elemente, 5 von ihnen erfüllten die Testkriterien. Das entspricht einem Anteil von 45 Prozent. Besonders gut schnitt qvc.de ab, da dort Videos automatisch auf stumm starteten (wodurch der Ton nicht stört) und es kann jederzeit angehalten werden.

Überschriften und Beschriftung

Auch hier stellte das Test-Team im Vergleich zu 2023 eine deutliche Verbesserung fest: 2023 wies von 17 untersuchten Seiten nur eine einzige sinnvolle Überschriften auf. 2024 sind es 14 von 15 Einkaufsportalen, was immerhin einem Anteil von 93 Prozent entspricht.

Ikea.com punktete hier besonders. Exemplarisch nennt man das Inhaltsverzeichnis einer Produktseite, das vollständige und präzise Überschriften an den richtigen Stellen bot.

Name, Rolle, Wert

Auch beim letzten Testkriterium konnte man eine Verbesserung beobachten. Der Anteil der Seiten, deren Programmierung die hilfstechnologisch korrekte Übermittlung von wichtigen Informationen begünstigt, stieg von 71 auf 93 Prozent.

Das Online-Portal für die Drogeriekette dm fiel positiv auf. Zum Beispiel wurden bei aktivierter Sprachunterstützung der Name des Eingabefeldes, seine Rolle und sein Wert korrekt wiedergegeben.

Der Zeitdruck wächst für Shop-Betreiber

Trotz partieller Verbesserungen ist das Gesamtergebnis alles andere als gut. Die große Mehrheit der Website-Betreiber steht damit unter politischem Zugzwang, schnellstmöglich die Barrierefreiheit ihrer Online-Shops drastisch zu erhöhen. Denn am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) auf Basis der europäischen Barrierefreiheitsrichtlinie in Kraft.

Wer ab diesem Tag keine barrierefreien Angebote zur Verfügung stellt, muss mit Abmahnungen oder sogar Bußgeldern rechnen. Dabei profitieren am Ende alle Kunden von den Maßnahmen – mehr Übersichtlichkeit und Bedienbarkeit hat wirklich niemandem geschadet. Aktion Mensch hebt hierbei die Chancen künstlicher Intelligenz hervor, da sie bei der Erstellung und Implementierung von passenden Neuerungen behilflich sein kann.

Barrierefreiheit auch große Chance für Unternehmen

Auch die Konzerne selbst haben langfristig etwas davon. Schließlich geht es um mehrere Millionen Kunden, die über eine entsprechende Kaufkraft verfügen. Schließt man diese aus, gehen schlicht und ergreifend jede Menge potenzielle Einnahmen verloren.

Wie jeder einzelne der untersuchten Shopping-Auftritte genau abschnitt, ist nicht bekannt. Aktion Mensch antwortete auf Anfrage von TECHBOOK, dass man kein Ranking veröffentlichen wolle, um zum Beispiel keine „vermeintlichen Negativbeispiele herauszustellen.“

Statement von Otto

TECHBOOK hat exemplarisch bei Amazon, Media Markt und Saturn sowie Otto nachgefragt, wie sie das Thema Barrierefreiheit bei sich einschätzen und welche Pläne es diesbezüglichen gibt.

Von Otto heißt es hierzu, dass man noch viel zu tun habe, um bis 2025 mit den geplanten Maßnahmen fertig zu werden. Dabei gibt es auch einige Herausforderungen zu meistern:

„Die Tücke steckt im Detail. Um ein Beispiel zu nennen: Viele Blinde arbeiten mit speziellen Programmen, die Texte von Internetseiten vorlesen. Die haben wir auch mittlerweile über Schnittstellen implementiert, stellten bei Tests aber fest, dass auch unwichtige oder überflüssige Sachen vorgelesen werden, die die Nutzer dann nur verwirren. Hier muss dann mühselig „per Hand“ angepasst werden, sprich umprogrammiert werden. Das kostet Zeit und macht die Umsetzung immer wieder herausfordernd.“

Sprecher von Otto

Auch Anpassungen bei Bildbeschreibungen auf den Produktseiten sind noch notwendig. Man sei allerdings guter Dinge, es zu schaffen.

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Statements von Amazon und MediaMarktSaturn

Auch die anderen Betriebe haben sich zu Wort gemeldet. Eine Sprecherin von MediaMarktSaturn teilte TECHBOOK mit, dass man derzeit an der „Strategie zur Barrierefreiheit auf unseren Onlineshops“ arbeite und man die nächsten Schritte prüfe. Allerdings könne man zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen.

Amazon wiederum teilte uns Folgendes mit:

„Wir begrüßen Initiativen zur Verbesserung der Barrierefreiheit und verfolgen bei Amazon einen kundenorientierten Ansatz. Deshalb liegt unser Hauptaugenmerk darauf, die Anforderungen zu erfüllen, die Kunden in Bezug auf die Barrierefreiheit haben. In der Tat bekennt sich Amazon seit vielen Jahren zu einer Kultur der Barrierefreiheit. In vielen Bereichen haben wir bereits proaktiv Anstrengungen unternommen, barrierefreie Funktionen anzubieten – selbst dann, wenn dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

Denn wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, für unsere Kunden ein inklusives Erlebnis zu schaffen. Wir arbeiten deshalb rückwärts von diesen Kundenbedürfnissen ausgehend, unser Ansatz basiert dabei auf zahlreichen Richtlinien zur Barrierefreiheit und bewährten Branchenverfahren. Wir glauben an die kontinuierliche Verbesserung unserer Kundenerfahrung, um sicherzustellen, dass alle Kunden barrierefrei mit den Produkten und Dienstleistungen von Amazon interagieren können. Wir verfolgen diesen Ansatz, weil Amazon weltweit an hochdynamischen und sich ständig entwickelnden Online-Erfahrungen arbeitet, um Kunden seine Dienste anzubieten.“

Sprecherin von Amazon

Zusätzlich verweist das Unternehmen auf einer Infoseite auf bereits bestehende Optionen zur Barrierefreiheit zur Nutzung der Webseite.

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