17. Januar 2025, 8:30 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Wird KI im Recruiting bereits eingesetzt? Und falls ja, in welchem Umfang? TECHBOOK hat hierzu bei namhaften Unternehmen nachgehakt.
Man muss noch nicht einmal die Tech-Welt aktiv mitverfolgen, um zu wissen, dass sich seit einigen Jahren die Verwendung von künstlicher Intelligenz ausbreitet. Ganze Dienste und Arbeitsprozesse finden mittlerweile mit ihrer Hilfe statt oder werden gegenwärtig zu diesem Zweck angepasst. Auch im Alltag halten diesbezügliche Entwicklungen immer stärker Einzug: ChatGPT unterstützt Arbeitnehmer wie Privatpersonen beim Verfassen von Texten, während Apple Intelligence nur eine von mehreren Neuerungen ist, die Smartphone-Nutzer unter die Arme greifen sollen. Wer auf der Suche nach einem neuen Job ist, muss ebenfalls damit rechnen, auf künstliche Intelligenz in irgendeiner Form zu stoßen. Dazu hat TECHBOOK mehrere Unternehmen gefragt, ob und wenn ja in welchem Umfang sie KI im Recruiting verwenden.
Übersicht
- Extremfall für KI im Recruiting
- Diese Unternehmen verwenden KI im Recruiting
- Mehr Inklusion, weniger Vorurteile
- „Alle auf die Pole Position“
- Einfacher bewerben mit KI-Hilfe
- Stärkerer Fokus auf Talente
- Weg von der klassischen Lebenslauf-Überprüfung
- Kristallkugel KI bei der Telekom
- Nach der Bewerbung ist vor den Alternativen
- Aktuelle Herausforderungen
- Sollte man sich besser auf Englisch bewerben?
- Der Faktor Mensch und ein Blick in die Zukunft
Extremfall für KI im Recruiting
In aller Munde ist künstliche Intelligenz erst seit einigen Jahren. Entsprechend befindet sich ihre Implementierung in verschiedenen Bereichen derzeit noch im Aufschwung. Während einige dabei mit einer gesunden Zurückhaltung und Vorsicht agieren, preschen andere deutlich schneller voran. Von einem Extrembeispiel hat der Marketing-Experte Jack Ryan auf seinem LinkedIn-Profil berichtet.
Er befand sich auf der Suche nach einer neuen Anstellung. Als er im Zuge eines Bewerbungsprozesses zu einem Gespräch eingeladen wurde, staunte er nicht schlecht: Statt einer echten Person empfing ihn ein computergenerierter Avatar. Die künstliche Frau gab eine Einführung und erläuterte unter anderem, dass sie es hilfreich findet, wenn Kandidaten ihre Antworten in Geschichten verpacken würden. „Nicht sicher, ob ich beeindruckt, baff oder verängstigt ein soll“, schrieb Ryan zu seinem Beitrag. „Offensichtlich verrät es mein Gesicht.“ Aber sehen Sie selbst:
Ob Jack Ryans Erfahrung nur ein besonders kurioses Einzelbeispiel darstellt oder bereits in eine Zukunft weist, in der eine Maschine alle Schritte im Bewerbungsprozess übernimmt, wird erst die Zeit zeigen.
Diese Unternehmen verwenden KI im Recruiting
So weit ist man in Deutschland jedenfalls noch nicht. Trotzdem befindet sich KI im Recruiting bereits in Nutzung. Doch wo und in welchem Umfang? Dazu hat TECHBOOK insgesamt 26 Unternehmen zu dieser Thematik angefragt.
Bei sieben von ihnen (27 Prozent) wird bereits aktiv KI an unterschiedlichen Stellen im Recruiting genutzt, wobei eines (Eon) keine näheren Informationen dazu offenbarte. Zwei Konzerne verwenden sie zwar aktuell nicht, haben aber bereits Interesse signalisiert, sich in Zukunft stärker mit ihr für die Einstellung neuer Mitarbeiter auseinanderzusetzen. Ein Unternehmen schaut sich KI bereits „intensiv“ an, gab aber darüber hinaus noch keine Details preis. Die Mehrheit der angefragten Betriebe nutzt entweder noch keine KI und hat diesbezüglich keine Bestrebungen kommuniziert. Oder sie haben schlichtweg keine Antworten gegeben.
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Folgende Unternehmen haben wir um Rückmeldung gebeten:
Aktive KI-Nutzung im Recruiting
Deutsche Telekom
Deutsche Bahn
DHL
Henkel
Allianz
Vodafone
Eon
Noch keine Nutzung, aber interessiert
BMW
Deutsche Bank
Auseinandersetzung mit KI, aber keine Details
Edeka
Keine Nutzung oder keine Antworten geliefert
SAP
Lufthansa
Mercedes-Benz
Zalando
Porsche
Amazon
Bayer
Vonovia
Siemens
ProSieben-Sat.1
Adidas
VW
Bosch
Rewe
Mehr Inklusion, weniger Vorurteile
Die Einsatzmöglichkeiten für KI im Bewerbungs- und Einstellungsverfahren sind vielfältig. Ihnen ist grundsätzlich gemein, dass Unternehmen möglichst große Datenmengen nach bestimmten Kriterien in sehr kurzer Zeit scannen und filtern möchten. Auch bei der Erstellung von Ausschreibungen kann sie helfen. Während die Deutsche Bahn in diesem Punkt noch nicht aktiv ist und den dahingehenden Einsatz prüft, sind andere schon weiter. Vodafone nutzt hierfür zum Beispiel eine interne KI.
Dabei geht es nicht nur um einen schnelleren, da automatisierten Prozess. So teilte die Allianz TECHBOOK unter anderem Folgendes mit: „Ein auf Augmented Reality basiertes Tool weist unsere Recruiter darauf hin, wenn zu viele Abkürzungen, schwer verständliche Begriffe und zu weiblich oder männlich konnotierte Wörter verwendet werden, und schlägt direkt Alternativen dazu vor.“ Das heißt, die Maschine hilft hier, Ausschreibungen inklusiv zu gestalten, indem möglichst alle Menschen angesprochen werden sollen.
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Dieser Punkt ist aber nicht nur vor der eigentlichen Bewerbung, sondern auch danach von großer Relevanz. Im Gespräch mit TECHBOOK verwies Miriam Schmid, Leiterin des Recruitings der Deutschen Telekom, auf die vor einigen Jahren gescheiterte Rekrutierungs-KI von Amazon. Diese sollte den Einstellungsprozess vereinfachen, schlug dann aber überwiegend nur männliche Kandidaten vor.
„Alle auf die Pole Position“
Die Telekom und Vodafone nutzen für die Überprüfung aller Bewerbungen Eightfold AI. Dabei kommen der KI verschiedene Aufgaben und Zwecke zu. Einer davon ist, sogenannte „Bias-Unterscheidungen“, also Vorurteile, zu vermeiden, wie Vodafones HR-Chefin Felicitas von Kyaw mitteilt. Diesen Vorteil nutzt auch das Personalwesen bei der Telekom.
Nicht nur ermöglicht Eightfold beim Mobilfunkanbieter die Berücksichtigung eines erheblich größeren Bewerberpools als sonst üblich: 197.000 Profile statt der typischen 200 könne man so bearbeiten. Zugleich „bringt die Maschine zunächst allesamt auf die Pole Position“ wie Schmid erklärt. Die Startvoraussetzungen sind also für alle gleich. Erst in den nächsten Schritten nimmt man weitere berufs- und unternehmensrelevante Faktoren genauer unter die Lupe. Dazu betont Miriam Schmid von der Telekom:
„Wir bringen der Maschine aber auch bei, was wichtig ist im nächsten Schritt und wer Teil unserer Kultur werden darf. Und damit lernt die Maschine ja eigentlich auch aus unterschiedlichen Perspektiven, dass es nicht eine ‚One size fits all‘-Lösung gibt, sondern dass es ein sehr bunter Blumenstrauß an Menschen ist und auch eine sehr bunte Entscheidungsfindung.“
Einfacher bewerben mit KI-Hilfe
Kandidaten können bereits früh im Bewerbungsprozess mit künstlicher Intelligenz direkt oder indirekt in Kontakt kommen. Bei der Deutschen Bahn ist beispielsweise ein Chatbot im Einsatz. Dieser unterstützt bei der Jobsuche, beantwortet Fragen und kann sogar die Bewerbung via Sprachinteraktion durchführen. Sollte er aber einmal doch an seine Grenzen stoßen, übernimmt das Service-Team die Kommunikation im Live-Chat.
Die menschliche Komponente bleibe erhalten, so die Bahn. „Wichtig ist hierbei, dass der Chatbot keine Bewertungen oder Analysen der Bewerbungen vornimmt, sondern lediglich den Bewerbungsprozess erleichtert.“
Auch die DHL Group setzt „bei der Erstellung von Stellenprofilen, bei Stellenanzeigen und bei der Empfehlung von Jobs an Bewerberinnen und Bewerber künstliche Intelligenz ein“. Dadurch verbessere sich die Bewerbererfahrung, vor allem weil sie schnellere und personalisierte Reaktionen erhalten.
Bei Vodafone und der Allianz nutzt man sie ebenfalls für passende Inserate – bei Letzteren aber derzeit nur bei „allen englischsprachigen Einheiten innerhalb der Allianz Gruppe“. Eine Begründung, weshalb, hat uns das Versicherungsunternehmen nicht mitgeteilt.
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Stärkerer Fokus auf Talente
Im Kern soll es aber stets darum gehen, die besten neuen Mitarbeiter mit dem richtigen Job zusammenzubringen. Bei der Allianz arbeitet man gegenwärtig an der Automatisierung des Abgleichs „von CVs von Kandidat:innen mit unseren vorhandenen Stellenausschreibungen, um die Jobsuche noch schneller und passgenauer gestalten zu können.“
Bei Henkel hilft die KI unter anderem bei „der Vorsortierung und dem Clustern von Daten, zum Beispiel auch Bewerberdaten“. Die DHL wiederum spricht davon, „gezielt Kandidaten mit den benötigten Qualifikationen“ identifizieren und ansprechen zu können. Auch die Telekom und Vodafone gehen so vor, wobei sie unabhängig voneinander die Bedeutung der „Skills“, also der konkreten Fähigkeiten und Talente der Bewerber, hervorheben.
Weg von der klassischen Lebenslauf-Überprüfung
Wie die Telekom erklärt, geht es darum, die bisherige Inspektion von Lebensläufen hinter sich zu lassen. Stattdessen wolle man stärker auf die Fähigkeiten schauen und hierzu muss man die Maschine entsprechend trainieren beziehungsweise kalibrieren. Diese analysiert alle eingehenden Bewerbungen auf die vorhandenen Talente einer Person und erlaubt so eine Vorauswahl. Das wiederum ermöglicht akkuratere Stellenvorschläge.
Das ergibt Sinn, wenn sich der Bewerber im Job-Portal bewirbt, jedoch ohne konkrete Vorstellungen. Oder aber man könne auf diesem Wege etwaige blinde Flecken füllen und ihm etwas zeigen, woran er vielleicht selbst noch nicht gedacht hat.
Zusätzlich erklärt Felicitas von Kyaw von Vodafone: „Stellenausschreibungen werden dabei mit Hilfe von KI verschlagwortet. Die KI von Eightfold erstellt zudem automatisch einen KI-basierten Match Score jeweils zwischen den Bewerbern und der ausgeschriebenen Stelle. Dieser Match-Score dient dabei immer als Empfehlung.“
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Kristallkugel KI bei der Telekom
Bei der Telekom schaut man darüber hinaus nicht nur auf die Fähigkeiten und Talente, die jeder zum Zeitpunkt der Bewerbung mitbringt. Die künstliche Intelligenz soll auch in der Lage sein, Vorhersagen treffen zu können.
Auf diese Weise möchte man sehen, „ob sich bestimmte Talente für eine Stelle vielleicht noch entwickeln können und ob die Person ein guter Fit werden könnte“. Im Auswahlverfahren wird also bereits die Zukunft des Kandidaten mitberücksichtigt.
Nach der Bewerbung ist vor den Alternativen
Ist einmal die richtige Person für die passende Stelle besetzt worden, stellt sich schnell die nächste Frage: Was passiert mit den anderen Bewerbern? „Die sind alle noch vorhanden und dafür ist die KI dann da“, heißt es von Seiten der Telekom. Schließlich wird jeder Teil eines Talentpools, in dem er zukünftig neue Empfehlungen erhält. Dabei könne man selbst entscheiden, wie sichtbar man für eine oder mehrere Stellen sein möchte, „ob national oder global“.
Dieses Vorgehen klingt auch bei Vodafone an und insbesondere bei der Deutschen Bahn. Auch dort sollen mit Hilfe einer Alternativprüfung nach einem Bewerbungsverfahren verbliebene Kandidaten Chancen auf andere Stellen erhalten. „Das spart Zeit und Kosten, da wir die Bewerbenden, die bereits einen Bewerbungsprozess durchlaufen haben, nicht erneut suchen müssen“, erklärt ein Sprecher der Bahn.
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Aktuelle Herausforderungen
Warum die Allianz KI-Dienste für die Erstellung von Inseraten vorerst nur in den englischsprachigen Units des Unternehmens bereitstellt, hat man TECHBOOK zwar nicht verraten. Äußerungen der Telekom liefern jedoch eine mögliche Erklärung.
Denn dort heißt es, dass Eightfold „sehr stark auf englische Lebensläufe trainiert worden ist“. Deutsch, aber auch andere Sprachen, würden demnach eine Herausforderung darstellen, „weil am Ende das, was die Maschine lernt, auch das ist, womit sie umgehen kann. Und Englisch ist eine Sprache, die unkompliziert und häufig genutzt wird. Da haben wir noch einiges vor uns, um das wirklich passgenau für uns zu machen.“
Sollte man sich besser auf Englisch bewerben?
Ob man demnach bessere Chancen hätte, wenn man einen englischsprachigen Lebenslauf einsendet, wollte TECHBOOK wissen. Dazu heißt es:
„Das würde ich jetzt so nicht unbedingt bejahen, weil das natürlich auch damit zusammenhängt, ob die Stelle auf Deutsch oder Englisch ausgeschrieben ist, da entsteht ja bereits das erste Matching. Das kann ich jetzt nicht beurteilen, bejahen oder verneinen. Nichtsdestotrotz ist es manchmal einfacher mit Englisch oder englischen Wörtern, schneller ein Matching zu erreichen.“
Miriam Schmid, Recruiting-Leiterin Deutsche Telekom
Es ist also zumindest anzunehmen, dass dies auch der Grund dafür ist, weshalb man bei der Allianz KI vorerst nur auf Englisch einsetzt.
TECHBOOK-Recherche Diese deutschen Top-Unternehmen nutzen bereits KI im Bewerbungsprozess
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Der Faktor Mensch und ein Blick in die Zukunft
Die Entwicklung künstlicher Intelligenz und ihr Einsatz im Recruiting bleibt weiterhin spannend. Von den befragten Unternehmen haben BMW und die Deutsche Bank bereits signalisiert, sich in Zukunft mit KI im Recruiting auseinandersetzen zu wollen. Andere arbeiten bereits am Ausbau der internen Einsatzgebiete oder optimieren die bestehenden kontinuierlich weiter. Auch lässt sich darauf spekulieren, dass früher oder später auch bei jenen Betrieben, die sich jetzt noch nicht dazu äußern wollten, KI-gestützte Bewerbungs- und Einstellungsverfahren Einzug halten werden.
Dabei sollte eines nicht aus dem Blick geraten: der Mensch. Fürs Erste sollte Bewerbern ein Fall wie bei Jack Ryan erspart bleiben. Dazu bekennen sich einige Unternehmen mit folgenden Aussagen:
„Trotz der breiten Nutzung von KI bleibt die menschliche Kontrolle in unserem Prozess unverzichtbar! Die KI dient uns als Indikator, aber nicht als Entscheidungsträger.“
Sprecherin der Deutschen Bahn
„Auch in Zukunft bleibt die Humanware entscheidend, nicht die Hardware.“
Felicitas von Kyaw, Vodafone
„Bei uns gibt es kein KI-Männchen, das am Ende ‚Hallo‘ sagt und ein Interview führt. Wir wissen alle nicht genau, wo die Reise hingehen kann und wie das alles in ein paar Jahren aussieht, so schnell, wie sich die Maschinen weiterentwickeln und wie stark sie mittlerweile Emotionen spiegeln können. Ich glaube, da passiert noch einiges.
Aber für den Moment können wir sehr klar Linie beziehen und sagen, dass es immer eine Mischung aus Mensch und Maschine geben wird. Und wir wollen unseren Bewerbern einen persönlichen Eintritt in die Firma ermöglichen. Und der passiert über die Menschen, die da sind, ob das Manager oder Recruiter sind. Ich bin nicht davon überzeugt, dass eines Tages unsere Maschine sagen wird, wen wir alles einstellen sollten. Es wird immer einen menschlichen Touch geben.“
Miriam Schmid, Deutsche Telekom