25. Juni 2024, 9:06 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Julian Assange ist ein australischer Investigativ-Journalist und Gründer der Plattform WikiLeaks. Aufgrund seiner Enthüllungen ist er ins Visier der US-amerikanischen Justiz geraten. Die Verfahren dauern bis heute an.
Diese Geschichte besitzt alles, was einen guten Hollywood-Blockbuster auszeichnet: Kriegsverbrechen, Geheimdienste, juristische Ungereimtheiten, diplomatische Verwicklungen und einen Protagonisten, der polarisiert. Die Story von Julian Assange – dem WikiLeaks-Gesicht – ist im Jahr 2013 im Film „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“ sogar verfilmt worden. Allerdings geht die Geschichte anschließend weiter. Ein Mann auf der Flucht. Was bisher geschah.
Übersicht
Die frühen Jahre von Julian Assange
Bereits als Kind und Jugendlicher prägten ständige Wechsel das Leben des an der australischen Ostküste geborenen Julian Assange. Seine Mutter, Christine Ann Hawkins, sei mit ihm und seinem jüngeren Bruder mehr als 30-mal umgezogen, berichtete er später. Melbourne wurde irgendwann für ihn und seine Familie zur neuen Heimat.
Als Jugendlicher interessierte sich Julian Assange für Computer und Programmierung. Auf einem C64 sammelte er erste Erfahrungen. Schon damals reizte es ihn, Geheimnisse zu enthüllen. Zusammen mit Freunden machte er sich einen Namen in der weltweit wachsenden Hackerszene.
In den frühen 1990er-Jahren flog das illegale Treiben allerdings auf. Julian Assange musste für seine Computerhacks 2100 australische Dollar an Bußgeld entrichten. In der Folge setzte er seine Programmierleidenschaft aber fort und beschäftigte sich intensiv mit der Funktionsweise von Verschlüsselungssoftware.
Ab dem Jahr 2003 begann er zu studieren. Er versuchte sich in Physik und Mathematik, brach sein Studium allerdings im Jahr 2006 ab. Julian Assange war damals davon überzeugt, seine Fakultät würde das US-Militär mit Studien unterstützen, um die Wirkkraft von Militärfahrzeugen zu verbessern – darunter Bulldozer, die von den USA im ersten Irak-Krieg eingesetzt worden sind.
Es ist die Zeit, in der bei Julian Assange der Plan reift, etwas gegen intransparentes Handeln zu unternehmen. Er vertrat die Meinung, Regierungen und Organisationen sollen durch Preisgabe geheimer Informationen gezwungen werden, ihr Handeln öffentlich zu erklären. Das Drama begann: Der Computer-Nerd verwandelte sich zur gefährlichsten Person der Welt.
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Aufstieg von WikiLeaks
Kurz nachdem er sein Studium vorzeitig beendet hatte, ging WikiLeaks bereits online. Zunächst nahm die Öffentlichkeit davon kaum Notiz. Es war einfach eine Website, auf der Menschen anonym geheime Informationen von öffentlichem Interesse hochladen können.
Dafür verfügt WikiLeaks über einen speziellen „Briefkasten“. Dieser anonymisiert die gesendeten Inhalte und den Absender mittels Tor-Technologie, damals ein gänzlich neues Verfahren. Dadurch garantiert WikiLeaks Quellenschutz. Heute verfügen fast alle Redaktionen über solche anonymisierten, digitalen Briefkästen.
Die Anonymisierung geht angeblich so weit, dass nicht einmal WikiLeaks selbst in der Lage ist, die Quelle der Informationen herauszufinden. Dieser Aspekt soll im weiteren Verlauf der Geschichte noch bedeutsam werden.
Tatsächlich veröffentlichte WikiLeaks ab dem Jahr 2007 zum Teil medienwirksame Informationen. Es ging dabei um Korruption in Milliardenhöhe, Giftmüllskandale und Auszüge aus den Toll-Collect-Verträgen im Zusammenhang mit der Lkw-Maut in Deutschland.
Dürfen solche Geheiminformationen einfach so veröffentlicht werden? Journalisten dürfen das. Es ist sogar die wichtigste Aufgabe des Journalismus: Fehlentwicklungen jeglicher Art öffentlich zu machen – Stichwort: vierte Gewalt. Ist Julian Assange ein Journalist? Die Beantwortung dieser Frage spielt im weiteren Verlauf der Geschichte ebenfalls eine wichtige Rolle.
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Enthüllungen und ihre Folgen
Im Jahr 2010 bekam WikiLeaks über den anonymen Briefkasten brisante Dokumente zugespielt. Die Plattform begann im März 2010 zusammen mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“, die geheimen Berichte und Videos zu veröffentlichen.
Besonders das sogenannte „Collateral Murder“-Video sorgte für viel öffentlichen Wirbel. Es zeigt geheime Bilder vom US-Militäreinsatz im Irak und Afghanistan. Zu sehen sind offensichtliche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung durch die US-Militärs.
Die Veröffentlichung machte Julian Assange auf einen Schlag sowohl zum Helden der Informationsfreiheit als auch zum Ziel zahlreicher Regierungen und Geheimdienste – vor allem der US-Behörden. Die WikiLeaks-Enthüllungen lösten weltweit Schock und Empörung aus. In der Folge kam es zu diplomatischen Verwicklungen sowie öffentlichen Debatten über Kriegsführung und Menschenrechte.
Die Bemühungen von WikiLeaks nach mehr Transparenz brachten der Plattform viel Lob von Menschenrechtsorganisationen. Es gab allerdings auch heftige Kritik. Durch die Veröffentlichungen seien rücksichtslos Menschenleben gefährdet worden, lautet der Kern der Kritik. Denn in den von der Plattform veröffentlichten Dokumenten tauchten Namen von Informanten im Klarnamen auf.
Dieser Aspekt und weitere Punkte rückten das WikiLeaks-Gesicht, Julian Assange, zunehmend ins Visier der US-Regierung. Wegen der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente bereiteten die US-Behörden einen umfangreichen Strafbefehl vor. Im schlechtesten Fall drohen Julian Assange in den USA bis zu 175 Jahre Haft.
Flucht in die ecuadorianische Botschaft
Die Geschichte von Julian Assange nahm eine weitere dramatische Wendung. Im Jahr 2012 flüchtete er in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort bat er um diplomatisches Asyl. Julian Assange versuchte damit einer Auslieferung an Schweden aufgrund von Vorwürfen wegen sexueller Belästigung zu entgehen. Die ecuadorianische Regierung gewährte ihm diplomatischen Schutz.
Inzwischen waren die schwedischen, britischen und US-amerikanischen Behörden hinter Assange her. Vor allem eine Auslieferung in die USA wollte der WikiLeaks-Gründer unter allen Umständen verhindern. In der Isolation seines knapp 20 Quadratmeter großen Botschaftszimmers versuchte er mit juristischer Hilfe die Abschiebung abzuwenden.
Große Unterstützung erfuhr Julian Assange durch die Medien. Journalistinnen und Journalisten weltweit forderten die US-Behörden auf, sämtliche Anklagepunkte gegen den Australier fallen zu lassen. Das Vorgehen der USA sei ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus, so die Argumentation.
Die USA hingegen wiesen darauf hin, dass Julian Assange kein Journalist sei. Somit hätte er gegen wesentliche US-Gesetze verstoßen und sich der Spionage schuldig gemacht. Zudem habe der WikiLeaks-Gründer die Quelle der brisanten Militärdokumente gekannt, behauptete die US-Staatsanwaltschaft. Diese Quelle soll er dazu angestiftet haben, weitere geheime Dokumente zu besorgen. Das habe sich aus den Verhören der Quelle ergeben. Dieser Vorwurf wog am schwersten. Die USA machten aus Julian Assange einen gefährlichen Staatsfeind.
Die Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung sind von der schwedischen Staatsanwaltschaft im Jahr 2017 teilweise fallen gelassen worden. Zum einen waren einige Vorwürfe inzwischen verjährt, zum anderen hatten sich Widersprüche in den polizeilichen Verhörprotokollen ergeben.
Julian Assange saß allerdings weiter in seinem Käfig. Vor der Botschaft wartete Tag für Tag die britische Polizei, weil er mit seiner Flucht gegen Kautionsauflagen verstoßen habe. Obwohl der WikiLeaks-Gründer sich eigentlich frei bewegen könnte, drohte ihm beim Verlassen des Gebäudes eine Inhaftierung. Viel größer wog allerdings seine Angst vor einer anschließend drohenden Auslieferung durch die britischen Behörden an die USA.
Verhaftung und juristischer Kampf
Diese rückte im Jahr 2019 näher. Sieben Jahre nach seiner Aufnahme hob die neue Regierung Ecuadors den diplomatischen Schutz für Julian Assange auf. Er musste die Botschaft verlassen. Begleitet von den Blicken zahlreicher Kameras, wurde er sofort festgenommen.
Fünf Jahre saß Julian Assange daraufhin im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London. Über seinen Gesundheitszustand erfuhr die Öffentlichkeit in dieser Zeit nur wenig. Seine Frau Stella Moris durfte ihn regelmäßig besuchen. Als Anwältin kämpfte sie jahrelang mit allen juristischen Mitteln für ihren Mann. Sie berichtete, durch jahrelange Einzelhaft und ständige Isolation sei er psychisch angeschlagen und zum Teil depressiv.
Großbritannien hatte einer Auslieferung von Julian Assange zunächst zugestimmt. Gegen diese Entscheidung hatte Assange jedoch um eine Anhörung vor dem Londoner High Court gebeten, der letzten Instanz. Diese erfolgte in Abwesenheit von Julian Assange. Seine Ehefrau hatte ihn vor den Richtern vertreten.
Ende März 2024 kam es zu einer Entscheidung – der WikiLeaks-Gründer konnte einen Teilerfolg erzielen. Er darf nicht unmittelbar an die USA ausgeliefert werden, so die Entscheidung des Gerichts.
Auch die Frage, ob Assange ein Berufungsverfahren zusteht, wurde vor dem Londoner High Court besprochen. Das Gericht hatte den Antrag in sechs von neun Punkten abgelehnt. Bei den übrigen drei Punkten hängt es nun davon ab, ob die US-Regierung und der britische Innenminister garantieren können, dass Assange in den USA ein faires Verfahren unter dem Schutz der Gesetze zur Meinungsfreiheit ohne drohende Todesstrafe erwartet.
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Assange nach fünf Jahren wieder in Freiheit
Zu einer erneuten Verhandlung in großem Rahmen kam es jedoch nicht. Assange ging Ende Juni 2024 einen Deal mit den US-Behörden ein. Im Gegenzug zu seinem Schuldbekenntnis und einer Verurteilung wegen Spionagevorwürfen darf er in seine Heimat Australien zurückkehren. Die Einigung muss zwar noch von einem Gericht abgesegnet werden, Assange konnte das Gefängnis bei London dennoch bereits verlassen. Seine fünfjährige Inhaftierung im Hochsicherheitsgefängnis endete somit.
Der britische Premierminister Anthony Albanese begrüßte die Freilassung Assanges. Auch seine Frau Stella drückte online ihre Freude aus. Sie postete auf ihrem X-Account (ehemals Twitter) von der Wendung. „Julian ist frei“ heißt es da.
Assange soll nun nach Australien zurückkehren. Wie es dort mit ihm weitergeht, ist offen. Viele Stimmen kritisieren, dass sich sein Fall so lange hingezogen hat.