
19. Januar 2025, 16:39 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Im Interview mit TECHBOOK verriet die Deutsche Telekom, KI für Bewerbungen einzusetzen. Aber wie und in welchem Umfang? Ein Gespräch über Chancen, Herausforderungen und den wichtigsten Faktor: dem Menschen.
Vielerorts dürften Bewerbungs- und Einstellungsverfahren noch nach altbekannten Mustern ablaufen. Jemand reicht ein Anschreiben mitsamt Lebenslauf und Arbeitsproben ein, wird hoffentlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen und anschließend muss das Unternehmen darüber entscheiden, ob er passt oder nicht. Doch es findet ein Wandel statt und immer mehr Unternehmen greifen dafür auf die Hilfe künstlicher Intelligenz zurück. Auch bei der Deutschen Telekom nutzt man KI für Bewerbungen. TECHBOOK hat mit Miriam Schmid, Recruiting-Leiterin des Telekommunikationskonzerns, gesprochen und Details zu den Prozessen bekommen.
Die Deutsche Telekom nutzt diese KI für Bewerbungen
Im Rahmen einer Befragung haben wir mehrere der größten Unternehmen in Deutschland dazu befragt, ob und wie sie maschinelle Hilfen beim Recruiting einsetzen. Mehrere haben reagiert und uns Einblicke in ihr Vorgehen gegeben – einen Gesamtüberblick zu der Auswertung finden Sie hier.
Im Zuge dessen haben wir aber auch ausführlich mit der Deutschen Telekom über KI bei Bewerbungen gesprochen. Dabei ging es unter anderem um einen ganz neuen Ansatz im Umgang mit Lebensläufen und warum die englische Sprache derzeit noch eine Herausforderung darstellt.
TECHBOOK: Nutzt die Deutsche Telekom bereits künstliche Intelligenz in Bewerbungs- und Auswahlprozessen?
Miriam Schmid: „Ja, wir nutzen KI im Auswahlprozess nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern.“
Welche KI nutzen Sie?
„Wir arbeiten mit Eightfold.ai zusammen, wie andere große Unternehmen auch. Das ist kein klassisches System zum Recruiten, sondern eines, das unterschiedliche HR-Prozesse begleitet. Von Ressourcenmanagement über Skillmanagement bis zu Recruiting.“
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Weg vom von klassischen CV-Screening
An welchen Stellen im Bewerbungs- und Auswahlverfahren kommt diese KI denn zum Einsatz?
„Vorab ist wichtig zu erwähnen, dass wir mit der Einführung von Eightfold von klassischen CV-Screenings („Curriculum Vitae“, Lebenslauf; Anm. d.Red.) wegkommen und stärker in die Betrachtung von Fähigkeiten gehen wollen. Dies tun wir jedoch nicht nur im Recruiting, sondern auch in den Bereichen Skillmanagement und Ressourcemanagement, um ganzheitlich zu verstehen, welche Skills jemand hat, wie sie weiterentwickelt werden können und welche Talente wo eingesetzt werden können.“
Wann wird die KI eingesetzt und wie sieht das aus?
„Das beginnt damit, dass Bewerber ihren CV per Drag and Drop hochladen auf unserer Jobplattform. Auch wenn sie nicht wissen, was sie eigentlich suchen. Stattdessen findet mittels eines Parsings (Anm.: automatisierte Analyse des Lebenslaufs) bereits ein Matching-Prozess statt – es werden direkt Jobs vorgeschlagen. Dadurch sinken die Eintrittsbarrieren für unsere externen Bewerber, vielleicht auch weil sie selbst noch einen blinden Fleck haben und sich nun Jobs anschauen können, die sie bislang nicht in Betracht gezogen hatten.
Das bedeutet aber auch, dass ein Kandidat Teil eines Talentpools wird. Indirekt hat er auch hier wieder Kontakt mit der KI, weil er nicht nur für eine Stelle in Betracht gezogen wird, sondern in Zukunft auch für weitere Positionen. Die Diskussion haben wir häufig: Was passiert mit den zweitbesten Kandidaten, die man nicht einstellt? Die sind noch im System vorhanden. Das passiert natürlich nur mit Zustimmung des Kandidaten.
Die KI bringt das Gedächtnis mit
Das ist das Herzstück des Ganzen: Es uns Recruitern einfacher zu machen und zu verstehen, wo die Skills der Zukunft sitzen, die wir brauchen. Das tun wir über das sogenannte Kalibrieren im System. Also der KI beizubringen: Welche Skills suche ich für eine bestimmte Rolle? Zugleich kommt nicht nur die Kalibrierung zum Einsatz, sondern auch Vorhersagen durch das System, welche uns dabei helfen Entwicklungspotenzial bei den Talenten zu sehen und einen guten Fit zu finden.
Zusammengefasst: Der Bewerber hat beim Hochladen des Lebenslaufs Kontakt mit der KI über das CV-Parsing. Und der Recruiter nutzt diese KI, da diese das Gedächtnis und die Möglichkeit mitbringt, alle Kandidaten gleichzeitig anschauen zu können – auch solche, die man sonst vielleicht nicht in Betracht gezogen hätte.
Dabei versuchen wir, uns ein Stück weit davon zu lösen, den Bewerber als Ganzes zu sehen, sondern möchten mehr auf einzelne Aspekte und Fähigkeiten achten und diese verstehen. Was bringt derjenige bereits mit und wohin kann er sich noch entwickeln? Das wollen wir uns anschauen, ohne ein schickes Hochglanzformat wie einen Lebenslauf.“
Von Datenpunkten und Skills
Wie und mit welchen Daten trainieren Sie die KI?
„Bei der KI handelt es sich um ein Standard-Produkt, deswegen wird es auch auf diesem Standard heraus trainiert. Die Grundlage des Trainings sind Datenpunkte und die Datenpunkte kommen über Kandidatenprofile. Aus unserem aktuellen Applicant Tracking System (Anm: „altes“ System für Bewerbungen) haben wir Datenpunkte in das neue KI-System transferiert und damit fängt die Maschine an zu lernen: Auf welchen Positionen sitzen die Bewerber und mit welchen Skills?
Natürlich geht das Training nur so weit, wie neue Personen in den Datensatz kommen und unseren Datenschutzerklärungen zustimmen. Diese Daten kommen aus dem aktiven wie passiven Bewerberpool. Wie ein Recruiter das System nutzt, welche Anfragen er stellt und welche Profile er als passende Beispiele hochlädt, beeinflusst das Training ebenso wie die Entscheidungen der KI selbst. Wurde die Person, die sie vorgeschlagen hat, am Ende auch eingestellt? Dieser ‚Muskel‘ wird durch das tägliche Tun trainiert.“
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Alles bleibt im Telekom-System
Die KI soll sich vor allem Fähigkeiten der Bewerber in deren Lebensläufen anschauen. Was noch? Und wie priorisiert sie die einzelnen Kriterien?
„Sie schaut sich nicht nur die Skills an. Am Ende geht es ja auch darum, ob jemand einen Wechselwillen zeigt oder ob jemand Interesse an einer neuen Rolle hätte. Aber die ganz genaue Rangfolge zwischen all den unterschiedlichen Dingen, die sich die KI anguckt, kenne ich aktuell nicht.“
Ich hätte gedacht, dass Sie das der KI vielleicht bereits vorgeben.
„Am Ende geht es ums Gesamtbild einer Person inklusive ihrer jetzigen und zukünftigen Fähigkeiten und dem, was sie im Laufe ihrer Karriere mitgebracht und was sie wann gemacht hat. Es gibt keine Gewichtung in einzelnen Bereichen.“
Eightfold.ai ist eine KI-Lösung für Unternehmen, die aber nicht nur Sie nutzen.
„Es ist eine unternehmensspezifische Lösung, die aber andere auch verwenden.“
Sie trainieren die KI mit Ihren Daten. Aber da die Plattform auch von anderen genutzt wird, können andere Unternehmen nicht auch von Ihren Trainings profitieren, da Sie ja mithelfen, die KI zu verbessern?
„Da sind wir beim Thema Datenschutz. Wir dürfen unsere Datenpunkte natürlich nicht einfach mit der Welt teilen. Ich gehe aber davon aus, dass es gewisse Logiken gibt, die die Maschine im Zweifelsfall feststellt und damit natürlich auch im größeren Kontext lernt. Trotzdem geschieht das auf unserer Seite in unserem eigenen abgetrennten Telekom-System. Wir teilen also keine Kandidaten, Profile und Logiken mit anderen Unternehmen.“
Alle auf die Pole Position
Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre KI-Nutzung möglichst inklusiv und vorurteilsfrei abläuft?
„Indem wir sie genau darauf trainieren, vorurteilsfrei und inklusiv zu agieren. Man denke da nur an das Amazon-Beispiel vor einigen Jahren, bei dem Männer im Einstellungsverfahren bevorzugt wurden, weil der Algorithmus das für besser hielt. Und was auch wichtig ist: Die Maschine trifft nicht die endgültige Entscheidung einer Einstellung, sondern eine Vorauswahl. Sie nimmt alle externen Bewerbungen wie internen Kandidaten und gibt uns sogenannte Leads, also Empfehlungen. Diese Empfehlungen ziehen alle unsere aktuellen Talente in Betracht, welche sich in unserem Pool befinden.
Für gewöhnlich schreibt man den Job aus, erhält 200 Bewerbungen und versucht, einen Match zwischen Bewerbern und der Stelle zu finden – das ist wie so ein kleiner geschlossener Kosmos. Im größer gedachten, KI-unterstützten Bild haben wir etwa 170.000 Profile. Diese bringt die KI zunächst allesamt auf die Pole Position und schaut dann: Was braucht man tatsächlich für die Rolle?
Die Entscheidung, wer tatsächlich passt und im Zweifelsfall mit dem Manager sprechen soll, die trifft ein Mensch. Wir bringen der Maschine aber auch bei, was wichtig ist im nächsten Schritt und wer eingestellt wird. Und damit lernt das System ja eigentlich auch aus unterschiedlichen Perspektiven, dass es nicht eine ‚One size fits all‘-Antwort gibt, sondern das Besetzen von Stellen eine bunte Mischung aus Skills und Entscheidungsfindungen ist.“
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Transparenz und Feedback
Wissen die Bewerber, dass Ihre Bewerbungen von einer KI vorab ausgewählt werden? Wie transparent gehen Sie damit um?
„Wir müssen die Menschen darüber informieren, das passiert schon. Wenn Bewerber ihren CV hochladen, dann müssen sie auch ihre Zustimmung dazu geben, was im nächsten Schritt passieren darf. Sie können sich ja bei uns bewerben und sich das selbst mal anschauen.“
Wie fällt das Feedback der Bewerber aus?
„Das Problem von Bewerbern ist häufig, nicht zu wissen, wie sie den passenden Job finden sollen oder wie dieser überhaupt heißen könnte. Wir mussten früher immer über die Job-Bezeichnung gehen. Aber wer weiß schon, was zum Beispiel ein IT-Systemelektroniker für Chancen bei der Deutschen Telekom hat? Jetzt ist der absolute Mehrwert, dass wir unsere Jobs vorschlagen, weil wir anhand des CVs konkrete Empfehlungen machen können.
Der andere große Vorteil, und das ist auch das Feedback, das wir bekommen, ist, dass unsere Bewerber nicht nur für eine Stelle vorgesehen werden, sondern Teil einer Job-Community sind, unseres sogenannten TClubs. Dabei kann der Bewerber immer entscheiden, wie sichtbar für eine oder mehrere Stellen er sein möchte, ob national oder global.“
Herausforderung auf Englisch
Welche Herausforderungen gibt es aktuell noch bei der KI-Nutzung im Bewerbungsprozess?
„Was wir sehen, ist, dass die KI sehr stark auf englische Lebensläufe trainiert worden ist. Das heißt andere Sprachen, nicht nur Deutsch, sind eine Herausforderung, weil am Ende das, was die Maschine lernt, auch das ist, womit sie umgehen kann. Und Englisch ist eine Sprache, die unkompliziert und häufig genutzt wird. Da haben wir noch einiges vor uns, um das wirklich passgenau für uns zu machen.“
Also heißt das, ich hätte Stand jetzt bessere Erfolgschancen, wenn ich mich mit einem englischen Lebenslauf bewerbe, statt mit einem deutschen oder französischen?
„Das hängt natürlich auch damit zusammen, ob die Stelle auf Deutsch oder Englisch ausgeschrieben ist, da entsteht bereits das erste Matching. Daher kann ich das nicht beurteilen, bejahen oder verneinen. Nichtsdestotrotz ist es manchmal einfacher mit Englisch oder englischen Wörtern, schneller ein Matching zu erreichen.

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Begriff und Technologie erklärt Was ist Künstliche Intelligenz und wie wird sie genutzt?
Der Mensch ist und bleibt der entscheidende Faktor
Abschließend ist mir eine Sache aber noch wichtig, zu erwähnen: Bei uns gibt es kein KI-Männchen, das am Ende ‚Hallo‘ sagt und ein Interview führt. Wir wissen alle nicht genau, wo die Reise hingehen kann und wie das alles in ein paar Jahren aussieht, so schnell wie sich die Maschinen weiterentwickeln und wie stark sie mittlerweile Emotionen spiegeln können. Ich glaube, da passiert noch einiges.
Aber für den Moment können wir sehr klar Linie beziehen und sagen, dass es immer eine Mischung aus Mensch und Maschine geben wird. Und wir wollen unseren Bewerbern einen persönlichen Eintritt in die Firma ermöglichen. Und der passiert über die Menschen, die da sind, ob das Manager oder Recruiter sind. Ich bin nicht davon überzeugt, dass eines Tages unsere Maschine sagen wird, wen wir alles einstellen sollten. Es wird immer einen menschlichen Touch geben.“