25. Februar 2020, 15:13 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Es gibt Dinge, die kommen einem noch nicht ganz ausgereift vor. Falt-Smartphones gehören dazu. Huawei hat mit dem Mate Xs nun seinen Beitrag geleistet. Das bereits aus dem Vorjahr bekannte Gerät wurde optimiert und kommt nun nach Deutschland. Zu einem Preis, der den bisherigen Rahmen sprengt. Redakteurin Rita Deutschbein geht mit dem Gerät hart ins Gericht.
Huawei Mate Xs – das sind die Haken
1. Das bislang teuerste Falt-Smartphone
Einige mögen schon einmal vom Mate X gehört haben, dem ersten Falt-Smartphone, das überhaupt ein großer Hersteller vorgestellt hat. Das war vor gut einem Jahr der Fall. Doch in Europa kam das Modell nie auf den Markt. Das ändert sich nun. Das Huawei Mate Xs ist eine etwas optimierte Version des „alten“ Mate X und ab März in Deutschland erhältlich. Der Preis: satte 2499 Euro. Damit sprengt Huawei jeden bislang gesetzten Rahmen und macht aus dem Mate Xs ein Smartphone, das sich wohl kaum jemand leisten kann.
Die Konkurrenz kommt hier zum Teil deutlich günstiger daher: Motorola lässt das Razr für rund 1600 Euro neu aufleben, Samsung bietet das Galaxy Fold für 2100 Euro oder das Razr-ähnliche Galaxy Z Flip für 1480 Euro an.
2. Huawei Mate Xs mit HMS statt Google
Die Einschätzung mag hart klingen, immerhin hat das Huawei Mate Xs einiges an Top-Technik zu bieten. Doch es gibt eben auch zwei eklatante Schwächen. Zum einen muss das Smartphone ohne Google-Apps auskommen. Der Hersteller wirbt stattdessen mit seinen Huawei Mobile Services (HMS). Hier hat er in den vergangenen Monaten viel Arbeit investiert und es geschafft, den eigenen App-Store namens App Gallery um einige wichtige Anwendungen zu erweitern. Huawei hat Lösungen gefunden, wie Nutzer Apps wie WhatsApp und Facebook schnell und mit wenigen Klicks auf ihrem Gerät installieren können. Hier müssen wir den Hut ziehen. Doch HMS ist dennoch kein Ersatz für die Google Anwendungen. Der Play Store, Maps, YouTube und Co. sind so etabliert, dass es bislang kein anderer Android-Anbieter geschafft hat, eine konkurrenzfähige Alternative zu entwickeln. Bei einem Preis von knapp 2500 möchte wohl kaum ein Käufer Kompromisse machen. Schon gar nicht, wenn es um so etwas grundlegendes wie die für Smartphones wichtige Software geht.
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3. Empfindliches Display lässt sich kaum schützen
Der nächste Knackpunkt am Huawei Mate Xs ist einer, der das Gerät ausmacht – das faltbare Display. Huawei macht es recht ähnlich wie Samsung und knickt das Mate Xs wie ein Buch in der Mitte. Doch anders als bei Samsung befindet sich das Display außen, wodurch es im eingeklappten Zustand nicht geschützt ist. Im Gegenteil: Nutzer müssen, um das Smartphone zu halten, unweigerlich auf das Display fassen. Dadurch verschmiert es sehr schnell. Mit einem Putztuch und ständigem Polieren könnte man vielleicht noch leben, weitaus kritischer ist aber der Transport. In der Handtasche oder der Hosentasche ist das empfindliche Display ständig Reibung und kleinen Schmutzpartikeln ausgesetzt, die die Oberfläche zerkratzen können. Geschützt werden kann es lediglich durch eine Art „Handysocke“, die der Hersteller mitliefert. So eingepackt, ist ein schneller Blick auf das Display aber unmöglich.
Erinnern wir uns an die erste Generation von Samsungs Galaxy Fold zurück: Samsung musste den Markteintritt verschieben und das Gerät grundlegend überarbeiten. Denn obwohl sich das Display im zusammengeklappten Zustand innen im Falt-Smartphone befand, ging das empfindliche OLED-Display schnell kaputt. Kleine Partikel gelangten durch das Scharnier unter das Panel und zerstörten es dadurch. Auch das Motorola Razr macht bereits Schlagzeilen, da sich das Display vom Gehäuse löst. Besonders robust scheinen die aktuellen Falt-Smartphones also nicht zu sein. Trifft das auch auf das Mate Xs zu?
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Huawei hat das Gehäuse und den Klapp-Mechanismus zumindest optimiert. Wie der Hersteller während der Präsentation bekannt gegeben hat, setzt er beim überarbeiteten Modell auf ein sogenanntes „Falcon Wing“-Scharnier, bei dem „mehr als einhundert ineinandergreifende Teile perfekt zusammen“ greifen. Es wird aus Flüssigmetall auf Zirkonium-Basis gefertigt, was die Bestandteile strapazierfähiger und das Falten einfacher machen soll. Dennoch – eine Garantie, dass nicht doch Partikel unter das OLED dringen oder es mit der Zeit an der Faltkante einen Knick zeigt, gibt der Hersteller nicht. Das tut übrigens keines der Unternehmen, das Falt-Smartphones anbietet.
Huawei macht auch Dinge richtig
Doch was macht faltbare Smartphones dann so interessant? Ganz einfach. Zum einen ist es nie verkehrt, neue Innovationen auszuprobieren und zu denen gehören eben auch flexible Displays. Zum anderen ist es vollkommen normal, dass die ersten Modelle als Vorreiter die ein oder andere Kinderkrankheit mitbringen. Die derzeit verfügbaren Falt-Smartphones vereinen gleich zwei Gerätekategorien: Smartphones und Tablets. Zusammengeklappt sind sie kompakter, wenn auch etwas dicker als aktuelle Handys. Auseinandergeklappt bringen sie uns viel Displayfläche zum Arbeiten – eben wie ein Tablet.
8-Zoll-Display mit Multi-Window oder doch kompakt?
Auch das Huawei Mate Xs kann hier brillieren. In voller Breite erstreckt sich das Display über 8 Zoll in der Diagonale und ist somit größer als so manches Tablet. Hinzu kommt die Unterstützung von Multi-Window und somit die Möglichkeit, mit zwei parallel ausgeführten Apps auf jeder Bildhälfte zu arbeiten. Texte, Bilder und Dokumente lassen sich so per Drag and Drop hin- und herschieben – einfach, aber praktisch. Die Auflösung des vollen Screens beträgt 2480 x 2200 Pixel. Anders als beim Samsung Galaxy Fold ist bei den neuen Modellen kaum ein Knick an der Faltkante des Panels zu erkennen. Hier macht Huawei es somit etwas besser. Abzuwarten bleibt, ob der positive Eindruck auch nach mehreren Falt-Vorgängen noch bestehen bleibt.
Wer es lieber kompakt mag, hat beim Mate Xs gleich zwei Bildschirme zur Auswahl. Ein 6,6-Zoll- Display mit 2400 x 1148 Pixel auf der Vorder- und ein 6,38-Zoll-Display mit 2480 x 892 Pixel auf der Rückseite. Farbdarstellung und Helligkeit konnten hier im ersten Eindruck überzeugen. Auch technisch ist am Smartphone kaum etwas auszusetzen – wenn wir einmal davon absehen, dass ein Großteil der verwendeten Technik bereits über ein Jahr alt ist. Immerhin hat Huawei beim Mate Xs im Vergleich zum ursprünglichen Mate X aber etwas nachgerüstet. Den ursprünglichen Chip Kirin 980 hat der Hersteller zugunsten des aktuellen Kirin 990 ausgetauscht, der direkt 5G unterstützt und über ein integriertes Kühlsystem verfügt. Flexible Graphen mit mikroskopisch kleinen Spalten sollen den Chip bei hoher Leistung auf Temperatur halten.
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Starker Prozessor mit 5G, aber Minuspunkte bei RAM und Akku
Der Kirin 990 besteht aus einer Octa-Core-CPU mit jeweils zwei kompakten und zwei großen Cortex-A76-Kernen sowie vier kleinen Cortex-A55-Kernen, die mit bis zu 2,86 Gigahertz takten. Dazu gibt es 8 GB Arbeitsspeicher und 512 GB internen Speicher. Hier wäre etwas mehr drin gewesen, bedenkt man, dass das Samsung Galaxy S20 Ultra bereits mit bis zu 16 GB RAM zu haben ist. Das gleiche gilt für den Akku, dessen Kapazität mit 4500 mAh zwar ordentlich, aber nicht auffallend hoch ausfällt. Immerhin lässt er sich dank SuperCharge mit 55 Watt sehr schnell laden. Wireless Charging allerdings, also kabelloses Laden? Fehlanzeige. Auch hier hätten wir zu dem Preis mehr erwartet.
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Kamera – wie immer gut gemacht von Huawei
Während Differenzen beim Speicher wohl nur echte Power-Nutzer wirklich bemerken werden, werden Nutzer auf eine gute Kamera wohl kaum verzichten wollen. Und das müssen sie auch nicht. Das Mate Xs bietet eine solche in Form einer Quad-Kamera von Leica. Sie ist identisch mit der des bereits über ein Jahr alten Mate X und somit zwar nicht verstaubt, aber eben auch nicht top-aktuell. Doch wer beschwert sich schon, wenn er 40 Megapixel (Weitwinkel, f/1,8), gepaart mit einem 16-Megapixel-Ultra-Weitwinkel (f/2,2), einem 8-Megapixel-Teleobjektiv (f/2,4) und einem 3D-Tiefensensor bekommt? Ohne Frage ist die Ausstattung sehr gut und zusammen mit der etablierten künstlichen Intelligenz (KI) von Huawei sorgt die Kamera für tolle Fotos und Videos.
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Huawei Mate Xs – nichts für den Massenmarkt
Allerdings kostet das Mate Xs eben auch 2500 Euro, was es uns wirklich schwer macht, das Smartphone zu feiern. Huawei ist sich dem hohen Preis offenbar bewusst, hat der Hersteller während der Präsentation doch bestätigt, dass das Mate Xs kein Smartphone für den Massenmarkt ist. Er möchte es stattdessen bei einigen Providern und ausgewählten Fachhandelspartnern vertreiben.
Am Ende kann sich das Mate Xs trotz seiner außergewöhnlichen Form nicht besonders hervortun. Falten lassen sich mittlerweile auch andere Smartphones, und das sogar günstiger – allen voran das kürzlich von Samsung vorgestellte Galaxy Z Flip, das sogar für 1000 Euro weniger den Start in das Segment der Falt-Smartphones erlaubt. Huawei kommt mit seinem Modell in Deutschland leider ein Jahr zu spät, um wirklich begeistern zu können. Da helfen auch leider die – wenn auch gut und sinnvollen – Anpassungen nichts.