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Vom Pionierprojekt zum Super-Flop

Was ist eigentlich aus der Google Glass geworden?

Google-Co-Gründer Sergey Brin trägt die Google Glass bei der Mercedes-Benz Modewoche 2012.
Google-Co-Gründer Sergey Brin trägt die Google Glass bei der Mercedes-Benz Modewoche 2012. Foto: picture alliance / dpa | Peter Foley

14. März 2024, 7:45 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Noch bevor Virtual Reality in aller Munde war, veröffentlichte Google seine Google Glass. Was ist aus dem ambitionierten AR-Projekt geworden?

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In Innovationszentren wie dem Silicon Valley ist man stets fiebrig auf der Suche nach dem „Next Big Thing“. 2007 galt Apples iPhone als eine solche disruptive Innovation. 2012 sah dann Google seine Zeit gekommen und präsentierte die Google Glass – eine aus heutiger Perspektive beinahe retro-futuristisch anmutende Brille mit Augmented-Reality-Elementen. Der Hype und die Hoffnungen um und in dieses Produkt waren groß, doch was folgte, war eine Geschichte des Scheiterns. Während Apple heute mit seiner Apple Vision Pro Schlagzeilen macht – positive wie negative –, begibt sich TECHBOOK auf die Spuren von Googles einstigem Hoffnungsträger.

Die Brille aus dem Sci-Fi-Film

Anders als bei den heutigen VR-Brillen, die etwa Form und Größe einer Skibrille haben und ein ordentliches Gewicht besitzen, war die Google Glass optisch als klassische Brille konzipiert. Über ein kleines Display am Rahmen wurden den Nutzerinnen und Nutzern Informationen direkt ins Sichtfeld eingeblendet, beispielsweise Navigations- oder Wetterdaten. Die Google Glass war also ursprünglich eine AR-Brille. Augmented Reality bezeichnet die Live-Ansicht der Realität, die durch digitale Elemente erweitert wird.

Virtual Reality (VR) beschreibt dagegen eine vollständig immersive Erfahrung, bei der die Realität durch eine Simulation ersetzt wird. Die heutige Apple Vision Pro ermöglicht sowohl den VR-Modus als auch eine Mixed Reality. Hierbei verschwimmen die digitalen Inhalte mit der realen Welt und ermöglichen Interaktionen. Gemessen am heutigen Entwicklungsstand ist die Google Glass eher eine Art Vorläufermodell, da AR im Vergleich zu VR und Mixed Reality die wenigsten Interaktionsmöglichkeiten bietet.

2012 aber sorgte das AR-Konzept für einen regelrechten Hype. Die Google Glass ermöglichte die Steuerung von Apps durch Gesten-, Mimik- und Sprachbefehle, sodass man die Hände weiterhin frei hatte. Wie auch bei der Apple Vision Pro identifizierten die Entwickler vor allem die Arbeitswelt als Hauptabnehmer für die Datenbrille, wie Geräte dieser Art damals genannt wurden. Beispielsweise – so die Idee – sollten sich Techniker während der Arbeit Wartungs- und Reparaturanleitungen in ihr Sichtfeld einblenden lassen können.

Im privaten Bereich sollte die Brille vor allem von dem nervigen Blick auf das Smartphone befreien und einen besseren Bedienkomfort bieten. Auf Reisen sollte ein Blick durch die Google Glass genügen, um fremdsprachige Speisekarten oder Schilder zu übersetzen. Doch obwohl das revolutionäre Konzept 2012 viele begeisterte, gelang der Google Glass nie der Sprung aufs Erfolgstreppchen.

Pionierarbeit VS Marktbedingungen

Das wohl offensichtlichste Problem der Google Glass war, dass sie nie so richtig auf dem freien Markt ankam. Google-Co-Gründer Sergey Brin trug das smarte Gerät zwar oft während seiner öffentlichen Auftritte. Doch frei zum Verkauf war die Brille erst ab 2014 – und selbst dann nur in geringer Stückzahl. Stolz 1500 Dollar kostete die Google Glass, konnte aber in diversen Hands-Ons nur bedingt überzeugen.

Beispielsweise konnte der Spiegel 2013 nur über den Umweg von c’t-Kollegen eine von damals 2000 Entwickler-Exemplaren der Datenbrille ergattern. Im Test heißt es – trotz positivem Tragekomfort: „Die Kamera liefert unterdurchschnittliche Qualität, die Akkulaufzeit – in unserem Test waren es zwei Stunden – ist nicht akzeptabel.“ Als die Brille 2014 einigermaßen bereit für den Verkauf war, tauchte allerdings eine neue Hürde auf: die ausgeprägten Datenschutzbedenken der US-amerikanischen Bevölkerung.

Das Datenschutzproblem der Google-Brille

Schon damals war die Google Glass technisch in der Lage, Foto- und Videoaufnahmen mit Gesichtserkennung oder Gesundheitsfunktionen, wie etwa der Pulsmessung, zu kombinieren. Dadurch konnten die Trägerinnen und Träger andere Menschen ohne deren Wissen scannen und kategorisieren, befürchteten Datenschützer.

Besonders die Polizei hätte durch das Identifizieren von Verdächtigen aus Fahndungslisten zwar profitieren können. Doch gleichzeitig ist diese Funktion – egal ob von der Polizei oder einer Privatperson genutzt – ein starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter. Dass diese Funktionen vielen Menschen mehr als suspekt waren, hatte also nicht nur mit einer generellen Technologie-Skepsis zu tun.

Hinzu kam, dass sich diese Skepsis bisweilen in Handgreiflichkeiten äußerte. So wie aktuell immer wieder selbstfahrende Autos demoliert werden, wurden 2014 mehrfach Trägerinnen und Träger der Google Glass angegriffen, wie etwa der Business Insider aus eigener Erfahrung berichtete. Kinoketten und Casinos untersagten das Tragen der Brille in ihren Räumlichkeiten. In der aufgeheizten Debatte war auch der Schritt zum Wortspiel „Glassholes“ nicht weit.

All die Experten-Kritik und die öffentlichen Befürchtungen scheinen Google und seiner Brille den Wind aus den Segeln genommen zu haben, denn die Lebensspanne der ersten Google Glass blieb überschaubar. Von April 2014 bis Januar 2015 war die Datenbrille über das Google-Beta-Programm lediglich in den USA in einer begrenzten Anzahl erhältlich. Schließlich bezeichnete der damalige Google-Finanzvorstand Patrick Pichette sie kurz nach dem Verkaufsaus als einen Flop.

Von einer technischen Spielerei zum Profi-Werkzeug

Doch völlig begraben wollte Google das Projekt Datenbrille nicht. Nach dem Verkaufsstop 2015 sollte die Google Glass unter der Federführung des iPhone-Erfinders Tony Fadell weiterentwickelt werden. Denn: Gut Ding will Weile haben und auch jetzt, zehn Jahre später, haben die aktuellen VR-Headsets diverser Marken noch nicht ihren letzten Entwicklungsstand erreicht. Besonders erfolgreich scheint aber auch Tony Fadell nicht gewesen zu sein, denn er verließ den Konzern im Juni 2016 wieder.

Den letzten Hoffnungsschimmer gab es Ende Dezember 2015. Damals tauchten zum ersten Mal „echte“ Produktfotos von dem Nachfolger der Glass, der sogenannten „Enterprise Edition“, auf – veröffentlicht von der US-amerikanischen Telekommunikationsaufsicht FCC (Federal Communications Commission). Google hatte sich von der Brille für jedermann und jederfrau verabschiedet und sich auf eine Pro-Edition eingeschossen.

Das Besondere an den damaligen Fotos war ein klappbares Gestell sowie ein deutlich größeres Display. Gerüchten zufolge sollte die Google Glass Enterprise Edition stabiler gebaut sein, über schnelles WLAN sowie einen Intel-Atom-Prozessor verfügen, sich dadurch weniger aufheizen und länger bei der Akkuleistung durchhalten. Die Zielgruppe sah Google vor allem im medizinischen und industriellen Umfeld, doch auch hier schrieb der Verkauf zwischen 2015 und 2019 keine großen Erfolge.

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Das Ende der Google Glass Enterprise Edition

Am 15. März 2023 stellt Google schließlich auch den Verkauf seiner Glass Enterprise Edition 2 sowie den dazugehörigen Software-Support ein. Mehr als zehn Jahre hatte Google nun an seiner AR-Brille gearbeitet, die im Kontext ihrer Zeit durchaus als Pionierprojekt bezeichnet werden darf. Ob damit auch weitere Forschung hinter den Kulissen endet, bleibt offen. Derweil versuchen Konkurrenzkonzerne wie Meta und Apple die Zukunft mit VR-Headsets vorzuleben. Dabei könnten sie durchaus aus den Schwächen der Google Glass lernen.

Um auch langfristig erfolgreich zu sein, müssten VR-Sets finanziell erschwinglich werden, sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen. Neben der anfänglichen Beta-Phase sollten die Software und Anwendungen alltagstauglich und pflegeleicht sein. Außerdem müssen sich Meta, Apple und Co. den gleichen Datenschutz-Fragen stellen wie auch schon Google vor zehn Jahren. Auch wenn die Debatte heute vielleicht nicht mehr so aufgeheizt geführt wird, bleiben die Risiken mindestens genauso hoch.

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