2. Juli 2020, 9:15 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Discounter Aldi lockt ab 2. Juli mit einer Smartwatch, die der Apple Watch zum Verwechseln ähnlich sieht. Doch lohnt sich das Angebot?
Hersteller Huami bzw. die Marke Amazfit sind keine neuen Namen, wenn es um günstige Discounter-Smartwatches geht. Die Amazfit Bip Lite gab es vor kurzem noch bei Aldi und bei Elektronikhändlern im Angebot. Im Test überraschte die 35-Euro-Smartwatch positiv. Was kann also das neue Gerät, die Amazfit GTS, für 99 Euro? TECHBOOK hat die Smartwatch getestet.
So testet TECHBOOK Smartwatches
- Design + Komfort (30%): Hier geht es um Aussehen, Größe, Gewicht und Individualisierbarkeit. Auch Tragekomfort ist ein wichtiges Beurteilungskriterium für ein tragbares Gerät, das ständig eng anliegend auf der Haut sitzt.
- Akkuleistung (25%): Besonders bei Smartwatches fällt es ins Gewicht, wie lange der Akku durchhält. Schließlich soll die traditionelle Uhr mit ihrer langen Laufzeit ersetzt werden.
- Funktionen (45%): Mit welchen zusätzlichen Funktionen kann die Smartwatch punkten? Eignet sie sich als Fitnesstracker? Ist sie wasserdicht oder nicht? Hat sie Bluetooth, einen Pulsmesser oder sogar GPS?
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Design: Von Apple abgeschaut (4/5)
Rein äußerlich wird schnell klar, an welchem Design sich Huami hat inspirieren lassen. Während viele Smartwatches ein rundes, eher an klassische Uhren angelehntes Display haben und Fitnesstracker oft in die Länge gehen, hat die Amazfit GTS fast quadratische Ausmaße. Damit wirkt sie auf den ersten Blick fast wie eine Apple Watch. Erst auf den zweiten Blick fallen die Unterschiede im Detail auf. Statt des Kronen-Rädchens hat die GTS lediglich einen einfachen Knopf auf der rechten Seite. Der längliche Knopf, der an der Apple Watch zu finden ist, fehlt hier.
Die äußeren Gemeinsamkeit hören jedoch nicht beim Design auf. Auch bei der Gehäusegröße ist die Amazfit GTS der aktuellen Apple Watch in der 44-Millimeter-Version sehr ähnlich. Mit einer Kantenlänge von 43,25 zu 36,25 Millimetern ist sie nur minimal kleiner als die Apple Watch – 6 Prozent, um genau zu sein – und zudem etwas flacher. Der Bildschirm fällt mit 1,65 Zoll Diagonale dementsprechend ebenfalls knapp 7 Prozent kleiner als bei der Apple Watch mit 1,78 Zoll aus. Trotzdem versucht die GTS mit ihren abgerundeten Bildschirmecken auch hier der Apple Watch nachzueifern.
Bei der Wahl der Materialien muss sich der günstige Konkurrent jedoch deutlich geschlagen geben. Die Amazfit GTS hat Gorilla Glass 3 auf der Vorderseite, einen Aluminiumrahmen und eine Plastikrückseite. Zwar ist das Ion-X-Glas der Apple Watch mit dem Gorilla Glass der GTS vergleichbar, aber die Apple Watch ist in teureren Varianten mit Apples selbstgezüchteten Saphir-Glas erhältlich. Außerdem stehen neben Aluminium noch rostfreier Stahl und Titan als Finishes zur Verfügung. Die Rückseite der Series 5 ist bei allen Modellen aus Keramik gefertigt – ein Unterschied, den man sofort merkt.
Gutes Handling beim Sport
Das heißt jedoch nicht, dass die Amazfit GTS nicht gut am Handgelenk liegt, ganz im Gegenteil. Das leichte Plastikgehäuse sorgt dafür, dass man die Uhr kaum spürt – das flache Profil leistet dazu seinen eigenen Beitrag. Dadurch sticht sie weniger hervor und fällt auch bei schnellen Bewegungen kaum auf. Als Fitnesstracker ist die Amazfit GTS daher meines Erachtens erheblich besser geeignet als die schon fast klobige Apple Watch.
Leider schwitzt die Haut unter dem undurchlässigen Silikonarmband sehr, etwas unangenehm bei einer längeren Sportsession. Glücklicherweise kann das 20-Millimeter-Standardband mit zwei Handgriffen ausgetauscht werden, die integrierten Slider ermöglichen ein schnelles Abmontieren. Ich persönlich bevorzuge Textil-Bänder, die dank Klettverschluss auch frei verstellbar sind. Das ist nicht nur angenehmer für die Haut, sondern macht auch das Anlegen und Abnehmen einfacher.
Technische Ausstattung kann überzeugen (4/5)
Bildschirm
Wie schon erwähnt, sticht auf der Vorderseite ein 1,65 Zoll großer Bildschirm hervor, der dank AMOLED-Technologie eine sehr gute Farbwiedergabe hat. Das Besondere an dem Display: Es unterstützt Always on, d.h. es kann dauerhaft zur Anzeige der Uhrzeit verwendet werden. Die Apple Watch kann das erst seit 2019, alle vorigen Versionen mussten per Handgelenksbewegung aktiviert werden. Mit der Auflösung von 348 x 442 Pixeln hat die Amazfit GTS eine höhere Pixeldichte als die Apple Watch Series 5 (341 vs. 326).
Viel wichtiger jedoch ist, wie die Anzeige im Freien performt. Hier wurde ich positiv überrascht, denn die Helligkeit und Ablesbarkeit sind auch bei direkter Sonneneinstrahlung gut. Es ist ein Umgebungslichtsensor verbaut, damit die Uhr in Innenräumen und im dunkeln Strom sparen kann, indem sie die Display-Helligkeit runterschraubt.
Akku
Apropos Strom sparen: Der 220 Milliamperestunden (mAh) große Akku soll die Uhr laut Hersteller für zwei Wochen mit Strom versorgen können. Für diese Rechnung muss allerdings das Always-on-Display deaktiviert und die Uhr nur fünf Minuten pro Tag genutzt werden. Auch GPS kann dafür insgesamt nur drei Stunden für Workouts eingeschaltet sein. Ich persönlich wollte im alltäglichen Gebrauch nicht auf Always on verzichten und trainiere zudem deutlich länger als eineinhalb Stunden in der Woche. In meinem Szenario war die Uhr deswegen nach drei bis vier Tagen leer – immer noch deutlich besser als meine Wear-OS-Uhren, die nach einem Tag schlapp machen.
Tracking
In der kleinen Uhr stecken alle wichtigen Sensoren, die man für das Tracking sportlicher Aktivitäten benötigt: Gyro-Sensor, Beschleunigungssensor, Barometer, optischer Herzfrequenzmesser und GPS. Eigentlich gute Voraussetzungen und die Uhr zeigt sogar an, wie viel Stunden Workout mit den aktuellen Einstellungen noch verbleiben. Das Problem ist, das zumindest bei mir persönlich keines der elf Workout-Profile wirklich passt. Deswegen hatte die Uhr Probleme, mich akkurat zu tracken. Wer jedoch viel läuft, schwimmt, klettert oder Rad fährt, dürfte keine Probleme mit dem Tracking haben. Wer die Amazfit auch nachts tragen will, kann zudem auch den eigenen Schlaf tracken.
Einschränkungen bei der Software (3/5)
Beim Tracking machte sich bereits eine der Einschränkungen bemerkbar, die die Amazfit GTS mit sich bringt. Huami setzt auf eine komplett in Eigenregie entwickelte Software, die mit Apples watchOS und Googles Wear OS konkurriert.
Zwar lässt sich die Uhr recht flüssig bedienen, jedoch wird schnell klar, wo es der Uhr mangelt. Es gibt keine Apps, die Software ist also in keiner Weise erweiterbar. Das, was man in der Box kauft, ist alles, was man bekommt. Google-Fit-Integration mit den unzähligen verschiedenen Workout-Arten? Fehlanzeige. Spotify, Telegram oder sogar Maps? Nicht mit dieser Uhr. Zwar kann die Amazfit GTS Benachrichtigungen, die am Smartphone eintreffen, anzeigen – mehr ist aber auch nicht möglich. Zum Antworten muss wieder das Smartphone in die Hand genommen werden. Außerdem hat die Synchronisation nicht immer einwandfrei geklappt, manchmal sind gar keine Nachrichten bei der Uhr angekommen.
Für die Musikwiedergabe ist es den Menüpunkt „Musik“ auf der Uhr, mit dem sich tatsächlich die Wiedergabe auf dem Smartphone steuern lässt. Allerdings verschwindet die Steuerung wieder, sobald die Uhr gesperrt wird. Um sie erneut aufzurufen, muss man erst wieder zurück ins Menü und auf Musik gehen. Es sind eben die feinen Details, die den Unterschied zu einer „echten“ Smartwatch mit installierbaren Apps ausmachen.
Ansonsten finde ich die einfache Menüstruktur der Uhr einleuchtend und gut. Auch die Vielzahl an individualisierbaren Ziffernblättern gefällt mir. Mögen Sie ein bestimmtes Element wie etwa die Wetteranzeige auf dem Ziffernblatt nicht? Kein Problem, einzelne Elemente lassen sich einfach gegen andere austauschen.
Die Smartphone-App Amazfit ist ebenfalls übersichtlich und bietet zahlreiche zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten. Laut der App sollte die Amazfit GTS auch NFC unterstützen, etwa für digitale Tickets. Die Option ist bei mir auf dem iPhone Xr (das NFC unterstützt) jedoch ausgegraut. Kontaktloses Bezahlen, wie es bei watchOS, Wear OS und Tizen zu finden ist, funktioniert also ebenfalls nicht.
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Gesamtnote und Fazit (3,5/5)
Ich finde es erstaunlich, wie weit Fitnesstracker gekommen sind. Von Monochrom-Displays ohne Touchfunktion bis hin zur Amazfit GTS – mittlerweile kann man eher von Smartwatch als Fitnesstracker reden. Die Uhr kann viele Dinge, die ich mit meinen Wear-OS-Smartwatches gewohnt bin: Individualisierungsmöglichkeiten, GPS und zahlreiche Metriken über absolvierte Trainings. Die Verarbeitung und vor allem der Bildschirm müssen den Vergleich ebenfalls nicht scheuen. Das leichte Gehäuse mit dem schicken Aluminiumrahmen und dem abgerundeten Bildschirmglas ist ein echter Hingucker. Ich empfehle allerdings, die unangenehmen Silikonbänder schleunigst gegen etwas anderes wie Textil oder Leder zu tauschen. Nur beim Funktionsumfang ist klar, dass es sich in erster Linie noch um einen Fitnesstracker handelt. Durch fehlende Apps müssen Käufer auf Dienste wie Maps, Spotify und Messenger verzichten. Der Vorteil ist dabei die längere Akkulaufzeit, an die „echte“ Smartwatches einfach nicht heran kommen.