6. September 2018, 12:49 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Smartphones mit Vorder- und Rückseiten aus Spezialglas sind im Moment in Mode. Aber wie machen die Hersteller dieses Glas hart für den rauen Telefon-Alltag? Und wieso splittert das mit allerlei Vorschusslorbeeren beworbene Glas am Ende manchmal doch?
Geschwungene Form, gerundete Kanten, Glas vorne wie hinten. Spätestens seit dem iPhone 4 ist klar: Nicht nur die Front, auch die Rückseite eines Smartphones kann aus Glas sein. Das hat einige Vorteile.
Nicht nur, dass es in den Augen vieler Designer und Nutzer schöner aussieht. Durch das Glas können Funksignale der darunter verbauten Antennen besser dringen als durch Metallhüllen, auch drahtloses Laden über Induktion ist bei Smartphones mit Glasrücken möglich.
Besonders gehärtete Gläser
Das für Smartphones genutzte Glas hat dabei kaum etwas mit dem Glas zu tun, aus dem Trinkgläser oder Fensterscheiben gemacht sind, sagt Ralf Müller von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Bei den Gläsern mit Produktnamen wie Gorilla oder Dragontrail handelt es sich vielmehr um aufwendig hergestelltes Spezialglas.
„Diese Gläser sind chemisch gehärtet“, sagt Müller. Durch Tauchbäder in einer Salzschmelze wird die Oberfläche unter starke Druckspannung gesetzt. Das macht die an sich von vielen winzig kleinen Rissen durchzogene Glasoberfläche sehr widerstandsfähig gegen Schäden. Kratzer und Schläge können dem Glas nach der Härtung nicht mehr so viel anhaben, und es wird enorm biegsam.
Aller chemischen Behandlung zum Trotz: Unzerstörbar sind die Smartphonegläser nicht. Jeder Nutzer mit „Spider-App“ kann davon ein Lied singen. Die Härtung schützt zwar vor vielen Schadensszenarien, aber es braucht nur genug Kraft auf kleiner Fläche, und auch das beste Glas springt. Aber warum – von den bereits erwähnen Vorteilen bei Funk und drahtloser Ladung – setzen die Hersteller auf Glas?
„Kunststoff wäre auch gegangen“, sagt Dirk Lorenz von der Stiftung Warentest. „Aber es geht halt um das hochwertige Aussehen“. Displays, die scheinbar um die Ecke fließen, schlanke Formen oder eine Rückseite ohne Durchbrüche lassen sich mit Glas elegant erreichen.
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Nutzer müssen sich auf Hersteller-Versprechen verlassen
Nicht immer geht das gut, nicht nur im Alltag sondern auch im Härtetest der Stiftung Warentest. Sie testet in ihrer gefürchteten Falltrommel die Stabilität von Smartphones und prüft verbautes Glas auf Kratzfestigkeit. Was Dirk Lorenz festgestellt hat: Nicht alle Smartphones aus Glas schneiden hier gleich gut ab, aber auch nicht alle Glastelefone schneiden schlecht ab. Ein wenig liegt das am Design. „Durch das abgerundete Design fallen einige Geräte leichter auf Glas.“ Warum dabei manche Geräte eher splittern als andere, hängt am Ende von vielen Faktoren ab, sagt der Warentester.
Zwei Beispiele: Samsungs Galaxy S8 und Apples iPhone X überstanden die Falltrommel mit schweren Schäden, der Nachfolger S9 und das ebenfalls aktuelle iPhone 8 wiederum trugen kaum Blessuren davon.
Wie stabil ein Glas-Smartphone am Ende ist, wie kratz- oder bruchfest ein Spezialglas ausfällt, lässt sich im Vorfeld schlecht abschätzen. Käufer müssen sich letztlich erstmal auf Herstellerversprechen verlassen. Und was bedeutet es nun, wenn Gorilla-, Saphir-, Dragontrail- oder ein anderes Superglas im Telefon steckt? „Aus Nutzersicht heißt das, dass die Wahrscheinlichkeit für Bruchschäden sinkt, sagt Wolfgang Pauler, Leiter des Testzentrums der Fachzeitschrift „Chip“. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine Garantie gegen gebrochene Scheiben gibt es nicht.
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Hüllen und Folien als Schutz
Deswegen müssen die Glas-Telefone trotz aller Ingenieurskunst und Härte am besten von allen rohen Kräften ferngehalten werden. „Das Beste, was man für sein Glas tun kann, ist die Oberfläche zu schützen“, sagt BAM-Experte Ralf Müller. Denn nicht nur Stürze und Schläge, auch Kratzer durch kleine Partikel schädigen das Glas auf Dauer, und ein geschwächtes Glas hält weniger aus. Warentester Dirk Lorenz rät Nutzern, denen ihr Telefon gerne mal herunterfällt, zur Schutzhülle oder auch einem eher robusteren Design. Das können etwa Telefone mit Metallrahmen oder mit gummierter Rückseite sein.
„Das ist eigentlich schon absurd“, sagt Wolfgang Pauler. „Man kauft sich ein superelegantes Gerät und packt es erstmal in eine Hülle.“ Aber gerade ein guter Kantenschutz kann den Unterschied machen, falls das Gerät zu Boden geht. Schließlich fallen die Telefone eher selten flach auf das Glas sondern zunächst einmal meist auf die Kanten.
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Auch eine Schutzfolie für das Display ist sinnvoll. Sie wehrt nicht nur Kratzer von Staub in der Hosentasche ab, sondern schützt das Glas auch bei Stürzen und vor harten oder spitzen Gegenständen. Und der größte Vorteil: Ist sie am Ende, lässt sie sich recht leicht ersetzen.
Eine Folie kann auch eine gute Erste-Hilfe-Maßnahme gegen Risse im gesplitterten Display sein. Manchmal lassen sich so beginnende Risse noch eindämmen, bevor eine teure Reparatur nötig wird. Glasexperte Müller warnt aber: „Je größer der Riss, desto weniger belastbar ist das Glas in der Folge.“ Und je größer der Riss, desto größer sei auch die Chance, dass er bald weiterwächst.