26. Juni 2024, 17:28 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Früher war ICQ Kult, es galt als das Chat-Programm schlechthin. Mittlerweile wurde es von Diensten wie WhatsApp abgelöst. Doch noch lange wurde ICQ weiter genutzt. Das ist nun aber endgültig vorbei.
Im Jahr 1996 hieß das Internet bei vielen Menschen AOL, weil die meisten in den Anfängen des World Wide Web die bunte Plattform für „das Netz“ hielten. Deutschland wurde Fußball-Europameister, Take That haben die Showbühne verlassen und ICQ eroberte die Welt. Moment, ICQ? Der Name ICQ steht für den Satz „I seek you“ und war der erste kommerziell erfolgreiche Messenger der Welt. Entwickelt haben ICQ vier Studenten aus Israel. Mit ICQ hielt eine neue Form der Kommunikation Einzug in das Leben von Menschen: das Chatten.
Übersicht
Zur Erklärung: Bis in die 1990er-Jahre haben sich junge Leute persönlich oder per Telefon verabredet. Dank ICQ ging das auch per Computer. Der Zugang funktionierte denkbar einfach: Kostenlose ICQ-Software installieren, relevante Daten eingeben und los geht’s. Jede Benutzerin oder jeder Benutzer erhielten eine einzigartige ICQ-Nummer, zu Beginn noch sechsstellig, später achtstellig und ein wertvolles Gut. Da es Handys noch nicht flächendeckend gab, haben junge Leute ICQ-Nummern ausgetauscht.
ICQ entwickelte sich rasant. Plötzlich war es dank des Messengers möglich, mit Menschen auf der ganzen Welt zu schreiben oder zu chatten, wie es nun hieß – und das Ganze in Echtzeit. Junge Leute saßen vor ihren Rechnern und warteten auf ihre Freunde. Wann änderte sich die rote Blume auf Grün? Das bedeutete, ein Freund ist gerade online gegangen.
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Die frühen Jahre des Internets
Im Netz unterwegs zu sein, ist damals eine teure Sache gewesen. Flatrates oder Ähnliches gab es in der Form noch nicht. Die Onlinezeit lief über die normale Telefonrechnung. Die fiel in den 1990er-Jahren, in den jungen Jahren des Internets, deswegen häufig höher aus. Heute, wo wir alle ständig im Netz sind, können wir uns die damalige Situation kaum vorstellen.
Mit dem Chatten hielt auch ein weiteres Thema Einzug. Sozialer Druck. Auch das haben wir vermutlich ICQ zu verdanken. Denn wenn ein Freund online war, aber nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auf die eigene Nachricht geantwortet hatte, war das später – bei einem persönlichen Treffen – Anlass für Diskussionen. „Warum hast du denn nicht geantwortet? Du bist doch online gewesen.“ Diese Gespräche gibt es so oder so ähnlich bis heute immer noch. Leider.
Der Erfolg von ICQ ließ auch andere Unternehmen aufhorchen. Damals nutzten mehr als 100 Millionen Menschen den Messenger weltweit, zur damaligen Zeit und der teilweise noch geringen Internetverbreitung eine gewaltige Zahl. Deswegen entschied sich der erfolgreiche Anbieter von Internet-Zugängen, AOL, im Jahr 1998, den Dienst für sage und schreibe 407 Millionen US-Dollar zu kaufen.
Der Boom hielt noch eine Weile an. AOL selbst bastelte, genauso wie inzwischen auch Microsoft, an eigenen Messenger-Diensten. Denn das Potenzial des Echtzeit-Chats hatten inzwischen auch andere Dienstleister erkannt. Doch nur kurze Zeit später veränderte sich die Welt.
Technikwandel verdrängt ICQ
Bis zum genannten Zeitpunkt wählten sich Menschen per Modem ins Internet ein. Ende der 1990er-Jahre tauchte jedoch eine neue Einwahlmöglichkeit auf: das Breitbandnetz. Damit etablierten sich auch erste Flatrate-Angebote. In der Folge tauchten immer mehr Menschen online auf, allerdings nicht mehr über AOL, die den technologischen Trend nicht rechtzeitig erkannten. Der Stern von ICQ begann langsam zu sinken.
Vor allem Facebook beendete mit einem eigenen Messenger ab Mitte der 2000er-Jahre die goldenen Zeiten von ICQ. Der einstige Messenger-Gigant war plötzlich nur noch einer unter vielen und irgendwann einfach nicht mehr cool genug. Vielleicht ein erster Vorgeschmack auf das, was wir im Internet immer wieder erleben, nur viel schneller: Heute noch das große Ding und morgen schon vergessen.
Spätestens mit dem Aufkommen von WhatsApp wechselten auch die letzten ICQ-Fans den Kanal. Was WhatsApp nämlich geschafft hat, ist ICQ niemals gelungen: Die SMS abzulösen. Dennoch ist der Messenger mit der grünen Blume eine Art frühes WhatsApp gewesen. Nur haben die limitierten technischen Möglichkeiten einen größeren Siegeszug verhindert.
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Messenger wurde stetig weiterentwickelt
ICQ wurde im Jahr 2010 an die russische Mail.ru Group (jetzt VK Group) verkauft. Der Deal brachte AOL damals nur noch 187,5 Millionen US-Dollar. Die Zahl der ICQ-Nutzer lag zu diesem Zeitpunkt bei etwa 42 Millionen und sank danach noch weiter auf knapp 10 Millionen.
Trotzdem entwickelte die VK Group ICQ stetig weiter – auch in Form von Apps für Android und iOS. Anfang 2024 fand sich die iOS-App auf Platz 198 in den „Soziale Netzwerke“-Charts. Zwar gibt es heute keine verlässlichen Angaben zu Nutzerzahlen, laut Analyse-Firma Semrush haben aber zwischen Oktober und Dezember 2023 im Schnitt 2,27 Millionen Menschen die ICQ-Website besucht. Ein Viertel der Besucher kam dabei aus Brasilien, gefolgt von Russland und den USA.
So soe ICQ noch Anfang 2024 aus
Auch im Jahr 2024 ließ sich ICQ noch mit der Nummer nutzen, die man vor fast 30 Jahren bei der Anmeldung bekommen hatte. Allerdings bevorzugte der Messenger Telefonnummern – ohne war die Neuregistrierung nicht möglich.
TECHBOOK-Redakteur Adrian Mühlroth konnte sich in einem Testlauf im Februar 2024 mit seiner ICQ-Nummer aus dem Jahr 2005 oder 2006 problemlos in der aktuellen Browser-Version und in der App anmelden. Alle Kontakte von damals waren weiterhin dort zu finden – abgesehen von den gelöschten Profilen. Manche der Kontakte waren sogar als „Online“ markiert, es schien also tatsächlich noch Nutzer von damals zu geben.
Wer die Kontakte sind, ließ sich allerdings nicht so leicht nachvollziehen. Der Chatverlauf war leider nicht mehr vorhanden. Wer sich nicht daran erinnert, welche Personen hinter den Nicknames stehen, hatte keine Chance, deren wahre Identität herauszufinden – außer, sie haben eine Rufnummer hinterlegt. Und nach 20 Jahren Pause ist es manchmal schwierig, diese Information abzurufen.
Äußerlich zeigte sich ICQ im Test immer noch so simpel aufgebaut wie vor drei Jahrzehnten. Links die Kontaktleiste, rechts das Chat-Fenster. Unter der Haube hatte sich allerdings einiges getan. Es waren alle gängigen Features zu finden, die man von einem Messenger erwartet: Gruppen-Chats, Sprach- und Videoanrufe, Sprachnachrichten, Emojis, Bilder-, Video- und Dateiversand und sogar Umfragen.
Glaubt man den eigenen Angaben der VK Group, boten nicht nur Nachrichten auf ICQ Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE), sondern erstmals bei einem Messenger sogar Video-Anrufe. Damit war ICQ im Jahr 2024 theoretisch sicherer als die Konkurrenz.
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Ende besiegelt
Doch die Frage, ob der Dienst dadurch zu einer Alternative zu WhatsApp, Signal und Co. wird, ist hinfällig. Denn Ende Mai 2024 hat die VK Group das endgültige Aus von ICQ verkündet. Am 26. Juni 2024 wurde das ehemalige Kult-Chat-Programm endgültig eingestampft. Damit endete die Ära des wohl kultigsten Chats-Programm der Geschichte.
Alles fing mit ICQ an
„Ich kann mich noch sehr gut an die Anfangstage meiner Instant-Messaging-Ära erinnern. ICQ war damals schon seit fast einem Jahrzehnt einer der Marktführer. Viele meiner Schulkollegen waren schon online, also musste ich meiner Mutter Zeit am Familien-PC mit Internetzugang aus den Rippen leiern, um auch mitzumachen. Wahnsinn, welche persönlichen Gespräche und nicht selten auch Intrigen auf ICQ stattgefunden haben. Die Zeit mit dem Messenger war jedoch kurz, schon bald stiegen die meisten auf MSN oder Yahoo um – einfach weil die Programme mehr Funktionen boten. Trotzdem konnte ich mich noch lange an meine sechsstellige Nummer und bis heute an mein Passwort erinnern. Wie heißt es so schön: Das erste Mal vergisst man nie.“
Viele nächtliche Unterhaltungen
„ICQ war mein Tor zur Welt – außerhalb der Schule. Das Erste, was ich tat, als ich nach der Schule heimkam, war, ins Arbeitszimmer zu gehen und den Laptop anzuschalten. Teils saß ich bis in die Nacht und habe mich mit Freunden ausgetauscht. Smartphones gab es damals noch nicht, und mit 160 Zeichen einer SMS konnte man wenig anfangen, wenn man viel zu sagen hatte. Das freundliche ‚a au‘ werde ich in Erinnerung behalten.“