4. April 2024, 18:26 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Anfang 2024 hat Reinier Hendriks den Posten als CEO für das niederländische Unternehmen Fairphone übernommen. Im Interview mit TECHBOOK spricht Hendriks über seine Vision für nachhaltige Elektronik und was für ihn ein gutes Smartphone ausmacht.
TECHBOOK hat den neuen CEO von Fairphone auf dem MWC 2024 getroffen und über den Fokus, die Reichweite und den Einfluss des Unternehmens auf die Branche gesprochen. Im Detail ging es dabei um das aktuelle Fairphone 5 und mögliche neue Produkte. Aber auch darum, wie Software bereits existierende Geräte verbessern kann.
Fairphone will Elektronik länger nutzbar machen
Auf unsere Frage, welche Pläne Hendriks für die Zukunft von Fairphone habe, gab der CEO deutlich zu verstehen, dass eine längere Nutzbarkeit im Fokus steht: „[Das Fairphone 5] hält zehn Jahre lang. Man kann es selbst reparieren – man kann es also öffnen, das ist ganz einfach. Alles, was du an diesem Handy haben willst und was du ändern musst, kannst du selbst machen.“ Das Unternehmen wolle vermeiden, dass Smartphone-Besitzer bei Problemen gleich auf ein neues Gerät umsteigen.
Vorhandene Geräte so lange wie möglich zu nutzen, sei wichtig, um E-Waste zu reduzieren. Laut Hendriks machen Smartphones einen Großteil der 50 Millionen Tonnen Elektronikabfall pro Jahr aus. Mithilfe der mehr als 600.000 Geräte, die Fairphone bislang absetzen konnte, zeigt das Unternehmen, dass eine längere Nutzung durchaus möglich ist. Während herkömmliche Smartphones im Schnitt etwa zwei bis drei Jahre genutzt würden, wären es bei Fairphone-Produkten ganze sechs Jahre.
Mit diesen Zahlen möchte Hendriks zudem beweisen, dass es einen „lebensfähigen Markt für ethische Elektronik gibt“. Schließlich könne Fairphone nicht im Alleingang die Branche revolutionieren, sondern auch andere Unternehmen dazu anregen, den Wandel voranzutreiben.
Das „Fair“ in Fairphone steht nicht nur die Verwendung von Rohstoffen aus ethischen Quellen und recycelten Materialien, sondern auch eine faire Bezahlung über die gesamte Produkt-Pipeline hinweg. Von den Bergarbeitern in der Demokratischen Republik Kongo über die Fertiger in China bis zu den eigenen Mitarbeitern garantiert Fairphone eigenen Angaben zufolge faire Löhne.
Hendriks: „Vielleicht sind wir bereits an der Grenze dessen angelangt, was ein gutes Telefon sein sollte.“
Hendriks glaubt, dass wir zu einer anderen Definition kommen müssen, was großartige Technologie tatsächlich ist. Darin spiegelt sich die Vision des Fairphone-Co-Founders Miquel Ballester wider. Demnach sind wir möglicherweise bereits an der Grenze angelangt, was ein gutes Smartphone ausmacht. Die Innovation bei Dingen wie Kamera und Leistung schreitet in den vergangenen Jahren immer langsamer voran. Hendriks zufolge könne das Fairphone 5 mit der heutigen Technologie deshalb auch in den nächsten 10 Jahren das liefern, was Nutzer brauchen.
Um das zu erreichen, legt Fairphone den Fokus auf Software-Innovation. Das Unternehmen arbeitet konstant daran, Fehler zu beseitigen und neue Funktionen zu ergänzen. Vor allem das Kamera-Update, das kürzlich für das Fairphone 4 – ein zweieinhalb Jahre altes Gerät –ausgespielt wurde, illustriert diesen Punkt. Aufgrund des Kundenfeedbacks über die dürftige Kamera-Performance hat das Unternehmen viel Zeit in die Verbesserung der Bild-Software gesteckt. Das Ergebnis ist ein „Upgrade“, das die Kamera im Fairphone 4 eigenen Angaben zufolge auf das Level des Fairphone 5 anhebt.
Damit wolle Fairphone beweisen, dass Software-Innovation der wichtigere Weg ist, als ständig neue Hardware zu verwenden. Hierfür sei jedoch ein Umdenken in der Industrie notwendig – und das möchte Hendriks vorantreiben.
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Reparierbarkeit steht im Fokus bei Fairphone
Dass Fairphone-Produkte einfach reparierbar sind, ist kein Geheimnis. Es ist eines der Kernprinzipien des Unternehmens-Ethos – und wird immer wieder durch 10/10-Bewertungen von den Reparaturexperten bei iFixit bestätigt. TECHBOOK wollte von Fairphone-CEO Hendriks jedoch gerne wissen, ob Kunden ihre Smartphones auch tatsächlich selbst reparieren.
Hendriks zufolge sieht Fairphone tatsächlich, dass viele der mehr als eine halbe Million Kunden ihre Geräte selbst reparieren – mit den Ersatzteilen, die das Unternehmen auf seiner Seite selbst anbietet. Wie einfach die Reparatur ist, hat TECHBOOK selbst getestet und konnte Hendriks Zahlen bestätigen: In fünf Minuten lässt sich das Fairphone 5 komplett auseinandernehmen und wieder zusammenbauen.
Keine austauschbaren Platinen in Arbeit
Das Fairphone ist unter der Haube in Module unterteilt, die einfach austauschbar sind. TECHBOOK hat deshalb CEO Hendriks im Gespräch gefragt, ob Fairphone in Zukunft auch Upgrades für bestimmte Komponenten wie die Hauptplatine, das Logic Board, plane.
Hendriks zufolge sei keine derartige Möglichkeit in Arbeit, da „das SoC den größten negativen Beitrag zum CO2-Fußabdruck“ ausmache. Deshalb habe Fairphone einen speziellen Qualcomm-Chip verwendet, der den Support über viele Jahre deutlich vereinfacht. Auch hier betont der Fairphone-CEO, dass eine lange Lebensdauer wichtiger sei, als immer die neueste Hardware zu haben.
Neue Kopfhörer sind geplant
Neben Smartphones stellt Fairphone auch Kopfhörer her, die ebenfalls hochgradig reparierbar sind. Uns hat daher interessiert, ob das Unternehmen sein Ökosystem mit neuen Produkten erweitern will.
Hendriks: „Die nächste Priorität sind in der Tat die Audioprodukte. Deshalb haben wir die Fairbuds entwickelt, und es wird weitere Produkte im Audiobereich geben.“ Allerdings müsse Fairphone dafür seine Sichtbarkeit erhöhen und auf weitere Märkte vordringen. Deutschland und Frankreich seien Kernmärkte, doch um das Thema E-Waste anzugehen, reiche das nicht aus.
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Fairphone will andere Unternehmen zum Umdenken bewegen
Fairphone hat zweifelsfrei eine Vorreiterrolle, wenn es um nachhaltige und ethische Elektronik geht. Tatsächlich springen immer mehr Unternehmen wie Samsung, Apple und Lenovo auf diesen Zug auf, indem sie ihren CO2-Fußabdruck reduzieren oder einfacher reparierbare Geräte veröffentlichen.
Hendriks will den Einfluss auf die Branche jedoch weiter vorantreiben und einen lebensfähigen Markt für ethische Elektronik schaffen: „Nicht nur Fairphone, sondern wir als Industrie müssen den Elektroschrott, den wir derzeit produzieren, reduzieren […]. Und das ist die Wirkung, die wir unserer Meinung nach erzielen müssen.“