27. Februar 2023, 12:05 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Heutzutage will wohl kaum jemand ohne sein Handy sein. Doch bei einigen Menschen, darunter vor allem „Digital Natives“, nimmt die intensive Bindung zum Smartphone extreme, mitunter krankhafte Ausmaße an. TECHBOOK erklärt die typischen Merkmale einer neuen und offenbar ernstzunehmenden Abart der Angststörung: der sogenannten Nomophobie.
Der Begriff Nomophobie (zusammengesetzt aus „No Mobile Phobia“) steht für die Angst davor, kein Smartphone bei sich zu haben oder nicht erreichbar zu sein. Gemeint ist damit nicht ein einfaches Unwohlsein, das wohl jeder kennen dürfte, der sein Handy mal zu Hause vergessen oder gar geklaut bekommen hat. Die Rede ist von Zügen einer Angststörung. Deshalb rückt das Phänomen immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Lesen Sie hier, was man bereits über Nomophobie weiß.
Übersicht
Ständige Smartphone-Nutzung kann krankhafte Folgen haben
Die Nutzung von Kommunikationsgeräten, insbesondere des Smartphones, hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Laut Angaben des Statistik-Portals Statista verwenden 16- bis 29-Jährige ihr Gerät durchschnittlich zwei Stunden und 47 Minuten lang am Tag. Mal nicht erreichbar sein bzw. selbst mit anderen in Kontakt treten können – kaum noch denkbar. Kein Wunder, dass man es als unangenehm empfinden kann, wenn unterwegs der Akku leer geht oder man länger keinen Empfang hat. Und natürlich gibt es auch (Not-)Situationen, in denen die Angst davor, niemanden kontaktieren zu können, nachvollziehbar wäre. Doch Nomophobie beschreibt keine rationalen Ängste. Es geht hierbei um massiv überzogene Empfindungen, die demnach vor allem junge Leute kennen.
Schon wenige Minuten ohne Handy erhöhen Herzfrequenz
Forscher aus Ungarn haben bereits 2017 in einer Studie mit 18- bis 26- Jährigen mithilfe von Pulsmessern herausgefunden, dass schon wenige Minuten ohne Handy bei ihnen zu erhöhten Herzfrequenzen führte1. Weiterhin beobachteten sie bei den Schülern eine Neigung zu Übersprungshandlungen (z. B. unvermitteltes Kratzen im Gesicht, Zappeln, nervöses Zucken in den Augen). Zum Verständnis: Die Probanden hatten ihre Handys nur für wenige Minuten liegen lassen sollen, in denen sie in einem anderen Raum am Computer verschiedene Denksportaufgaben lösten.
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Studie aus Deutschland zum Thema Nomophobie
Forscher der PFH Private Hochschule Göttingen haben das Thema in einer aktuellen Studie noch weiter vertieft2. Dabei sei es vor allem darum gegangen, herauszufinden, welche Symptome für eine Nomophobie sprechen, und hierfür ein „geprüftes diagnostisches Instrument“ zu erstellen. Nicht zuletzt sollte der Anteil an Betroffenen in Deutschland ermittelt werden. Alle Details zur Studie sind in der Online-Fachzeitschrift Public Library of Science (PLOS ONE) nachzulesen, TECHBOOK fasst zusammen.
Vorgehen bei der Untersuchung
807 Frauen und Männer im Durchschnittsalter 25 – „Digital Natives“, die also in der digitalen Welt (mit Smartphones und sozialen Netzwerken) aufgewachsen sind – haben an der Studie teilgenommen. Sie bekamen eine Adaption des „Nomophobia Questionnaire NMP-Q“ ausgehändigt. Hierbei handelt es sich um einen international häufig eingesetzten Fragebogen, so Prof. Dr. Yvonne Görlich von der Göttinger Uni in einer Pressemitteilung. Der Bogen erfasst insgesamt vier Dimensionen von Smartphone-Entzugserscheinungen und deren Stärke. Diese Dimensionen wurden mit „nicht kommunizieren können“, „Verbindungsverlust“, „nicht auf Informationen zugreifen können“ und „Komfortverzicht“ übersetzt.
Ergebnis: Jeder zweite betroffen – Frauen stärker
Bei rund der Hälfte der Teilnehmer ließ sich auf Basis der ausgefüllten Fragebögen ein „mittleres Maß an Nomophobie“ feststellen und bei immerhin 4,1 Prozent der Teilnehmer eine schwere Form der Störung. Dabei sollen Frauen insgesamt „höhere Nomophobie-Scores“ erzielt haben, so Prof. Görlich, insbesondere bei den Faktoren „nicht kommunizieren können“ und „Komfortverzicht“. Sie erklärte sich dies damit, dass Frauen gemeinhin ein stärkeres Bedürfnis nach sozialen Beziehungen haben sollen und dieses stärker zur Kommunikation nutzten als Männer.
Typische Symptome von Nomophobie
Smartphone-Sucht und Nomophobie sind sicherlich verwandt. Doch das eine beschreibt eine Suchterkrankung und das andere eine Angststörung, erklärt Studienleiterin Görlich. Entsprechend sind auch die Symptome unterschiedlich. Bei der Nomophobie komme es zu einem „subjektiv verschobenen, übermäßigen Angstempfinden“. Betroffene seien nervös, mitunter panisch und fielen mit auffälliger Reizbarkeit auf. Je nach Schwere des „Befunds“ (– in Anführungsstrichen, denn Nomophobie ist noch nicht offiziell als Krankheit anerkannt) können die Symptome die einer klassischen Angststörung sein. Hierzu zählen z. B. Zittern, Schwitzen, Verspannungen, Atemnot, und Magen-Darm-Beschwerden.
Wer als besonders gefährdet gilt
Man wisse bereits aus früheren Untersuchungen, dass Nomophobiker häufig auch an weiteren Auffälligkeiten leiden. Viele von ihnen beschreiben sich demnach als einsam, leiden an Depressionen und/oder einer verminderten Impulskontrolle. Ebenso sei bekannt, dass Nomophobie mit der verbreiteten FOMO („Fear of Missing Out“ = Angst davor, etwas zu verpassen) „signifikant positiv korreliert“. Diese wechselseitige Beziehung leuchtet ein, denn durch die permanente Nutzung von Smartphones bzw. sozialer Medien bekommen die Betroffenen stets mit, was passiert. Abgeschnitten vom Handy zu sein, bedeute für sie folglich, „nicht zu wissen, was gerade los ist und deswegen nicht mitreden zu können, nicht mehr dazuzugehören“. So erklärt es Florian Beutenmüller von Jugendmedienportal „handysektor.de“.
Weitere Studien seien nun geplant, um zu ermitteln, ob sich durch eine kontrollierte Smartphone-Nutzung eine bestehende Nomophobie lindern kann.
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Quellen
- 1. V. Konok, Á. Pogány, Á. Miklósi, 2017, Mobile attachment: Separation from the mobile phone induces physiological and behavioural stress and attentional bias to separation-related stimuli, Computers in Human Behavior
- 2. M. Coenen, Y. Görlich, (2022), Exploring nomophobia with a German adaption of the nomophobia questionnaire (NMP-Q-D), Plos One