3. August 2017, 13:06 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Der Preis ist schwindelerregend, aber ist die Leica M10 auch ihr Geld wert? TECHBOOK hat die außergewöhnliche Kamera getestet.
Sieht man die Leica M10 mit dem Summilux 35mm f1.4 Objektiv so vor sich auf dem Tisch liegen, dann würde man kaum vermuten, was für ein Preis für diese Kamera-Objektiv-Kombination vom Traditions-Kamerahersteller Leica aus dem hessischen Wetzlar aufgerufen wird: Satte 11.850 Euro muss man für dieses Duo bezahlen – dafür bekommt man schon einen Kleinwagen.
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Wolf im Schafspelz
Dabei sieht die Leica M10 so unscheinbar aus – eher wie eine alte Filmkamera, die man beim Kramen auf dem Dachboden finden würde und nicht wie eine hochpreisige Digitalkamera, die es in Sachen Bildqualität mit den Flaggschiffen von Nikon und Canon aufnehmen kann. Doch genau dieser Brücke zwischen analog und digital hat sich Leica mit den M-Kameras verschrieben: Die erste M-Kamera erschien in den 50er-Jahren und hieß Leica M3. Seitdem gab es mehrere Iterationen, aber würde man heute eine M3 direkt neben eine M10 stellen – man würde den Unterschied erst feststellen, wenn man beide Kameras umdreht und den Bildschirm auf dem Rücken der M10 sieht, der ihre digitale Natur verrät.
Und auch der Funktionsumfang ist im Geiste alter Filmkameras geblieben: Während Kameras anderer Hersteller bis zum Rand mit praktischen Komfort-Funktionen ausgestattet sind, hält Leica es bei der M-Serie bewusst so reduziert wie möglich – und treibt diesen Minimalismus bis zu einem Punkt, an dem es für viele Fotografen wohl nur noch schwer nachzuvollziehen ist, warum man eine solch rudimentäre Kamera in der heutigen Zeit noch benutzen möchte.
Das M steht für Messsucher
Doch was bekommt man bei einer Kamera, die zum einen Wert auf Tradition und Reduktion legt, aber bei der man allein schon für den Body – ohne Objektiv! – 6850 Euro auf den Tisch legen muss und die damit im selben Preissegment rangiert wie eine Nikon D5 oder Canon 1Dx Mark II, den teuersten Vollformat-Profi-Kameras der beiden Platzhirsche auf dem Spiegelreflex-Markt?
Am einfachsten ist es da wohl aufzuzählen, was die M10 nicht kann, denn trotz des hohen Preises müssen Käufer der M10 auf einiges verzichten: Es gibt keinerlei Autofokus – sämtliches Fokussieren geschieht bei der M10 per Hand. Es gibt keinerlei Video-Modus – die Kamera ist ein reiner Fotoapparat. Es gibt keinen Auto-Belichtungsmodus – zwar kann man an der Kamera eine Zeit- und ISO-Automatik verwenden, die Blende wird aber in jedem Fall manuell am Objektiv eingestellt.
Was man dagegen bekommt, ist ein Messsucher – das wohl herausstechendste Merkmal der M-Serie: Anstatt durch das Objektiv, wie bei einer Spiegelreflex-Kamera, schaut man bei diesem optischen Sucher durch ein Fenster im Gehäuse seitlich am Objektiv vorbei und bekommt durch einen durch LEDs eingeblendeten Kasten im Sucher angezeigt, welcher Bildausschnitt am Ende auf dem Foto zu sehen ist. Je nach verwendetem Objektiv ist dieser Kasten also mal kleiner und mal größer. Der Vorteil eines solchen Suchers: Da man bei einem Messsucher mehr als nur den Bildausschnitt sieht, den der Sensor beim Druck auf den Auslöser aufnehmen wird, sondern auch alles drum herum, kann man besser antizipieren, wann ein Subjekt in das Motiv hineinläuft und so die Bildkomposition besser planen. Allerdings sieht man bei einem Messsucher immer nur ungefähr wie das Foto am Ende aussehen wird – der Sucher einer DSLR ist da deutlich präziser.
Fotografieren ohne Stützräder
Mit der M10 soll man Fotos machen, nicht mehr und aber nicht weniger – und zwar so, wie schon seit Jahrzehnten Fotos geschossen werden: Durch das manuelle Ausbalancieren von Blende, Verschlusszeit und Lichtempfindlichkeit und das manuelle Fokussieren per Hand. Das klingt zunächst archaisch und furchtbar langsam, mit genug Erfahrung und Übung muss es das aber gar nicht sein. Und gerade dieser handwerkliche Aspekt, die klickenden Einstellräder, das Drehen am samtweichen Fokusring und die wertige Verarbeitung des Instruments Leica begeistert viele Fotografen.
Und trotz oder gerade wegen dieses Minimalismus übt die M10 eine Faszination aus, die sich wohl am ehesten mit der Begeisterung von Auto-Enthusiasten für einen Sportwagen vergleichen lässt und damit auch für Einzelne den hohen Preis rechtfertigt: Denn auch hier wird gerade durch das Weglassen von Assistenzsystemen und Verzicht auf Komfort für viele das Fahren erst richtig spannend – und ähnlich geht es den Fans der Leica M-Serie. Denn mit der M10 zu fotografieren, ist wie fotografieren ohne all die digitalen Stützräder, die Fotografen heutzutage ihr Handwerk erleichtern.
Aber genauso wie bei Auto-Fans die Meinungen über unterschiedliche Karossen auseinander gehen, polarisiert auch Leica mit ihrer Kamera-Philosophie: Ob es nun ein Feature ist, diese ganzen Helferlein aus einer Kamera zu entfernen, ist durchaus streitbar – während Puristen und Leica selbst von einer „Balance zwischen langer Tradition und innovativer Technik“ sprechen, kann man genauso argumentieren, dass man sich durch den Verzicht auf Komfort-Funktionen nur selbst Steine in den Weg legt und man sich dank der technologischen Unterstützung viel besser auf das Motiv konzentrieren kann, anstatt an der Kamera herumzuwerkeln.
Moderne Zugeständnisse
Nun hat die Leica M10 aber auch eine digitale Seite und macht durchaus ein Reihe von Zugeständnissen an die heutige Zeit: Zum Beispiel liefert die M10 neben dem Messsucher noch die Möglichkeit über den Live-View Fotos zu schießen und unterstützt den Fotografen mit praktischem Fokus-Peaking. Außerdem kann die M10 ein WLAN aufziehen und sich über die korrespondierende Leica-App durch das Smartphone fernsteuern lassen oder Fotos von der Kamera auf das Handy übertragen, ohne dass man dazu einen Computer benötigt.
Während diese Ergänzungen durchaus willkommen sind, hapert es an der Umsetzung leider noch an vielen Stellen. Die Menüs sind nur eine lange Liste, die Funktionen in Unterpunkten verbirgt, und die Wege zu den einzelnen Punkten sind lang. Außerdem ist das Menü nicht immer eindeutig beschriftet und dadurch, dass die M10 sehr spärlich mit Knöpfen ausgestattet ist, sind einige Aktionen auch umständlich. Es wirkt ein bisschen, als wäre die Benutzeroberfläche erst im letzten Schritt erdacht und mit wenig Zeit, daran zu feilen, umgesetzt worden.
Aber ist die Kamera den Preis wert?
Doch bei all der Faszination und Kontroverse, die eine Leica auslösen mag, stellt sich am Ende die Frage: Ist diese Kamera den Preis wert? Schließlich sprengt man je nach Objektiv schnell die 10.000-Euro-Marke und die Auswahl an drei Objektiven, die Leica für diesen Test bereitstellte, erreichte zusammen mit der Kamera einen schwindelerregenden Preis von 15.600 Euro.
Was man zu der Leica M19 und ihren Objektiven sagen kann: Die Bildqualität ist fantastisch und das Objektiv-Ökosystem, in das man sich mit einer M-Kamera einkauft, bietet eine beeindruckte Auswahl an ausgezeichneten Objektiven. Vor der Konkurrenz muss ich Leica mit dem verbauten 24 Megapixel Sensor nicht verstecken und kann man die Leica mit ein bisschen Übung souverän bedienen, dann macht das nicht nur eine Menge Spaß, sondern bietet auch eine befriedigend viel Kontrolle über das Foto.
Allerdings ist die Leica M10 ein absolutes Luxusprodukt mit einem Luxuspreis: Wem es allein nur um die Bildqualität geht, der sollte sich für das Geld lieber bei Canon, Nikon oder Sony umgucken. Bei Leica geht es stattdessen auch um die Tradition, in der diese Kamera steht, das ungewöhnliche Konzept des Messsuchers und um den Namen Leica an sich, den man ebenfalls mitbezahlt. Von daher ist die Leica eine Kamera, die man nicht kauft, wenn man ganz rational die Vor- und Nachteile abwägt, das Preis-Leistungs-Verhältnis vergleicht und auf der Suche nach der vernünftigsten Kamera ist – denn davon ist die M10 weit entfernt.
Und darum wird für die überwältigende Mehrheit der Käufer die Leica M10 auch überhaupt nicht in Frage kommen – dafür ist sie zu teuer, zu speziell und zu reduziert. Wer aber das nötige Kleingeld hat, weiß, worauf er sich beim Messsucher und manuellem Fokus einlässt, und bereit ist, für dieses Paket den satten Leica-Aufpreis zu bezahlen, der bekommt für das Geld auch eine außergewöhnliche und beeindruckende Kamera.