6. August 2023, 9:53 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Jessica Contento, Mitgründerin des Online-Nachhilfeangebots „Easy-Tutor“, spricht im Interview mit TECHBOOK über ihre Erfahrungen als Businessfrau in der Tech-Welt, über die Förderung von jungen Mädchen und das Bildungswesen in Deutschland.
Als Tochter italienischer Migranten hätte sich Jessica Contento vor allem in Fächern wie Deutsch bisweilen Unterstützung gewünscht, die ihre Eltern naturgemäß nicht leisten konnten. Contento hat dennoch ihr Fach-Abitur gemacht und bietet heute als Mitgründerin des Online-Nachhilfeangebots Easy-Tutor die Hilfe an, die ihr in der Jugend verwehrt blieb. Mit TECHBOOK hat die Frau des ehemaligen FC Bayern München-Profis Diego Contento über ihren eigenen Bildungsweg, den Bildungsnotstand in Deutschland und den Beitrag, den digitale Lernangebote für die Bildungsgerechtigkeit leisten können, gesprochen.
Frau Contento, mit Easy-Tutor haben Sie und Ihre Partner 2017 ein digitales Angebot für (Online-)Nachhilfe gelauncht. Aus heutiger Sicht erscheint das einem fast prophetisch, schließlich war Corona damals noch nicht einmal ein böser Traum.
Jessica Contento: Ja, das könnte man denken (lacht). Wir haben aber auch damals schon gesehen, dass ein Online-Nachhilfeangebot das Leben von Familien wesentlich erleichtert – vor allem was die Organisation angeht. Ich habe Easy-Tutor mit meinem Bruder Massimo gegründet. Er hat während seines Studiums in München Nachhilfe gegeben und musste dafür zu den Schüler:innen nach Hause fahren. Er merkte selbst, wie viel Zeit durch die Fahrten verloren ging. Außerdem wunderte er sich, dass keine seiner Schüler:innen oder Eltern nach seiner Qualifikation fragten. Durch diese Erfahrungen kam er auf die Idee zu Easy-Tutor: Nachhilfe sollte einfach, zeitlich flexibel, mit hohen Qualitätsstandards und vor allem im Online-Format stattfinden. Die Akzeptanz der Eltern zu bekommen, war zunächst gar nicht so einfach, denn digitaler Unterricht war vor Corona noch ein Fremdwort.
Aber das hat sich ja dann mit der Pandemie ziemlich schnell geändert. Wie sahen denn die ersten Schritte der Gründungsphase aus?
Zur Zeit der Gründung von Easy-Tutor, das war 2017, lebte ich noch in Frankreich. Als Mutter konnte ich mich mit dem Thema Nachhilfe sofort identifizieren. Denn zwei Jahre später kam meine erste Tochter in die Schule. Mir war klar, es gibt noch viel zu tun im Bildungsbereich in Deutschland. Statt klassischer Nachhilfe wie früher wollten wir mit einer digitalen und einfachen Lösung Nachhilfe auf das nächste Level und in die heutige Zeit bringen.
Ketzerisch gefragt: Hat Easy-Tutor von Corona profitiert?
Corona hat natürlich dazu beigetragen, dass digitaler Unterricht mehr und mehr Akzeptanz fand. Corona wirkte als Beschleuniger vor allem für die Lehrkräfte, sich mit digitalen Unterrichtsformen und Tools zu beschäftigen. Denn zur Zeit der Schulschließungen war es die einzige Möglichkeit, die Schüler und Schülerinnen überhaupt noch zu erreichen. Alle suchten nach schnellen Lösungen. Da waren wir mit unserem digitalen Lernangebot natürlich gleich zur Stelle und konnten Hilfe anbieten. Gemeinsam mit der HypoVereinsbank als Partner haben wir im März 2020 eine Corona-Hilfsaktion gestartet und haben über 2500 Familien mit mehr als 10.000 kostenfreien Unterrichtseinheiten unterstützt, um die Kinder während der Schulschließungen nicht alleine zu lassen.
Nachhilfe digital setzt ein grundsätzliches Verständnis der digitalen Medien voraus, wie ist es um Ihre eigenen digitalen Skills bestellt?
Ich arbeite bei Easy-Tutor nicht in der IT und bin demnach nicht für die Programmierung unserer Lernplattform zuständig. Aber ein grundsätzliches Verständnis habe ich natürlich. Umso wichtiger ist für mich, die Perspektive der Eltern und Schüler:innen einzunehmen, für die die Nutzung unserer Plattform so einfach und zeitsparend wie möglich sein soll. Sie erledigen dort das komplette Terminmanagement mit den Tutor:innen. Die Schüler:innen arbeiten auf einer digitalen Tafel und die Lerninhalte stehen in der Easy-Tutor-Cloud zur Verfügung. Die Nutzung der Plattform ist also so einfach und selbsterklärend, dass es jede und jeder auch ohne IT-Skills schafft.
Wie sahen ursprünglich, also vor Easy-Tutor, Ihre Pläne aus?
Nach dem Fachabitur war mein eigentlicher Plan, Betriebswirtschaftslehre in München zu studieren. Stattdessen bin ich noch während der Abschlussprüfungen mit 19 Mutter geworden. Mein Mann Diego, der damals Profifußballer war, bekam ein Angebot und wir sind mit unserer kleinen Tochter nach Frankreich gezogen. Dort war ich dann erstmal abgehängt, was das Studieren anging und bekam noch unsere zweite Tochter. Easy-Tutor haben wir dann schon während der Zeit in Frankreich gegründet. Später ging es für uns als Familie zurück nach Deutschland und es hat sich alles gut gefügt.
Hatten Sie es als Frau, noch dazu als Spielerfrau und mit einem migrantischen Hintergrund, doppelt und dreifach schwer in unserer Gesellschaft, Ihre Vision umzusetzen bzw. ernst genommen zu werden?
Ich würde nicht sagen, dass ich es schwerer hatte als andere Frauen, in der Gründerszene ernst genommen zu werden. Weder wegen meiner italienischen Wurzeln noch als Spielerfrau. Ich bin ein sehr positiver und ehrgeiziger Mensch, erkenne Chancen und Potenziale und nutze sie. Beispielsweise habe ich durch den Hintergrund meines Mannes als Fußballprofi natürlich auch ein großes Netzwerk aufbauen können und es ergeben sich dadurch viele Möglichkeiten – auch für unser Business bei Easy-Tutor. Inzwischen unterstützen wir den Nachwuchs von über 50 Prozent der ersten und zweiten Bundesliga-Vereine in Deutschland. Das Thema Schulbildung nimmt bei den Vereinen heute einen größeren Stellenwert ein als früher. Denn nicht jeder wird später auch Profi werden, und die Schule sollte deshalb nicht zu kurz kommen. So hat jeder ein Netzwerk, das ihm Chancen bietet, die er nutzen sollte, um sich und sein Business erfolgreich weiterzuentwickeln. Mein Motto: Wenn sich Türen öffnen, sollte man auch durchgehen.
Hatten Sie Vorbilder?
Vorbilder sind für mich ganz klar meine Eltern, die nach Deutschland kamen und hier seit Jahrzehnten erfolgreich selbständig sind. Mein Bruder Massimo und ich haben das von klein auf so vorgelebt bekommen und konnten für unsere eigene Gründung viel von ihrem Mindset und ihren Erfahrungen mitnehmen. Ansonsten finde ich, man kann von jedem Menschen etwas lernen.
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Hätten Sie sich als Schülerin ein Angebot wie Easy-Tutor gewünscht?
Auf jeden Fall hätte es mir sehr geholfen. Als Tochter italienischer Migranten waren vor allem Fächer wie Deutsch für mich nicht so ganz einfach. Für unsere Eltern war es sehr wichtig, uns Kinder gut auszubilden, weshalb sie auch in Nachhilfe für mich investiert haben. Das hat mich bis zum Fachabitur sehr unterstützt.
Nach welchen Kriterien sollte ich ein digitales Nachhilfe-Angebot auswählen?
Um den passenden Online-Nachhilfeanbieter für sich zu finden, gibt es ein paar Dinge, die Familien bei der Auswahl beachten sollten. Zuallererst sollte es die Möglichkeit zu einer kostenlosen Probestunde geben. Bei uns wählt man vorher über unsere Plattform den passenden Tutor oder Tutorin für das betreffende Fach zu den gewünschten Zeiten aus. Aktuell haben wir einen Pool von 1000 geprüften Tutor:innen, die Fachexpert:innen und Pädagog:innen sind. In der Probestunde können sich beide Seiten kennenlernen und sehen, ob die Chemie stimmt. Wenn alles passt, sollten Eltern darauf achten, dass die Vertragsmodelle flexibel sind und das Preis-Leistungs-Verhältnis fair ist.
Wie sieht bei der Online-Nachhilfe ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis aus?
Bei Easy-Tutor bieten wir von der einzeln buchbaren Stunde bis zum 12-Monats-Paket alles an. Je länger die Vertragslaufzeit, desto günstiger wird es natürlich. Lehrer- und Fachwechsel sind jederzeit möglich. Sehr wichtiger Punkt: Alles Organisatorische sollte schnell und einfach ablaufen. Bei uns wird die gesamte Terminorganisation mit dem Tutor bzw. der Tutorin direkt auf der Plattform abgewickelt. Dadurch gelingt die Abstimmung mit dem Familienkalender zeitlich flexibel und unkompliziert. Die Ergebnisse der Lerneinheiten sollten zur Wiederholung jederzeit abrufbar sein. Bei uns stehen alle Inhalte aus der Stunde in der Easy-Tutor-Cloud zur Verfügung. Gearbeitet wird interaktiv auf einer gemeinsamen digitalen Tafel. Es sollte die Möglichkeit geben, den Unterricht zu bewerten, um Feedback zu geben und eine hohe Qualität des Unterrichts sicherzustellen.
Können Sie ein paar Zahlen zu Easy-Tutor nennen?
Aktuell sind wir bei Easy-Tutor über 40 Mitarbeiter:innen. In unserem Pool haben wir über 1000 geprüfte Tutor:innen, die Nachhilfe in 20 Schulfächern anbieten. Wir arbeiten mit über 200 Partnerschulen bundesweit zusammen, die ihren Schüler:innen Lernunterstützung mit unserer Online-Nachhilfe anbieten. Die Kinder nutzen die Möglichkeit entweder während der Schulzeit, wenn beispielsweise der Unterricht ausfällt oder am Nachmittag zu Hause. Zudem kooperieren wir mit 50 Prozent der ersten und zweiten Bundesliga und unterstützen deren Nachwuchsspieler bei den schulischen Aufgaben.
Kommen Angebote wie Easy-Tutor angesichts von Lehrkräftemangel etc. beinahe schon zu spät? Sie haben kürzlich ja die Qualität der schulischen Bildung in Deutschland als „eines der größten Probleme unserer Zeit“ bezeichnet …
Grundsätzlich würde ich sagen, es ist nie zu spät, anzufangen! Wenn wir so denken, geben wir unsere Kinder auf und damit unsere Zukunft als Gesellschaft. Das kommt natürlich nicht infrage. Ich würde auch lieber davon sprechen, dass die digitale Transformation und Reformierung unseres deutschen Schulsystems eine der großen Aufgaben unserer Zeit ist. Ich sehe die Chance, mit digitalen Lernangeboten dafür zu sorgen, dass alle Kinder die gleichen Chancen erhalten. In Zeiten von Lehrermangel und überfüllten Klassen ist eine individuelle Lernförderung von Einzelnen gar nicht mehr möglich. Hier können zusätzliche digitale Lernangebote für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen.
Machen Sie sich Sorge, dass Deutschland, einst als Land der Dichter und Denker gerühmt, mittelfristig zu einer Art Bildungs-Diaspora verkommen könnte?
Entspannt zurücklehnen können wir uns sicher nicht, wenn es um die schulischen Leistungen und die Ausbildung unserer Kinder geht. Die erst im Mai dieses Jahres veröffentlichte IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung; Anm. d. Red.) zeigt, dass jede:r vierte Viertklässler:in nicht richtig lesen kann. Tatsächlich schneiden Grundschüler:innen in Deutschland bei der Lesekompetenz im internationalen Vergleich schlechter ab als Gleichaltrige in vielen anderen Ländern. Eine andere Wahrheit ist, Kinder aus privilegierten Elternhäusern haben noch immer größere Chancen auf Bildungserfolg als Kinder aus ärmeren Familien. Es hat sich also bei Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in den vergangenen 20 Jahren eigentlich nichts verändert.
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Was muss geschehen?
Aus meiner Sicht sollten wir die Chancen von digitalen Bildungsangeboten noch stärker nutzen und besser ausschöpfen. Wir haben mit digitalen Lernangeboten die Möglichkeit, alle Kinder zu erreichen und sie individuell zu fordern und zu fördern. Durch den persönlichen Kontakt mit den Tutor:innen entstehen persönliche Beziehungen, die gerade für benachteiligte Kinder einen großen Unterschied beim Lernerfolg machen. In diesem Bereich ist noch viel Luft nach oben. Vor allem sollten wir hier früh ansetzen, um die Kinder nicht schon am Anfang bei den Grundlagen wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu verlieren, was den Grundstein für alles Weitere in der schulischen Laufbahn legt. Genau deshalb sollten unterstützende Maßnahmen nicht an großen bürokratischen Hürden scheitern, sondern schnell umsetzbar sein.
Fachkräftemangel gibt es auch in den technischen Berufen. Was muss sich ändern, damit Frauen hier eine Ressource sein können?
Ich spreche als Mutter von zwei Töchtern und habe oft den Eindruck, dass wir es schon sehr früh versäumen, Mädchen und junge Frauen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern – mit dem Ergebnis, dass sich Mädchen auch viel weniger für diese Themen interessieren. Wir Menschen lernen am besten über eigenes Erleben und Erfahrung – und das ist ja bei allen gleich, ob Mädchen oder Junge. Es beginnt also schon bei der frühkindlichen Bildung in den Kitas, wo die Neugier mit spannenden Experimenten und Projekten für die Welt der Naturwissenschaften geweckt werden sollte. Wir werden als Gesellschaft in Zukunft gezwungen sein, die Ressourcen der Frauen nicht zu verschwenden und dafür brauchen wir nachhaltige Konzepte.
Zu guter Letzt: Was würden Sie jungen Frauen heute raten, die sich vielleicht für einen Technik-Beruf interessieren?
Egal, welche Voraussetzungen ihr habt, jede kann es schaffen! Wer an sich glaubt und alle Chancen nutzt, die sich bieten, wird sich sowohl als Mensch als auch beruflich weiterentwickeln. Speziell im Tech-Bereich sehe ich noch immer zu wenig Frauen, die hier eine Karriere anstreben. Dabei brauchen wir gerade in der IT viele verschiedene Schnittstellen und Kompetenzen, die vor allem Softskills wie Kommunikation und Teamfähigkeit erfordern. Das Klischee vom grummeligen Nerd und Programmierer ist aktuell nicht mehr gefragt. Traut euch, setzt Impulse und findet euren Platz in der spannenden und zukunftsweisenden Tech-Welt!