5. Februar 2024, 17:26 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Elektrogeräte länger nutzen und viele Tonnen Müll sparen? Mit einer neuen Richtlinie möchte die EU das Recht auf Reparatur stärken und damit sowohl Verbraucher als auch die Umwelt schützen. TECHBOOK erklärt, wie das funktionieren soll.
Was lange währt, wird endlich gut. So zumindest stellt die EU ihre neue Richtlinie zum Verbraucher- und Umweltschutz vor. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatten sich die Verhandlungsführer des EU-Parlaments, der EU-Kommission und des Ministerrats geeinigt: Das Recht auf Reparatur soll EU-weit gestärkt werden.
Die offizielle Zustimmung von EU-Parlament und Ministerrat gilt nur noch als Formsache, 20 Tage danach tritt die Richtlinie in Kraft. Der genaue Gesetzestext ist zwar noch nicht öffentlich, doch TECHBOOK kann bereits einen ersten Überblick über die vereinbarten Zielsetzungen und Maßnahmen geben.
Übersicht
Was steckt hinter dem „Recht auf Reparatur“?
Das Recht auf Reparatur wird schon seit Jahren vom EU-Parlament forciert und auch die deutsche Ampel-Regierung hatte dieses Prinzip in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Der Kern des Rechts auf Reparatur besagt, dass Unternehmen die Reparatur von Geräten sowohl möglich als auch attraktiv machen sollen. Wenn heute der Akku vom Smartphone schlapp macht, ist ein Neukauf oft eine billigere und langfristigere Lösung als ein professioneller Akku-Tausch.
„Wir können es uns nicht mehr leisten, in einer Wegwerfgesellschaft zu leben“, sagte René Repasi von der SPD und Verhandlungsführer des Europaparlaments. Bis zu 35 Millionen Tonnen Müll fallen jährlich in der EU an – allein weil Produkte vorschnell weggeschmissen und ersetzt werden. Ein längerer Lebenszyklus von Elektrogeräten entlastet aber nicht nur Verbraucher, sondern spart auch Treibhausgase und Rohstoffe. Doch was bedeutet das nun in der Praxis?
Lücken bei Gewährleistung und Garantie
„Reparatur wird einfacher und erschwinglicher, indem der Zugang zu Ersatzteilen zu einem angemessenen Preis und zu Reparaturanleitungen der Hersteller auch für kleine Repair Shops um die Ecke und Tüftlerinnen in ihren Garagen garantiert wird“, sagte Anna Cavazzini (Grüne), Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses des EU-Parlaments.
Bisher haben Kunden durch die gesetzliche Gewährleistung das Recht, mangelhafte Ware durch den Händler reparieren oder austauschen zu lassen. Allerdings gilt bei der zweijährigen Gewährleistung, dass der Mangel bereits zum Zeitpunkt der Übergabe bestehen muss. Geht etwa eine Waschmaschine oder ein Smartphone nach diesen zwei Jahren oder durch Verschulden des Verbrauchers kaputt, greift die Gewährleistung nicht. Eine Reparatur ist in diesen Fällen ohne Herstellerunterstützung oft teuer und schwierig.
Neben der gesetzlichen Gewährleistung bieten viele Hersteller eine freiwillige Garantie an. Diese umfasst aber nur Reparaturleistungen und Mängel, die der Hersteller selbst festlegt. Verbraucher, die ein kaputtes Gerät nicht wegschmeißen wollen, aber es nicht selbst reparieren können, sind daher von der Kulanz des Herstellers abhängig. Damit aber zukünftig deutlich mehr Geräte langfristig in Gebrauch bleiben, müssen die Reparaturangebote für die Verbraucher so komfortabel wie möglich sein. Da aber viele Hersteller ein gutes Geschäft mit dem häufigen Neukauf machen, will die EU nun einen gesetzlichen Rahmen schaffen.
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So funktioniert das Recht auf Reparatur
Das Recht auf Reparatur umfasst vor allem typische Alltagsgeräte wie Smartphones und Staubsauger und vor allem die sogenannte weiße Ware. Dieser Begriff bezeichnet große Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Elektro-Herde, Kühlschränke und Trockner – alles Geräte, die früher ein weiß emailliertes Blechgehäuse besaßen. Inwiefern die EU-Richtlinie auch braune Geräte – also Unterhaltungselektronik wie Fernseher und Spielkonsolen – einschließt, muss sich zeigen. Hier stammt der Name übrigens von den alten Fernseh- und Radiogeräten, die Gehäuse aus Holz und Holzimitat besaßen.
Allerdings sind nicht alle Produkte vom neuen Recht auf Reparatur erfasst. Ausgeschlossen sind laut Medienberichten beispielsweise Kopfhörer. Wo genau die Grenze bei alltäglichen elektrischen Geräten verläuft, ist noch nicht ganz klar. Wenn sich das Recht auf Reparatur auf Smartphones erstreckt, dann wäre – zumindest aus Verbraucherperspektive – der Schritt zu Kopfhörern nur konsequent. Die EU hat in Zukunft aber die Möglichkeit, die konkrete Produktliste durch die ergänzende Ökodesign-Verordnung zu erweitern.
Ersatzteile aus dem 3D-Drucker
Durch die EU-Richtlinie sollen Hersteller die Reparatur der betroffenen Produkte längerfristig sicherstellen. Das bedeutet einerseits, dass sie die Originalteile für eine längere Zeit und zu einem angemessenen Preis verfügbar machen sollen – auch für andere Händler und Reparaturshops. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, bestimmte Teile per 3D-Drucker zugänglich zu machen.
Bereits seit März 2021 sind Hersteller von Großgeräten wie Waschmaschinen verpflichtet, Ersatzteile zehn Jahre lang verfügbar zu halten. Für kleinere Geräte wie Kaffeemaschinen galt das allerdings nicht. Doch gerade bei günstigeren Produkten sind Verbraucher schnell geneigt, das defekte Gerät einfach zu ersetzen.
Andererseits sieht die Richtlinie ein Verbot von Softwarepraktiken vor, die die Reparatur von einer externen Stelle verhindern. Gerade dieser Aspekt wirkt fast wie ein persönlicher Seitenhieb gegen Apple. Der Konzern hatte bisher penibel auf ein geschlossenes Ökosystem geachtet und dadurch unabhängige Reparaturwerkstätten praktisch ausgeschlossen. Der Einbau der Ersatzteile muss aber nun zukünftig praktikabel und mit herkömmlichem Werkzeug möglich sein.
Weitere Anreize für Verbraucher
Doch selbst wenn die Verbraucher ihr Recht auf Reparatur wahrnehmen und das defekte Smartphone zur Reparatur einsenden, verursacht dies einigen Aufwand. Daher sieht die neue EU-Richtlinie zusätzliche Anreize für die Verbraucher vor. Wer etwa sein Gerät innerhalb der Gewährleistungszeit vom Hersteller reparieren lässt, für den verlängert sich der Gewährleistungsanspruch um ein Jahr. Dieses Konzept ist in Deutschland nicht neu: Hier erhalten reparierte Produkte eine zweijährige Gewährleistung. Im Rahmen der EU-Richtlinie steigt der Anspruch nochmal um ein Jahr.
Damit Verbraucher von ihrem Recht auf Reparatur auch tatsächlich Gebrauch machen, müssen Verkäufer ihre Kunden zukünftig über die Möglichkeit der Reparatur und des Ersatzgeräte-Verleihs informieren. Auch den einfachen Online-Zugang zu Reparaturpreisen sollen die Verkäufer gewährleisten. Denn wer ein Produkt ohne Gewährleistungs- oder Garantieanspruch reparieren lassen möchte, wird dafür zahlen müssen. Idealerweise ist die Reparatur gegenüber dem Neukauf aber dennoch erschwinglich.
Außerdem sieht die EU-Richtlinie vor, dass die EU-Staaten mindestens eine Maßnahme einführen, um die Reparatur für Verbraucher attraktiv zu machen. Solche Maßnahmen könnten Reparaturgutscheine, Fonds oder eine geringere Mehrwertsteuer bei den Reparaturkosten sein. 24 Monate haben die EU-Staaten Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
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Zu wenige Produkte, zu geringe Anreize
Insgesamt hat die EU mit dem Recht auf Reparatur eine wichtige Grundlage geschaffen, um einerseits die bereits existierenden Gewährleistungsrechte zu stärken und andererseits die Reparatur jenseits von gesetzlicher Gewährleistung in erschwinglicher Form zu ermöglichen. Die EU-Kommission schätzt, dass dadurch in den nächsten 15 Jahren 18,5 Millionen Tonnen Treibhausgase und 1,8 Millionen Tonnen Rohstoffe wegfallen könnten. Außerdem sollen 3 Millionen Tonnen Abfall vermieden werden.
Das Bündnis Right to Repair Europe begrüßt den gesetzgeberischen Schritt grundsätzlich, kritisiert aber die Beschränkung auf überwiegend weiße Ware. Auch seien die Anreize für den billigen Neukauf noch immer zu groß, sodass die EU-Richtlinie womöglich nur überschaubare Erfolge erzielen könnte. Schließlich haben Verbraucher, die von der Gewährleistung Gebrauch machen, auch das Recht, den Austausch statt der Reparatur zu fordern.
Außerdem hatte das EU-Parlament ursprünglich auch Fahrräder in die Produktliste aufnehmen wollen. Doch die EU-Kommission und der Ministerrat hatten sich dagegen ausgesprochen. Wer sein Fahrrad oder ein elektrisches Gerät selbst reparieren will, kann dies auch in einem Reparaturcafé tun. Allerdings werden solche Einrichtungen meist ehrenamtlich betrieben – eben weil Neuwaren so günstig und Elektriker so teuer sind, dass nur motivierte Tüftler selbst Hand anlegen.
Right to Repair fordert deshalb, dass noch mehr Geräte und Produktarten in die Ökodesign-Richtlinie aufgenommen werden. Denn letztlich kann nur eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und pragmatische Umsetzung zu dem Gesinnungswechsel führen, den wir dringend brauchen: weg von der Wegwerfgesellschaft, hin zur Reparaturkultur.