12. Januar 2025, 8:50 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Nachricht, dass Smartphone- und Elektronik-Hersteller Elektroautos bauen wollen, ist gewiss nicht neu. Apple etwa mühte sich ein Jahrzehnt darum, ein solches Auto, das iCar, auf die Räder zu stellen – bis man Anfang 2024 schließlich den Stecker zog. Zu kostspielig und damit zu riskant schien Apple-Chef Tim Cook das Vorhaben. Umso verblüffender, dass chinesische Smartphone-Produzenten wie Xiaomi oder Huawei solche Autos von der Idee bis zum serienreifen Modell scheinbar aus dem Ärmel geschüttelt und auf die Straße gebracht haben.
Neben Apple hatte auch Dyson, das vor allem für hochpreisige Staubsauger, Händetrockner und Heizlüfter bekannt ist, über Jahre die Idee vom E-Auto vorangetrieben. Schließlich aber hatte Unternehmensgründer James Dyson angesichts der (vermeintlichen) Risiken kapituliert. Ganz anders Lei Jun. Der Co-Gründer und jetzige CEO von Xiaomi, hatte 2021 angekündigt, ein E-Auto bauen zu wollen. Und tatsächlich benötigte Jun, gerade einmal drei Jahre, um mit dem Xiaomi Speed Ultra 7 ein verkaufsfertiges Elektroauto auf die Räder zu stellen. Dabei war Xiaomi bis dahin in China und dem Rest der Welt weniger für E-Autos, sondern eher für Smartphones und andere Elektronik bekannt.
Bei genauerer Überlegung aber ist dieser Erfolg vielleicht gar kein so großes Wunder. „Was ist ein E-Auto anderes als Elektromotor, Akku und jede Menge Software?“, fragte das Nachrichten-Portal, „Focus Online“ bereits vor geraumer Zeit. Und gab die Antwort gleich selbst. „Sieht man vom Motor ab: ein großes Smartphone also.“
Übersicht
Xiaomis Speed Ultra 7 löst den „Haben-Wollen“-Reflex aus
Der Speed Ultra 7, kurz SU7 genannt, ist auf dem chinesischen Markt bereits eine feste Größe. TECHBOOK konnte das E-Auto aus China bereits auf dem MWC 2024 begutachten.
Im Oktober 2024 berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, Xiaomi habe „im vergangenen Sommer mehr E-Autos als die deutschen Oberklasse-Hersteller“ verkauft. Ebenfalls kein Wunder, löst die Silhouette des SU7 beim Betrachter doch umgehend den „Haben-Wollen“-Reflex aus. Was zugegebenermaßen gerade daran liegt, dass das Erscheinungsbild des SU7 doch recht deutlich an den Taycan, Porsches erstes E-Auto, erinnert. Aber was soll’s?! Erstens gilt die Kopie in Asien gewissermaßen als Ehrerbietung vor dem Original, und zweitens ist der Taycan nun wirklich alles andere als ein unattraktives Auto. Da schwinden bei vielen auch die Zweifel, die bei Produkten aus China hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit sonst womöglich aufkommen.
E-Auto mit gebündeltem Smartphone-Know-how aus China
Natürlich ist im SU7 Auto all das geballte Wissen gebündelt, das Xiaomi bei der Smartphone-Herstellung bisher angehäuft hat. Zudem setzt man, wie beim Smartphone, auch beim E-Auto aus China auf die Strategie, Premium-Qualität günstiger anzubieten als die Konkurrenz. So ist der Speed Ultra 7 zumindest im Heimatland ein absolutes Schnäppchen. Während Porsches Taycan dort umgerechnet rund 130.000 Euro kostet, beläuft sich der Kaufpreis für den SU7 auf gerade einmal 28.000 Euro. Ein Preis, der im vergangenen Jahr dazu führte, dass Xiaomi von Bestellungen regelrecht überrannt wurde. Die ersten 50.000 SU7 seien bereits nach 27 Minuten reserviert gewesen. So konnte Xiaomi im vergangenen Jahr insgesamt 137.000 Exemplare absetzen.
Diese Preis-Strategie mag auf den ersten Blick verblüffen. Analysten sind gar sicher, dass Xiaomi aktuell mit jedem E-Auto rund 10.000 Euro verliere. Das allerdings scheint Lei Jun buchstäblich eingepreist zu haben angesichts einer Strategie, die zunächst auf zehn Jahre ausgerichtet ist. Bereits 2023 hatte das News-Portal „Spiegel Online“ den Xiaomi-Chef damit zitiert, dass das Unternehmen innerhalb von 15 bis 20 Jahren zu einem der fünf größten Auto-Hersteller der Welt aufsteigen und ein Traumauto, vergleichbar mit Porsche und Tesla, bauen wolle.
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Anfängliche Verluste sind fest eingeplant
Gerade für einen Asiaten, dem Zurückhaltung sonst gleichsam in die Wiege gelegt wird, mag das beinahe größenwahnsinnig klingen. Und man könnte gar meinen, dass sich die Steve Jobs-Verehrung von Lei Jun hier Bahn bricht. Angesichts des riesigen chinesischen Marktes, dessen Bedarf nach wie vor immer noch zu wachsen scheint, könnte zumindest die Stoßrichtung aber stimmen.
Die Deutsche Bank etwa erwarte einen Anstieg der jährlichen Verkäufe von 137.000 auf eine Million im Jahr 2027 und damit hohe Bruttogewinne auf dem Niveau des Smartphone-Geschäfts, meldete das Börsen-Portal „Der Aktionär“ Ende vergangenen Jahres. Klar ist allerdings, dass man den Preis von 28.000 Euro in Europa/Deutschland nicht wird halten können. Gleichwohl dürfte der SU7 dann immer noch deutlich günstiger angeboten werden als ein vergleichbarer Taycan. Und dass der Export des E-Autos aus China nach Europa bereits beschlossene Sache sein dürfte, dafür könnte der Auftritt des SU7 auf den Fachmessen in Paris und Barcelona sprechen. Jedenfalls habe das die Spekulationen befeuert, Xiaomi werde den SU7 bald auch in Europa anbieten.
E-Auto aus China erntet Lob – trotz fehlender Infos
Angesichts all dieser Zahlenspiele könnte einem beinahe schwindelig werden. Und das, obwohl die Frage, wie sich der SU7 tatsächlich auf der Straße anstellt, hierzulande bisher nur rudimentär zu beantworten ist. Sehr viel mehr als ein paar Rahmendaten – das E-Auto soll stolze 681 PS stark und 250 km/h schnell sein –, liegen nicht vor. Tests mit messbaren Ergebnissen gab es bisher zumindest von der deutschen Fachpresse noch nicht.
Immerhin aber äußern sich die Experten, die zumindest einmal im E-Auto aus China Platz nehmen und einmal um den Block fahren durften, sehr angetan. Was der Autor dieses Textes, der den SU7 bisher auch nur von Bildern kennt, allerdings bestätigen kann: Fahrtests mit anderen E-Autos aus chinesischer Produktion, etwa der Airways U7, zeigen, dass die Chinesen mehr oder weniger auf Augenhöhe mit der Konkurrenz unterwegs sind. Nicht zuletzt bestätigt wird diese Meinung durch den Fakt, dass deutsche Hersteller wie BMW, Mercedes oder VW auf dem chinesischen Markt stückzahlenmäßig mittlerweile hinterherfahren.
Auch Huawei mischt auf dem E-Auto-Markt mit
Xiaomi aber ist längst nicht der einzige Smartphone-Hersteller aus China, der das E-Auto zum eigenen Handy baut, genauer gesagt noch bauen will. So bietet auch Huawei mittlerweile ein E-Auto an. Das Modell Luxeed R7, das der Smartphone-Hersteller in Kooperation mit dem chinesischen Autobauer Chery realisiert, ist auf dem chinesischen Markt bereits erhältlich.
Und ähnlich wie Xiaomis SU7 scheint auch der Luxeed R7, eine imposante Luxus-Limousine, das Zeug zum Verkaufsschlager zu haben. Wohl auch, weil Huawei mit dem KI-System Qiankun ADS 3.0 „die Straßenerkennung sowie die Analyse von Verkehrssituationen auf ein neues Niveau heben soll“, wie „E-Fahrer“ im vergangenen Oktober erklärte. Und neben dem bisherigen Verkaufserfolg gibt es zudem eine weitere Parallele zu Xiaomi. Denn auch Huawei plant Verluste zunächst offensichtlich ein. So rechne Geschäftsführer Richard Yu mit einem Verlust von umgerechnet 3800 Euro pro Fahrzeug, so „E-Fahrer“.
Im Übrigen ist der Luxeed R7 nicht die einzige Kooperation, die Huawei in Sachen E-Auto betreibt. Bereits im August 2024 hatte man mit dem Stelato S9 eine Luxus-Limousine präsentiert. In diesem Fall setzt(e) man auf das Know-how der BAIC Group, ebenfalls ein chinesischer Automobilhersteller. Die Kooperation bündele alle vorteilhaften Ressourcen der gesamten BAIC-Industriekette, einschließlich der Fahrzeugforschung und -produktion, der Entwicklung von Autoteilen sowie von Dienstleistungen und Handelserfahrungen, wie das Nachrichten-Portal „German.China.Org“ BAIC-Chef Zhang Jianyong zitierte.
Gigant aus China Was Sie über den Smartphone-Hersteller Xiaomi wissen sollten
TECHBOOK-Redaktion Das waren unsere Highlights auf dem MWC 2024
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Meizu setzt auf die große Erfahrung von Geely
Ein weiterer Player auf dem chinesischen Markt ist Meizu. 2015 noch der elftgrößte Smartphone-Hersteller der Welt, hat Meizu im vergangenen Jahr zwar die Produktion von Android-Telefonen wohl eingestellt, konzentriert sich nun aber ganz auf künstliche Intelligenz (KI).
Bereits im Januar 2024 stellte man in China mit dem DreamCar MX ein E-Auto vor, das, zumindest was den Kooperationspartner betrifft, über jeden Zweifel erhaben sein sollte. Denn das DreamCar MX ist das Produkt einer Zusammenarbeit mit Geely. Geely ist nicht nur der führende Fahrzeughersteller (Autos und Motorräder) in China, sondern versammelt unter seinem Dach renommierte Auto-Marken wie Volvo, Polestar oder Lotus. Zudem „arbeitet der Konzern seit 2020 zusammen mit Mercedes-Benz an der Marke Smart“, wie unsere Kollegen von „Computer Bild“ im Sommer 2024 zu berichten wussten. Nach einigen Ankündigungen im vergangenen Jahr lässt die Präsentation eines serienreifen Autos bisher allerdings noch auf sich warten.