17. Mai 2024, 13:21 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Beim Thema Mobilität spielen Sharing-Dienste wie Bolt eine wichtige Rolle. In einem exklusiven Interview mit Balthasar Scheder, Regional General Manager für Bolt Deutschland, hat TECHBOOK über die Vision des Unternehmens und die Herausforderungen für die Mobilität der Zukunft gesprochen.
Bolt ist ein Anbieter von Sharing-Diensten für Mobilität, der verschiedene alternative Transportmittel unter einem Dach vereint. Selbsternanntes Ziel ist es, die Abhängigkeit vom privaten Auto zu reduzieren und damit Städte „für Menschen zu machen“.
Übersicht
Der richtige Mobilitätsmix und Integration mit dem ÖPNV
Bolt integriert verschiedene Mobilitätslösungen wie E-Scooter und E-Bikes für kurze Strecken bis hin zu Carsharing und digitaler Fahrtenvermittlung in einer „All-in-One“-Mobilitäts-App. Außerhalb Deutschlands ist das Unternehmen auch im Bereich Essens- und Lebensmittellieferungen aktiv. Das soll die Abhängigkeit vom privaten Pkw reduzieren, da viele Menschen ihr Auto für Fahrten zum Supermarkt nutzen. TECHBOOK hat nachgefragt, wie Bolt den Stadtverkehr der Zukunft sieht. Scheder: „Der E-Scooter wird nicht die komplette Mobilität in der Stadt abbilden und lösen, sondern der Mobilitäts-Mix wird das Entscheidende sein. Und da ist der ÖPNV der essenzielle Bestandteil.“ Er sehe das Unternehmen als Teil des Ganzen „und nicht als Konkurrenz zu bestehenden Angeboten.“
Bolt kooperiert in erschlossenen Städten mit den lokalen ÖPNV-Anbietern und anderen Sharing-Unternehmen – etwa in Berlin über die Jelbi-App. Diese Integration in bestehende Angebote, insbesondere in den öffentlichen Nahverkehr, ist für Bolt wichtig. Seine Daten zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Fahrten an ÖPNV-Knotenpunkten beginnen oder enden, was Bolts Mikro-Mobilitäts-Angebot als Zubringer oder Last-Mile-Option bestätigt.
Regulierung und Zusammenarbeit mit Städten
Regulierung spielt für Bolt eine wichtige Rolle. Anfangs wurden Scooter-Angebote über unverbindliche „Memorandums of Understanding“ (MoUs) geregelt. Inzwischen gibt es striktere Anforderungen an den operativen Betrieb und das Parken. Bolt bewertet dies positiv, wenn die Regulierung sinnvoll ist und Städte bereit sind, infrastrukturelle Veränderungen vorzunehmen. Die Zusammenarbeit mit Städten und Behörden ist für Bolt entscheidend, um sinnvolle Regulierungen und Infrastrukturverbesserungen zu erreichen.
Ein Beispiel für die Herausforderungen der Regulierung ist die Situation in Gelsenkirchen, die Anfang April mediale Aufmerksamkeit bekam. Die Stadt wollte verpflichtende ID-Checks für Scooter einführen, was Bolt und der Anbieter Tier rechtlich anzweifeln. Scheder sagt dazu: „Wir und auch unsere Anwälte sind der Auffassung, dass Kommunen einen verpflichtenden ID-Check nicht zur Voraussetzung einer Sondernutzungserlaubnis machen dürfen. […] Der ID-Check hat mit dieser Form der Sondernutzung nichts zu tun. Und daher ist unsere klare Aussage: Das geht in dieser Form nicht zu regulieren. Und daher willigen wir dieser neuen Form der Regulierung auch nicht ein.“
Beide Unternehmen haben ihre Fahrzeuge vorerst abgezogen und gehen den rechtlichen Weg, um Klarheit zu schaffen. Das Oberverwaltungsgericht lehnte einen Eilantrag ab, da keine Dringlichkeit bestand. Das Hauptverfahren wird klären, ob die verpflichtenden ID-Checks rechtlich zulässig sind.
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Technologische Lösungen zur Erhöhung der Sicherheit
Laut Scheder ist Vandalismus gar kein so großes Problem, wie es in der Öffentlichkeit gerne dargestellt wird: „Vandalismus wird in der Öffentlichkeit häufig als einer der Hauptprobleme, wenn es um E-Scooter geht, dargestellt. Es ist allerdings nicht so, als wären das enorme Ausmaße. Klar gibt es hier und da mal Vandalismus-Fälle, aber das ist jetzt auch in den meisten Städten kein riesengroßes Thema.“
Reaktionstest, um Trunkenheitsfahrten zu verhindern
Viel problematischer seien stattdessen Trunkenheitsfahrten. Um diese zu verhindern, hat Bolt Alkoholtests eingeführt, die von Donnerstag bis Sonntag in den Nachtstunden aktiv sind. Scheder erklärt: „Damit müssen alle Nutzer vor Beginn der Fahrt einen Reaktionstest durchlaufen. Und wenn der nicht bestanden wird, gibt es eine Information: Hey, eventuell nicht das perfekte Fahrzeug, um jetzt weiterzufahren.“ Bei einem negativen Ergebnis wird ihnen geraten, nicht zu fahren und stattdessen das Ridesharing-Angebot zu nutzen. Letztlich hebt Scheder jedoch hervor, dass die Nutzer selbst die Entscheidung treffen müssen: „Aber es ist am Ende, wie es auch mit einem privaten Auto ist: Die Menschen müssen für sich selbst Verantwortung tragen und das Risiko einschätzen können und da für sich die richtigen Entscheidungen treffen. Und wir versuchen das eben technologisch zu unterstützen.“
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KI hilft bei der Erkennung von falschem Parken
Falsch geparkte Leih-Scooter – sowie Leih-Fahrräder und -E-Bikes – sind in vielen Städten ein wachsendes Problem. Nicht nur das Stadtbild leidet darunter, blockierte Gehwege stellen auch ein Sicherheitsproblem für Fußgänger dar. Bolt hat deswegen technische Maßnahmen zur Verbesserung des Parkens ergriffen.
Nach jeder Fahrt müssen Nutzer Foto des geparkten Fahrzeugs machen. Eine KI analysiert das Bild, um sicherzustellen, dass das Fahrzeug korrekt geparkt ist. In Städten mit klar markierten Parkflächen erkennt die KI, ob das Fahrzeug innerhalb dieser Markierungen steht. Diese Maßnahme ist beispielsweise in Düsseldorf aktiv, wo das System laut Scheder korrektes Parken mit einer Erfolgsquote von nahezu 100 Prozent gewährleistet: „Über […] technologische Unterstützung sind wir auch in der Lage, ein nahezu exaktes Parken zu gewährleisten. Und das sind so die Aspekte, die auch aufzeigen, dass man logischerweise das Angebot weiterentwickelt, das wir auch sehr viel in Innovationen investieren.“
„Reckless Rider Score“ erlaubt Bolt den Ausschluss von Nutzern
Um Tandemfahrten – also Fahrten mit zwei Personen auf einem Scooter – zu verhindern, hat Bolt eine Software entwickelt, die das erkennen kann. Tandemfahrten belasten die Fahrzeuge, die in der Regel für 100 bis 110 Kilogramm ausgelegt sind, übermäßig und erhöhen zudem das Unfallrisiko. Bei wiederholtem Verstoß schließt Bolt Nutzer von der Plattform aus.
Das Unternehmen verfolgt auch das Fahrverhalten der Nutzer generell. Ein sogenannter Reckless Rider Score bewertet Faktoren wie Beschleunigung, Bremsen, Parken und auch das unrühmliche „Driften“. Nutzer mit auffälligem Verhalten erhalten Warnungen und müssen bei wiederholten Verstößen eine Rider Academy durchlaufen, die Verkehrsregeln vermittelt. Bei weiteren Verstößen erfolgt ein Ausschluss von der Plattform.
Unfallstatistiken und Helmpflicht
Bolt führt interne Unfallstatistiken, die Scheder zufolge „zeigen, dass relativ zur Anzahl der Fahrten die Anzahl an Unfällen zurückgeht, also rückläufig ist und diese Maßnahmen, die wir ergreifen, auch durchaus einen direkten Effekt haben.“ Ein 2023 veröffentlichter Bericht der Vereinigung Micro-Mobility for Europe (MMfE), der auch Bolt angehört, scheint das zu bestätigen. Demnach sei die Zahl der Unfälle, die medizinische Behandlung erfordern, seit 2019 um 60 Prozent zurückgegangen.
Scheder betont zudem: „Absolute Zahlen sind Quatsch, es bringt nichts, ein Mobilitäts-Modell, das 100 Millionen Kilometer im Jahr zurücklegt, mit einem Modell zu vergleichen, das 10 Millionen zurücklegt und dann zu sagen, das eine hat 500 und das andere 2000 Unfälle.“ Viele Unfälle würden durch schlechte Infrastruktur oder Zusammenstöße mit Pkws verursacht. Das Unternehmen ist offen für eine Helmpflicht, allerdings nur, sofern eine Gleichstellung zu Fahrrädern erfolgt. Scheder: „Für uns ist es daher wichtig, dass beide Fortbewegungsformen auch gleich behandelt werden. Aus diesem Grund hat auch die Bast in ihrer Evaluierung der Elektrokleinstfahrzeuge keine Empfehlung für eine Helmpflicht ausgesprochen.“ Ein Grund dafür könnte sein, dass viele es als unhygienisch empfinden, einen Helm zu tragen, den andere bereits verwendet haben. Eine Helmpflicht für E-Scooter allein würde demnach einen deutlichen Nachteil bei der Nutzung von Leih-Fahrzeugen bedeuten.
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Regulatorische Anpassungen und Herausforderungen
Das Anpassen an verschiedene Regulierungen in den bedienten Ländern ist für Bolt kein großer Aufwand. Die Systeme könnten Scheder zufolge schnell auf die jeweiligen Länderanforderungen eingestellt werden. In Deutschland sind E-Scooter auf 20 km/h begrenzt und benötigen eine gesonderte Haftpflichtversicherung.
Die Begrenzung auf 20 km/h erachtet Scheder als sinnvoll für die Sicherheit, die Versicherungspflicht sei jedoch höchst aufwendig: „Klar, das Versicherungsthema ist primär ein Kostenpunkt und enormer operativer Aufwand. Kann man sich vorstellen. Wir müssen einmal im Jahr [zum Wechsel des Verkehrsjahres] von über 50.000 Fahrzeugen die Versicherungsplakette wechseln.“
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Eigene Fahrzeugentwicklung und Mobilität der Zukunft
Bolt entwickelt und produziert einen Großteil seiner Fahrzeuge selbst. Dies ermöglicht es dem Unternehmen, robuste und technologisch fortschrittliche Modelle anzubieten. Das neueste Modell, veröffentlicht Ende vergangenen Jahres, ist besonders robust und mit Technologien wie Kameras ausgestattet, die erkennen können, ob der Nutzer auf dem Bürgersteig oder der Straße fährt. Eine große Batterie, die weniger häufig gewechselt werden muss, reduziert den operativen Aufwand.
Bolt investiert intensiv in Hardware und Software, um die Sicherheit und Effizienz seines Angebots zu gewährleisten. Das Unternehmen sieht sich in der Verantwortung, Nutzerprobleme zu adressieren und gleichzeitig sichere und regulierbare Fahrzeuge bereitzustellen. Eine langfristige Perspektive sind autonome Fahrzeuge. Die Partnerschaft mit Starship, einem Start-up, das autonome Lieferroboter entwickelt, ist ein Beispiel für Bolts Engagement in diesem Bereich. Scheder erklärt: „Die sind beispielsweise in Tallinn auch teilweise schon im Test auf den Straßen unterwegs und fahren autonom in Schrittgeschwindigkeit die Straßen entlang und bringen Lieferungen aus etc.“
Bereit für den Massseneinsatz sei die Technologie jedoch nicht: „Das sind natürlich sinnvolle Ergänzungen, um da auch einfach 24 Stunden einen guten Service zu bieten und irgendwann wird es auch in die Richtung gehen, dass Taxis autonom fahren. Das sagt man aber auch schon seit fünf, sechs, sieben Jahren. Aber man sieht ja auch, dass da noch gewisse Entwicklungen notwendig sind, um das dann auch gut und sicher zu integrieren.“