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Meinung

Führen uns Apps in Richtung Digitalzwang oder zu mehr Freiheit?

QR Code auf dem Handy mit Scanner
Gibt es einen Digitalzwang in Deutschland? TECHBOOK hat sich das näher angeschaut. Foto: Getty Images
Lars Lubienetzki
Freier Redakteur

30. Juni 2024, 9:40 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Immer mehr Anbieter stellen ihre Apps in den jeweiligen App-Stores zum Download bereit. Viele Sachen werden heutzutage nur noch online abgewickelt. Man ist dank diverser Messenger immer erreichbar. Da kann es vorkommen, dass einige Menschen das Gefühl haben, ständig online sein zu müssen. Doch ist das wirklich so?

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Bahnfahrten per App buchen, Termine digital vereinbaren, beim Einkauf im Supermarkt mit der App Geld sparen – für manche Menschen bedeutet das eine enorme Zeitersparnis und eine gewisse Freiheit. Andere Menschen hingegen fühlen sich durch die zunehmende Digitalisierung des täglichen Lebens ausgegrenzt. Oft fällt in dem Zusammenhang der Begriff „Digitalzwang“. Nachfolgend möchte TECHBOOK über die aktuelle Situation berichten und das Für und Wider digitaler Apps aufzeigen.

Warum Menschen gerne Apps nutzen

Wir leben in einer Welt der ständigen Erreichbarkeit. Immer online zu sein, war lange Zeit eine Utopie. Seit der Erfindung des Smartphones ist dies jedoch Realität geworden. Für junge Menschen gehören soziale Medien zum engeren Freundeskreis. Von den Nachrichtenströmen auf TikTok, Facebook oder WhatsApp abgeschnitten zu sein, ist für die jüngere Generation völlig unvorstellbar.

Auch Erwachsene vertrauen auf ihr Smartphone, nicht nur dienstlich. Eben schnell noch etwas online einkaufen, E-Mails checken oder den neuen Blockbuster streamen – früher mussten Sie dafür aus dem Haus gehen, zum Briefkasten, in den Supermarkt oder ins Kino. Heute erledigen Sie solche Dinge bequem vom heimischen Sofa aus. Die Coronazeit hat sehr deutlich gemacht, was digital alles funktioniert, wenn die analoge Welt (zumindest teilweise) verschlossen bleibt.

Deshalb meiden viele Menschen Apps

Dabei sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt, ständig online zu sein. Das zeigen aktuelle Zahlen:

  • Laut Statistischem Bundesamt sind mehr als 3 Millionen Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren noch nie online gewesen.
  • Nicht erfasst sind die Menschen älter als 74 Jahre. Zu dieser Gruppe gehören etwa 9,2 Millionen Menschen.
  • Der Deutsche Städte- und Gemeindetag hat herausgefunden: über die Hälfte der 65-jährigen Menschen und älter besitzen oder nutzen kein Smartphone.

Dazu kommen noch Personen, die freiwillig offline leben. Diese Zahl lässt sich nicht genau bestimmen. Die Gründe, nicht online zu sein oder am digitalen Leben teilzuhaben, sind vielfältig. Derzeit spielt das Alter (noch) eine größere Rolle. Mit jeder weiteren Generation dürfte dieses Thema allerdings in den Hintergrund rücken.

Auch aus finanziellen Gründen verzichten Menschen auf ein Smartphone und den dazugehörigen Vertrag bei einem der vielen Anbieter. Diese Personengruppe verfügt jedoch in der Regel zumindest über einen Internetzugang per PC.

Gibt es ein Grundrecht auf analoges Leben?

Diese vielen Millionen Menschen, die fast komplett analog leben, möchte der Verein Digitalcourage nachhaltig vor Digitalzwang schützen. Wobei es keine klare Definition gibt, was damit eigentlich genau gemeint ist.

Der Verein Digitalcourage, der sich für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter engagiert, versucht auf seiner Webseite zumindest eine Eingrenzung des Begriffs. Nach Ansicht des Vereins liegt Digitalzwang vor, wenn …

  • der Service ein zusätzliches, rein digitales Angebot ist, welches die Teilhabe am öffentlichen Leben einschränkt und Menschen ohne Smartphone diskriminiert, speziell bei staatlichen oder behördlichen Leistungen,
  • es kein analoges Angebot gibt, obwohl technisch möglich,
  • ein analoges Angebot mehr kostet oder einen höheren Aufwand verursacht und somit unattraktiv wird, somit keine echte Alternative darstellt.

Der Verein betont ausdrücklich, dass er weder gegen die Digitalisierung noch grundsätzlich technikfeindlich ist. Die Menschen in Deutschland sollten lediglich eine Wahlmöglichkeit haben und nicht zur Nutzung eines Smartphones gezwungen werden.

Diese Tendenz erkennt der Verein. Viele Unternehmen stellen analoge Zugänge und Prozesse zunehmend auf digitale um. Laut Gesetzgeber ist das legal. Es gibt derzeit keine gesetzliche Regelung, die vorschreibt, auf welche Weise Privatunternehmen oder Behörden ihre Angebote bereitstellen müssen. Anders ausgedrückt: Es gibt keine Verpflichtung für diese Organisationen, ihre Dienstleistungen auch analog zur Verfügung zu stellen. Das kritisiert Digitalcourage. Der Verein nennt auch Beispiele von Unternehmen aus der Vergangenheit, wobei Digitalcourage nicht von Digitalzwang spricht, sondern von Graubereichen.

Beispiel: Deutsche Bahn

Einen lauten Aufschrei hat vor einigen Monaten die Deutsche Bahn verursacht, und zwar mit der Ankündigung, die BahnCard nur noch digital per DB Navigator-App anzubieten. Seit dem 9. Juni 2024 gilt diese Regelung. Die Bahn bietet weiterhin auch eine analoge Möglichkeit an. „Alle BahnCard-Kundinnen und -Kunden können in ihrem Online-Konto auf bahn.de ein Ersatzdokument – eine BahnCard 25 oder 50 in Form eines PDF-Dokuments mit QR-Code – abrufen und bei Bedarf auf Papier ausdrucken. Wir haben unsere Kundschaft in den vergangenen Wochen umfangreich über diese Möglichkeit informiert“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Bahn gegenüber TECHBOOK.

Aus Sicht der Bahn ist dieser Schritt nachvollziehbar, denn „im Fernverkehr werden heute 90 Prozent aller Tickets digital über bahn.de oder die DB Navigator-App gekauft. Vor zehn Jahren waren es noch 51 Prozent. Und selbst im Nahverkehr werden mittlerweile 78 Prozent der Tickets digital gebucht“, verdeutlicht die Bahn-Sprecherin den Trend der letzten Jahre, Tickets per App zu ordern.

Beispiel: Doctolib

Auch im Visier von Digitalcourage, der digitale Terminplaner Doctolib. Damit können Arztpraxen Termine zeiteffizienter verwalten und Patientinnen und Patienten einen Praxisbesuch per App vereinbaren. Auf Anfrage von TECHBOOK betont ein Unternehmenssprecher: „Das Ziel von Doctolib ist es, so vielen Menschen wie möglich einen schnelleren Zugang zur Gesundheitsversorgung zu geben. Gerade für Menschen, die während der Telefonsprechstunde arbeiten müssen oder nicht die Möglichkeit haben, werktags längere Zeit in der Warteschleife zu verbringen, ist Doctolib eine deutliche Erleichterung.“

Termine können selbstverständlich auch weiterhin telefonisch oder persönlich in der Praxis ausgemacht werden. Diese Option wird sogar noch verbessert. Eine KI-Software macht es möglich. „Für Menschen, die lieber telefonieren, hat Doctolib zusammen mit Aaron.ai einen Weg geschaffen, die gewünschte Arztpraxis rund um die Uhr und ohne Wartezeiten zu erreichen. Dabei erkennt der Telefonassistent von Aaron.ai mithilfe von KI auch Notfälle und verweist automatisch auf einen Rettungsdienst oder eine interne Notfallnummer.“

DHL, Supermärkte & Online-Banking

Es gibt noch weitere Beispiele, bei denen Unternehmen digitale Angebote attraktiver machen und sich nach Meinung von Digitalcourage aus der analogen Welt verabschieden.

  • Der Zugang zu einer DHL-Packstation und damit die Abholung von Paketen funktioniert nur noch per Smartphone und DHL-App.
  • Supermärkte bieten App-Nutzerinnen und -Nutzern spezielle Angebote auf bestimmte Waren. Kunden ohne Smartphone bleiben außen vor.
  • Bankkonten lassen sich nur noch inklusive Online-Banking eröffnen. Online-Überweisungen müssen mit einer Authentifizierungs-App per Smartphone freigegeben werden.

Digitalcourage bietet seit dem Jahr 2021 einen sogenannten „Digitalzwangmelder“ an. Darüber können Sie Fälle von möglichem Digitalzwang an den Verein übermitteln.

Digital ist gut, Kontrolle besser

Die Ausführungen zeigen: Es ist wie immer nicht einfach. Vereine wie Digitalcourage erfüllen eine wichtige Wächterfunktion in einem sich ständig ändernden technischen Umfeld. Unternehmen reagieren auf die zunehmende Digitalisierung, die von uns allen vorangetrieben wird. Viele Menschen nutzen immer häufiger Apps, um Dinge schnell zu erledigen. Die Zahlen geben den Unternehmen recht.

Es ist verständlich, wenn ältere Menschen sich nicht mehr mit Smartphones auseinandersetzen möchten. Nachvollziehbar sind auch die Ängste der Menschen bezüglich des Datenschutzes. Diese Personengruppen müssen auch weiterhin unkompliziert am öffentlichen Leben teilnehmen können.

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Gibt es also einen Digitalzwang?

Ein echter Zwang zur App-Nutzung liegt bislang in den seltensten Fällen vor. Niemand kauft sich ein Smartphone und schließt einen Mobilfunkvertrag ab, nur um dann beim nächsten Einkauf im Laden um die Ecke zehn Cent für ein Pfund Butter bei Nutzung der Supermarkt-App zu sparen. In diesem Fall dient die App lediglich als Lockvogel-Angebot für Menschen, die bereits ein Smartphone besitzen.

Angebote, die der Grundversorgung dienen, müssen selbstverständlich analog zugänglich bleiben. Dazu zählen Bereiche wie öffentlicher Nahverkehr, medizinische Versorgung, Post, Telefon, Strom oder Müllabfuhr. Ein rein digitaler Zugang schafft bei einem Ausfall ansonsten neue Abhängigkeiten. Digitale Angebote sparen nicht nur Zeit, sondern verbessern in bestimmten Fällen den Zugang zu Dienstleistungen. Ein Beispiel: Menschen mit Sehbehinderung profitieren davon, weil sich die Schrift in Apps vergrößern lässt und somit besser lesbar ist.

Das Engagement und die Petition von Digitalcourage sind zu begrüßen. Denn aktuell haben Privatunternehmen und Behörden eine Art Narrenfreiheit, auf welche Weise sie ihre Dienstleistungen anbieten. Deswegen ist es notwendig, darüber zu diskutieren, wie die aktuell bestehende gesetzliche Lücke für alle beteiligten Parteien bestmöglich geschlossen werden kann.

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