27. Februar 2020, 3:30 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Moderne Smartphones bestehen schon jahrelang hauptsächlich aus Aluminium oder Edelstahl, Plastik und manchmal auch aus Plastik oder Keramik. Viel Variation gibt es also nicht – das will ein Berliner Startup nun ändern.
Bereits 2017 hat das Startup Carbon Mobile seines erstes Konzept-Smartphone, das Carbon 1 Mark I, vorgestellt. Nun, nach viel Arbeit und langer Zeit hinter verschlossenen Türen im Forschungslabor ist das Carbon 1 Mark II fertig – und marktreif.
Ein neues Anwendungsgebiet für Kohlefaser
Das Unternehmen hat sein Smartphone nach dem Verbundstoff Carbonfaser – auch Kohlefaser – benannt. Carbonfaser kommt bereits routinemäßig in der Luft- und Raumfahrt- sowie immer mehr in der Autoindustrie zum Einsatz. Für filigranere Geräte wie Smartphones ist Carbon hingegen ein relativ neues Einsatzgebiet
So hat das Vorab-Modell, das wir in Berlin gesehen haben, noch ein paar raue Stellen gehabt, an denen die Passgenauigkeit fehlte. Auf Nachfrage erklärte Carbon Mobile, dass es sehr schwierig gewesen sei, überhaupt ein Unternehmen zu finden, das Carbonfaser auf einer Sub-Millimeter-Ebene bearbeiten kann. Da die Toleranzen in einem Smartphone viel geringer sind als bei Teilen, die für Autos oder Fahrräder hergestellt werden, muss auch die Bearbeitung viel feiner sein.
Anders als die meisten modernen Smartphones werden beim Carbon 1 alle Komponenten von einer Seite in die Monocoque-Schale gesteckt. Damit entspricht der Aufbau eher einem iPhone und einigen älteren Android-Smartphones, bei denen alles von einer Seite in eine Aluminiumschale gebaut ist.
Die Monocoque-Schale wird aus Carbon-Strängen geflochten und dann vier Stunden „gebacken“, um die Schale auszuhärten. Erst dann kann sie mit einem CNC-Router weiterbearbeitet werden, um die Aussparungen für die internen Komponenten zu schaffen.
Wie fühlt sich das Carbon 1 Mark II an?
Das Smartphone wirkt auf den ersten Blick eher unspektakulär. Viele Smartphone stecken mittlerweile in Hüllen, die aus besonderen Materialien – wie etwa Carbonfaser – bestehen, oder haben dünne Klebefolien, die den Look nachempfinden sollen. Erst, wenn man es in die Hand nimmt, wird klar: Hier hat der Hersteller etwas ganz anders gemacht. Das Gerät liegt federleicht in der Hand, mit 125 Gramm wiegt es gerade einmal so viel wie einem herkömmliche Armbanduhr mit Metallgehäuse. Das sagt zumindest die Waage, auf der wir zuerst das Carbon 1 und dann die Uhr gelegt haben.
Ansonsten zeichnet sich das Smartphone durch seiner sehr kantigen Look aus, vergleichbar mit älteren Sony-Xperia-Modellen und dem Razer Phone. Mit nur 6,3 Millimetern ist das Gerät sehr flach und liegt somit trotz der scharfen Kanten gut in der Hand.
Die Kamera-App war beim ersten Antesten noch sehr unausgereift. Unklar ist auch, warum zwei rückseitige Kameras verbaut sind, da beide 16 Megapixel und die gleiche Brennweite haben. Der Carbon-Mobile-CEO sagte TECHBOOK aber auch, dass die Kamera wohl einer der letzten Komponenten ist, die fertig sein wird.
Das sechs Zoll große Full-HD-AMOLED-Display (2160 mal 1080 Pixel) wird von Gorilla-Glas 6 geschützt, hat aber für unseren Geschmack zu breite Ränder oben und unten. Unter der Haube arbeiten der Achtkern-Prozessor Helio P90 von Mediatek, 8 Gigabyte (GB) RAM und 128 GB erweiterbarer Speicher.
Das Unternehmen will Innovation
Carbon Mobile prangert die fehlende Innovation in der Smartphone-Industrie an und zeigt ein bekanntes „Unbox Therapy“-Video, das zeigt, wie viele Android-Smartphones designtechnisch dem iPhone X nachempfunden sind. Lediglich zwei große Innovationsströmungen erkennt das Unternehmen in der Industrie: Foldables und 5G.
Geht es nach Carbon Mobile, gibt es jedoch noch eine weitere Strömung: Den Drang nach immer flacheren und leichteren Geräten. Es verweist dabei auf das Falt-Tablet aus Westworld als die Zukunft für mobile Geräte. Mit anderen Materialien ist so etwas nicht möglich. Plastik und Aluminium hätten deshalb ihren Höhepunkt erreicht, da sie nicht weiter schrumpfen können
E-Müll sei auch ein Problem, nur 20 Prozent der Materialien würden überhaupt recycelt. Carbon Mobile möchte mehr nachhaltige Technik, deswegen wird auf fairen Handel und eine überprüfbare Versorgungskette gesetzt. Das Carbon 1 soll zudem sehr gut reparierbar sein. Gegenüber TECHBOOK sagte der CEO von Carbon Mobile, dass ein Reparierbarkeitswert von 9 von 10 Punkten bei Ifixit angestrebt sei. Bislang hat nur das semimodulare Fairphone die Bestnote 10 erhalten, iPhones bekommen üblicherweise 6 Punkte und Samsung-Modelle oft nur 3.
Die Komponenten werden in China gefertigt, der Zusammenbau soll aber in Deutschland erfolgen. Als Standort ist Flensburg angepeilt.
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Biegen sollten man es nicht
Größtes Opfer der Schlankheitskur ist definitiv der Akku. Während viele neue Smartphones mittlerweile jenseits der 4000 Milliamperestunden (mAh) angelangt sind, steckt im Carbon 1 lediglich eine 3050 mAh große Batterie.
Auf Nachfrage, ob das Carbon 1 einen Bend-Test bestehen würde, kam ein nicht ganz ausgereifte Antwort. Man arbeite zwar daran, das Gehäuse so robust wie möglich zu machen, der Bend-Test sei jedoch nicht das Ziel. Dafür bräuchte es verstärkende Metallteile im Gehäuse, die das Gewicht und die Dicke steigern würden. Da das nicht gewollt sei, müsse man einige Einschränkungen hinnehmen. Das gleiche gelte übrigens auch für den Akku. Zugunsten der flachen und leichten Bauweise müssten einfach Abstriche gemacht werden.
Der Bend-Test ist zu einem Standardtest geworden, den ein Smartphone bestehen muss, um als widerstandsfähig zu gelten. Weite Verbreitung hat er jedoch erst nach dem iPhone-6-Bendgate erfahren, das relativ einfach mit zwei Händen gebrochen werden konnte.
Ganz klar sprach sich Carbon Mobile beim Treffen mit TECHBOOK dazu aus, in Zukunft durchaus Geräte zu entwerfen, die Probleme bei Akku und Stabilität beseitigen könnten. Wichtig sei es aber beim Carbon 1 gewesen, ein marktreifes Gerät zu schaffen, dass die Vision des Herstellers jetzt schon unter Beweis stellen könne. Man können nicht noch Jahre warten, bis das Forschungslabor Lösungen auf den Plan bringt. Potentielle Käufer sollten sich jedoch der Einschränkungen bewusst sein, die das Carbon 1 mit sich bringt. Echte Early Adopter und Enthusiasten hängen sich jedoch nicht an solchen Nebensächlichkeiten auf. Verständlich, schließlich ist das Carbon 1 ein Smartphone der etwas anderen Art.
Das Carbon 1 Mark II wird mit Android 10 ausgeliefert. Der Startschuss erfolgt noch diesen Sommer.
TECHBOOK meint
„Das Carbon 1 Mark II ist ein interessantes Smartphone, das etwas Schwung in die Industrie bringen könnte. Ein leichtes, flaches Gehäuse, gepaart mit einem faltbaren Bildschirm, durch den aus einem Tablet schnell ein taschengroßes Smartphone wird – das ist meiner Meinung nach die richtige Richtung.“– Adrian Mühlroth, Redakteur