16. Juli 2023, 12:34 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Wer bei der Bank ein Konto eröffnen oder einen Kredit aufnehmen will, muss sich ausweisen. Die gute Nachricht: mit Video-Ident-Verfahren gelingt die Identifizierung ganz bequem von zuhause aus. Die schlechte Nachricht: Nicht alle Menschen in Deutschland können diesen Service nutzen.
Nach der Arbeit noch schnell zur Bank gehen und ein neues Konto eröffnen? Schwierig bei den Öffnungszeiten von Deutscher Postbank, Sparkasse und Co, die oft schon zwischen 15:00 und 18:00 Uhr ihre Türen schließen. Von Direktbanken wie DKB und ING ganz zu schweigen, die gar kein eigenes Filialnetz haben. Statt dem direkten Kundenservice vor Ort gibt es immer mehr Online-Angebote und Apps, in denen die Kunden ihre Angelegenheiten selbstständig verwalten können. Doch gerade bei Konto-Eröffnungen und Kreditaufnahmen sind die Banken durch das Geldwäschegesetz verpflichtet, die Identität ihrer Nutzer zu überprüfen. In der Regel bieten Banken dazu mehrere Verfahren an und das vielleicht komfortabelste davon ist Video-Ident. TECHBOOK hat sich seine Vor- und Nachteile genauer angeschaut und einige bedenkliche Haken entdeckt.
Überblick
So funktioniert Video-Ident
Eigentlich gibt es seit 2010 schon eine andere Methode, sich online zu identifizieren, nämlich den elektronischen Personalausweis. Da aber immer noch viele Menschen diese Funktion weder kennen noch nutzen, bieten Banken auch eine Reihe von anderen Leigtimationsverfahren an. Die Offline-Alternative ist Postident, bei der man sich persönlich vor Ort in einer Filiale der Deutschen Post ausweist. Die Mitarbeiter schicken dann eine schriftliche Verifizierung an die jeweilige Bank. Das Porto trägt häufig der Privatkunde. Klingt umständlich? Auf jeden Fall! Einerseits muss man die Öffnungszeiten der Post-Filialen mit den eigenen Arbeitszeiten abstimmen und dann ein, zwei, drei Tage warten, ehe die Bestätigung der eigenen Identität postalisch bei der Bank angekommen ist und bearbeitet wird …
Ganz anders läuft es bei Video-Ident. Alles, was man für dieses Identifikationsverfahren braucht, ist ein Video-Call-fähiges Gerät (Smartphone, Tablet, Laptop etc. mit Kamera), eine stabile Internetverbindung von mindestens 0,5 Mbit/s und die nötigten Ausweispapiere. Bei Video-Ident-Verfahren arbeiten die Banken mit spezialisierten Unternehmen zusammen, die den eigentlichen Identifikationsvorgang abwickeln. Einige der größten Anbieter sind IDnow, das Postident-Portal der Deutschen Post, Identity Trust und WebId. Letzterer arbeitet unter anderem mit der ING, Sparda-Bank, Targo-Bank, Santander und DKB zusammen. Wenn Sie sich also beispielsweise bei der DKB legitimieren wollen, werden Sie zu WebID weitergeleitet. Dort tragen Sie Ihre Daten ein und erhalten einen Link zu einem Video-Anruf. Ein Mitarbeiter von WebID führt Sie durch die Online-Identifikation, bei der Sie ihren Ausweis in die Kamera halten müssen. Sorgen Sie also für eine ruhige Kamera und ausreichende Beleuchtung. Eine Software liest die Ausweisdaten aus und überprüft sie. Um den Vorgang abzuschließen, erhalten Sie per SMS oder E-Mail einen Sicherheitscode, den Sie am Ende eingeben müssen.
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Bequem, aber mit Risiko
Theoretisch dauert diese Verifizierung nur wenige Minuten und ist – je nach Anbieter – zwischen 07 und 22 Uhr oder sogar rund um die Uhr verfügbar. In der Praxis gibt es aber auch Berichte von längeren Wartezeiten während der Stoßzeiten und Problemen mit der Software und Internetverbindung. Die Nutzererfahrungen scheinen hier recht unterschiedlich auszufallen. Doch immerhin: Für Privatnutzer ist Video-Ident kostenlos und soll verhindern, dass andere oder fremde Personen in Ihrem Namen Konten eröffnen oder Zugriff auf sensible Daten erlangt. Zwischen 2021 und 2022 wurde Video-Ident nämlich auch von den Krankenkassen zur Identifizierung für die elektronische Patientenakte eingesetzt. Auch von Autovermietungsfirmen und bei der Buchung von Ferienwohnungen wird dieses Verfahren beim Online-Vertragsabschluss eingesetzt.
Obwohl sich Video-Ident wegen der einfachen und bequemen Handhabung großer Beliebtheit erfreut, gibt es immer wieder Sicherheitsbedenken. Zuletzt hatte es im August 2022 ein IT-Sicherheitsexperte vom Chaos Computer Club geschafft, das Identifizierungssystem mit einem gefälschten Ausweis auszutricksen, wie TECHBOOK berichtete. Gerade bei Bankgeschäften und der ePatientenakte kann das katastrophale Folgen haben. Die Krankenkassen haben das Video-Ident-Verfahren seitdem ausgesetzt. Die Anbieter sehen dagegen kein grundsätzliches Sicherheitsproblem.
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Mit diesen Dokumenten können Sie sich ausweisen
Welche Ausweisdokumente akzeptiert werden, legen die Video-Ident-Anbieter gemeinsam mit ihren Vertragspartnern, also zum Beispiel den Banken, fest. Dabei müssen sie sich allerdings an die Regulierungen im jeweiligen Marktsegment halten, wie eine Sprecherin von IDnow TECHBOOK erklärte. Das können beispielsweise das Geldwäsche- oder das Telekommunikationsgesetz sein. In den FAQs von Video-Ident-Diensten wie IDnow und WebID heißt es, dass der deutsche Personalausweis oder Reisepass problemlos akzeptiert wird, solange die Dokumente noch mindestens drei Monate gültig sind.
Der Führerschein und vorläufige Ausweise reichen in Deutschland dagegen nicht aus. In anderen Ländern, zum Beispiel Österreich, kann man sich jedoch sehr wohl mit dem Führerschein ausweisen. Doch was machen Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen? Hier bleiben die Anbieter vage. Grundsätzlich werden „nahezu alle internationalen Ausweisdokumente“ anerkannt, schreibt der Anbieter WebID und sagt gegenüber TECHBOOK: „Mehr als 12.000 Identitäts-Dokumente aus über 200 Ländern und Territorien können vollautomatisch überprüft werden.“
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Darum werden nicht alle Ausweise akzeptiert
Die Deutsche Post behält sich dagegen vor, nicht alle verfügbaren Ausweisdokumente zu unterstützen, wenn die Sicherheitsmerkmale ihren Anforderungen nicht genügen. Damit sind zum einen das Hologramm gemeint, zum anderen heißt es: „Auf einem zulässigen Ausweisdokument müssen die für den Identifizierungsanlass erforderlichen Angaben vorhanden und für den Servicemitarbeiter lesbar (also mindestens in lateinischen Buchstaben und arabischen Ziffern) und entzifferbar sein.“ Wäre das nicht ein Problem, das sich mit einer Software einfach lösen ließe?
Weiterhin heißt es, dass bei manchen Nationalitäten neben dem Reisepass auch noch eine amtliche Meldebescheinigung oder eine Versorgungsrechnung, etwa die Stromrechnung, nötig ist. Mit ihrer Hilfe soll der Wohnort überprüft werden. Welche Nationalitäten das betrifft oder welche Ausweisdokumente grundsätzlich nicht akzeptiert werden, machen die Video-Ident-Anbieter allerdings nicht transparent. Eine Sprecherin von IDnow begründetet das gegenüber TECHBOOK mit der Betrugsprävention. Bei einem hohen Betrugsversuchaufkommen setzen die Anbieter einzelne Ausweisdokumente sogar auf eine Blacklist. Doch gerade in den „aktiven Märkten, d.h. vor allem innerhalb von Europa“ gäbe es eine „starke Abdeckung der gängigen Identifikationsdokumente“. Das bedeutet auch, dass sich EU-Bürger allein mit ihrem Personalausweis legitimieren können, da diese ausreichend Sicherheitsmerkmale gemäß dem ICAO-Standard aufweisen.
Doch nicht nur die Sicherheitsmerkmale sind wichtig, damit Video-Ident-Anbieter einen Ausweis akzeptieren. Sie benötigen auch die Zeit, um die KI-Systeme und die Mitarbeitenden ausreichend zu trainieren, um Betrugsversuche zuverlässig zu entdecken. Hat ein Land seine Ausweisdokumente verändert, kann es sein, dass ein Video-Ident-Anbieter, dieses Dokument zeitweise nicht zur Verifizierung akzeptiert. Auch hier herrscht keine Transparenz, welche Nationalitäten betroffen sind. Allerdings können sich Privatkunden an ihre Vertragspartner, zum Beispiel die jeweilige Bank, wenden und die Aufnahme ihres Ausweisdokuments beantragen. Die Faktoren „schnell“ und „bequem“ sind damit jedoch hinfällig.
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Alternativen zu Video-Ident
Nach den Angaben der Video-Ident-Anbieter scheinen also nahezu alle Menschen, die einen Pass haben, dieses Verfahren in Deutschland nutzen zu können. Doch wie so oft liegen Theorie und Praxis mitunter weit auseinander.
Auf welche Hürden ich beim Video-Ident stieß
„Mittlerweile sollte die Eröffnung eines Online-Kontos reine Routine sein. Und das ist sie auch – zumindest für die meisten Banken. Man muss lediglich einige Daten ausfüllen, und fertig ist der Antrag. Es folgt die Legitimation, doch dieser Prozess ist nicht immer reibungslos, wie ich erst jüngst bei einer Kontoeröffnung feststellen musste. Ich bekam zwei Methoden vorgeschlagen: Postident in einer Postfiliale oder Video-Ident über den Anbieter WebID. Da die Postöffnungszeiten in meiner Umgebung sich leider zu 100 Prozent mit meinen Arbeitszeiten decken, blieb mir also nur das Online-Verfahren, das eigentlich auch unkompliziert sein sollte. War es aber nicht. Nach mehreren Anrufen an mehreren Tagen kam ich schließlich am dritten Tag dran – nach 30 Minuten Wartezeit. Und obwohl es hieß, ein EU-Personalausweis reiche aus, erklärte mir der Mitarbeiter gleich zu Beginn, im Falle von portugiesischen Staatsbürgern sei ein Reisepass erforderlich. Kurz geholt – und dann ging's los. Pass vor die iPhone-Kamera gehalten, doch das klappte nicht, weil das Smartphone angeblich das Bild streckte. Also Wechsel auf Selfie-Kamera und dann zielen, um die richtige Position zu finden. Nach zig Versuchen funktionierte es. Nächster Schritt: die Hand mit ausgebreiteten Fingern langsam zwischen Kamera und Reisepass bewegen. Spätestens da kam ich mir nicht nur wie auf einem Rave vor, sondern dachte, ich wäre bei der „Versteckten Kamera“. Weiter ging's mit dem Hologramm-Check. Doch da scheiterte es an den Lichtverhältnissen. „Gehen Sie mal raus!“ Das tat ich auch – und als mein Handy aus dem WLAN ins LTE wechselte, flog ich plötzlich aus dem Verfahren. 15 Minuten umsonst mit der Hand gewedelt, rumhantiert und richtige Winkel für Hologramme gesucht. Na ja. Vielleicht war es auch nur Pech. Am nächsten Tag hat es dann geklappt: mit der normalen Front-Kamera und nur kurzem Handwedeln.“– Nuno Alves, TECHBOOK-Chefredakteur
Diejenigen, bei denen Video-Ident nicht so funktioniert, wie es soll, können immer noch auf die etwas umständlichen Offline-Verfahren umsteigen und sich in den Filialen vor Ort oder über Postident ausweisen. Die Sprecherin von IDnow verweist außerdem auf den elektronischen Aufenthaltstitel, „der genau wie der deutsche Personalausweis über die Online-Ausweisfunktion via Near-Field Communication (NFC) verfügt.“ Hiermit kann also – unabhängig von nationalen Ausweisdokumenten – eine automatische und mit dem Geldwäschegesetz konforme Identifikation durchgeführt werden.
Obwohl die Video-Ident-Anbieter noch einige Sicherheitslücken zu schließen haben, ist das Verfahren für alle mit deutschem Pass eine bequeme Alternative zur Identifizierung vor Ort bei der Post oder in der Bankfiliale. Doch auf alle ohne deutschen Pass, immerhin 13,38 Millionen im Jahr 2022, können wieder einmal zusätzliche bürokratische Hürden zukommen.