25. April 2024, 10:02 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Immer wieder gab es in den USA die Forderung, TikTok zu verbieten. Nun ist ein Gesetz auf dem Weg, das zu einem Quasi-Verbot der beliebten App führen könnte. TECHBOOK kennt die Hintergründe zu den aktuellen Entwicklungen.
TikTok ist schon längst kein Newcomer im Kreise von Instagram, X und Co. Mit Kurzvideos und einem findigen Algorithmus weiß TikTok sein Publikum zu unterhalten, aber auch als Suchmaschine, Tutorial-Fundus und Werbeplattform dient die App. Doch seit ihrem Erscheinen 2018 und rasanten Aufstieg wird TikTok auch viel kritisiert – vor allem unter Datenschutzaspekten, denn hinter der App steht ByteDance, ein chinesisches Unternehmen. Nun hat der US-Senat ein Gesetz beschlossen, dass den Verkauf des US-Geschäfts von TikTok erzwingen soll. Andernfalls droht ein De-Facto-Verbot.
Übersicht
Demokraten und Republikaner sind sich einig
Die USA und TikTok verbindet eine konfliktreiche Geschichte, denn immer wieder werfen US-amerikanische Politiker beider Parteien sowie Geheimdienst- und Datenschutzexperten dem Unternehmen vor, ein chinesisches Spionage- und Propaganda-Werkzeug zu sein. TikTok bestreitet die Vorwürfe. Nachdem im März bereits ein Gesetzentwurf vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet, aber wegen gerichtlicher Bedenken vom Senat nicht aufgegriffen wurde, verlief der zweite Versuch nun erfolgreich.
Am vergangenen Wochenende hatten erst das Repräsentantenhaus und am Dienstag, dem 23. April, der US-Senat einem neuen Gesetzespaket zugestimmt. Zu diesem gehörten unter anderem auch Unterstützungen für die Ukraine, Taiwan und Israel in Höhe von 95 Milliarden Dollar. Die Zustimmung zum „TikTok-Gesetz“ gehört also neben anderen wichtigen Beschlüssen zu einer größeren Verhandlungsmasse zwischen Republikanern und Demokraten.
Mit 79 zu 18 Stimmen beschloss der Senat, dass ByteDance sein TikTok-US-Geschäft innerhalb von 270 Tagen verkaufen müsse. Weitere 90 Tage sind als Verkaufsanbahnung bzw. Fristverlängerung einkalkuliert. Damit hätte ByteDance ein Jahr Zeit, um auf das neue Gesetz zu reagieren. Dass diese Frist nach den US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 liegt, dürfte sowohl Joe Biden als auch Donald Trump zunächst zugutekommen. Sollte ByteDance sich nicht von TikTok trennen, würde das Gesetz App Stores verbieten, die App weiterhin anzubieten. Das käme faktisch einem Verbot gleich.
Anschuldigungen gegen ByteDance halten an
Hintergrund für diesen drastischen Schritt ist die Sorge, dass TikTok in großen Mengen Daten von US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern nach China weiterleite. So sagte etwa Senator Marco Rubio, Mitglied des Geheimdienstausschusses: „Jahrelang haben wir der Kommunistischen Partei Chinas erlaubt, eine der beliebtesten Apps Amerikas zu kontrollieren, und das war gefährlich kurzsichtig.“ Nach eigenen Angaben hat TikTok in den USA 170 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. In Deutschland seien es etwa 20,9 Millionen, darunter vor allem 14- bis 19-Jährige.
ByteDance bestreitet dagegen, unter der Befehlsgewalt der Kommunistischen Partei zu stehen, und verweist auf die 60 Prozent westlicher TikTok-Investoren und den Firmensitz auf den karibischen Kaiman-Inseln. US-amerikanische Politiker argumentieren allerdings, dass die chinesischen Gründer trotz des nur 20-prozentigen Anteils höhere Stimmrechte und damit eine entsprechende Kontrolle über den Konzern besäßen. Die übrigen 20 Prozent gehören übrigens den Mitarbeitenden von TikTok. Ob ByteDance TikTok überhaupt verkaufen würde, darf derweil bezweifelt werden. Medienberichten zufolge hat der Mutterkonzern diesen Schritt bisher abgelehnt. Man nehme lieber das Verbot in den USA in Kauf.
Schränkt das Verbot die Redefreiheit ein?
TikTok reagierte auf das Gesetz mit „Bedauern“ und warf dem Kongress vor, die „Rechte der freien Rede von 170 Millionen Amerikanern“ einzuschränken – und das unter dem Deckmantel der ebenfalls verabschiedeten Auslandshilfen. Eine ähnliche Kritik äußern auch Bürgerrechtsgruppen wie die Electronic Frontier Foundation und die American Civil Liberties Union (ACLU). So sagte etwa Jenna Leventoff von ACLU: „Wir sind zutiefst enttäuscht, dass unsere Politiker wieder einmal versuchen, unsere Rechte aus dem First Amendment gegen billige politische Punkte in einem Wahljahr einzutauschen.“
Neben der freien Rede und Meinungsäußerung sehen die Kritikerinnen und Kritiker auch die Einnahmen von Künstlern und den Betreibern von kleinen Webshops in Gefahr. Dafür, dass ein TikTok-Verbot mit der verfassungsrechtlich gesicherten Redefreiheit kollidieren könnte, gibt es bereits einen Präzedenzfall. Ein Gericht in Montana entschied im November 2023, dass ein Verbot von TikTok in diesem Bundesstaat das Recht auf freie Rede der Nutzerinnen und Nutzer verletzen würde, und kippte das Verbot.
Einen ähnlichen Weg hat TikTok nun auch nach der Abstimmung im Senat angekündigt. Laut dem Leiter von TikToks Abteilung für Public Policy plane das Unternehmen, juristisch gegen das neue Gesetz vorzugehen. Ob Gerichte das neue Gesetz wieder kassieren könnten, wird sich zeigen. Präsident Joe Biden hat es jedenfalls am Mittwoch unterzeichnet.
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TikTok als Spielball im US-Wahlkampf
Der Wahlkampf in den USA ist auch sieben Monate vor der Wahl im November schon in vollem Gange. Für Biden ist die Causa TikTok ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits kann er seinen harten Kurs gegen China demonstrieren. Andererseits trifft ein mögliches TikTok-Verbot vor allem junge Menschen, deren Stimmen Biden dringend braucht. Zumal er ohnehin gegen das Narrativ des viel zu alten Mannes ankämpfen muss. Wohl auch deshalb hat sein Wahlkampfteam einen TikTok-Account eröffnet.
Anders sieht es bei seinem Herausforderer Donald Trump aus, der auf TikTok nicht vertreten ist. Während seiner Präsidentschaft war Trump ebenfalls um ein hartes Vorgehen bemüht und versuchte – allerdings erfolglos –, ByteDance durch Verbotsdrohungen zum Verkauf von TikTok zu zwingen. Nun aber äußert er sich kritisch über das neue Gesetz, das von seinen republikanischen Parteifreunden maßgeblich vorangetrieben wurde.
Während in den USA wohl Gerichte über die Zukunft von TikTok entscheiden werden, hat die EU ihre eigenen Untersuchungen angestoßen. Allerdings liegt der Fokus neben dem Datenschutz schwerpunktmäßig auf der Gesundheit und Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer. Der Digital Service Act (DSA) stuft TikTok als relevanten Onlinedienst ein, der einer verschärften Regulierung unterliegt, wie TECHBOOK berichtete.