6. Oktober 2020, 20:24 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Die Digitalisierung kommt auch im Gesundheitsbereich immer mehr an. Ab sofort können Ärzte ihren Patienten Apps oder digitale Therapien verschreiben, die bei der Genesung helfen sollen. Die Kosten dafür übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherungen. Zwei Anwendungen machen den Anfang.
Bereits im vergangenen Jahr verabschiedete Gesundheitsminister Spahn das Digitale-Versorgung-Gesetz. Es sieht vor, dass Patienten künftig Anwendungen, mit denen sie beispielsweise die Einnahme ihrer Medikamente überwachen, ihren Blutzuckerspiegel oder Migräne-Attacken tracken können, über ihre Krankenversicherung abrechnen können. Möglich ist das, da Ärzte nun die Möglichkeit haben, Apps auf Rezept zu verschreiben – beispielsweise als Begleitung zur Physiotherapie oder als digitales Gesundheitstagebuch.
Bislang war die Kostenübernahme vor allem auf Medikamente und klassische Therapien ausgelegt. Patienten mussten die Gesundheits-Apps somit oft selbst zahlen, sofern ihre Krankenkasse nicht spezielle Verträge mit App-Entwicklern abgeschlossen hatten. Die Verträge schlossen allerdings nur ausgewählte Apps ein, was es für alternative Entwickler und Start-ups in diesem Bereich schwer machte, eine Finanzierung für ihre Gesundheitsanwendungen zu bekommen. Das Digitale-Versorgung-Gesetz schafft hier Abhilfe. „Deutschland ist das erste Land, in dem digitale Anwendungen verschrieben werden können“, so Spahn. Er erhofft sich nicht nur alternative und besser betreute Therapien für Patienten, sondern auch vollkommen neue digitale Gesundheitsanwendungen. Diese könnten von Start-ups, aber vor allem von Großkonzernen aus der Pharmabranche, von Krankenhausketten oder sogar Google oder Apple stammen.
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Wie funktioniert die Verordnung einer App auf Rezept?
TECHBOOK hat mit der DAK-Gesundheit gesprochen und der Krankenkasse einige praktische Fragen zu den Apps auf Rezept gestellt. Die Versicherung gab uns einen Einblick hinter das Verschreibungs-Prozedere sogenannter DiGA-Anwendungen, kurz digitale Gesundheitsanwendungen.
Damit Ärzte bestimmte Apps auf Rezept überhaupt verschreiben und Krankenkasse deren Kosten übernehmen können, müssen die Anwendungen im DiGA-Verzeichnis aufgeführt sein. Wie die DAK erklärt, schickt der Versicherte dazu das vom Arzt ausgestellte Rezept an seine Krankenkasse, die wiederum einen Freischaltcode für die verordnete DiGA-Leistung erstellt und an den Patienten sendet. Dieser lädt die App dann auf sein Smartphone oder Tablet und tippt den Freischaltcode ein. Dann kann er die App verwenden.
Bei Fragen zur App oder deren Nutzung haben Patienten laut DAK zwei Ansprechpartner. Zum einen sind das die Anbieter der App, zum anderen, und vermutlich näher am Patienten, der Arzt, der die App verordnet hat. Genau hier liegt aber auch ein mögliches Problem: Die Verordner der digitalen Therapie müssen die App gut kennen, um anfallende Fragen beantworten und den Patienten bei der Verwendung unterstützen zu können.
Auf die Frage, ob die Apps auf Rezept nun womöglich konventionelle Therapien ersetzen oder sie nur ergänzend zu ihnen eingesetzt werden, konnte die Krankenkasse noch keine konkrete Antwort geben. „Beides ist möglich“, so die DAK. „Bei zurzeit nur zwei gelisteten Apps ist noch nicht absehbar, wo der Schwerpunkt liegen wird.“ Fest steht bereits, dass der Datenschutz der Anwender vollumfänglich gewährleistet ist. „Die Kassen werden keine Einsicht in die Daten bekommen, auch die Hersteller nur soweit es für die Therapie mit der App unerlässlich ist (z.B. bei Coaching-Apps)“, versichert die DAK.
Apps auf Rezept – zwei Anwendungen machen den Anfang
Gerade im Bereich Gesundheit ist der Datenschutz und die Sicherheit ein äußerst wichtiges Thema. Damit es eine App überhaupt schafft, in den DiGA-Katalog aufgenommen zu werden, müssen sie daher ein strenges Prüfverfahren durchlaufen. Die Richtlinien dafür hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) festgelegt. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, liegen derzeit etwa 27 Anwendungen zur Prüfung für eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen vor. Zwei von diesen Apps haben die Zulassung bereits erhalten.
Es handelt sich dabei um die App „Kalmeda“ vom Unternehmen Mynoise sowie um „Velibra“ von Gaia. Kalmeda soll Patienten mit Tinnitus mithilfe eines mehrstufigen Übungsprogramms bei ihrer Therapie unterstützen. Velibra richtet sich hingegen an Menschen mit einer Angststörung oder mit häufigen Panikattacken. Beim ersten Start von Velibra versucht die App, den Patienten näher kennen zu lernen, stellt Fragen wie „Wie geht es dir?“ sowie nach dem persönlichen Umfeld. Das ganze dauert rund eine Stunde, dann hat die App genug Daten, um das weitere Vorgehen ermitteln zu können. Zur Therapie zählen unter anderem auch Audio-Anleitungen und Fragebögen zur Selbsteinschätzung.
Wie kommen die Apps auf Rezept bei Patienten an?
Der Frage, ob die Deutschen sich eine App auf Rezept verschreiben lassen und auch nutzen würden, ist der Branchenverband Bitkom nachgegangen. Im Rahmen einer aktuellen Studie zu digitalen Gesundheitsangeboten hat er 1193 Menschen ab 16 Jahren gefragt, wie sie zu Apps auf Rezept stehen. 59 Prozent zeigten sich der Nutzung gegenüber offen, 38 Prozent lehnten sie ab und 3 Prozent waren sich nicht sicher. Interessant am Ergebnis ist, dass der Altersschnitt der Befragten, die sich die Nutzung vorstellen können, breit gefächert ist. Zwischen 61 und 67 Prozent der 16 bis 64 Jährigen sind demnach bereit, Apps auf Rezept zu nutzen. In der Altersgruppe ab 65 Jahren sinkt die Bereitschaft sichtbar – auf 48 Prozent. Hier könnte vor allem der Umgang mit digitalen Medien und Geräten wie Smartphones eine Hürde darstellen. Gerade ältere Menschen trauen sich diese nicht (mehr) zu.
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Besonderes Vertrauen zeigten die Befragten in App-Empfehlungen, die direkt von ihrem Arzt stammen. Die Bereitschaft, eine solche App zu testen, ist weitaus höher als bei Apps, die frei in den App Stores verfügbar sind. Als Ersatz für eine konventionelle Therapie werden die Anwendungen allerdings nur von knapp einem Drittel der Studienteilnehmer gesehen.
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Meinung der Mediziner zu den Apps
Wie gut die Ärzte die Apps auf Rezept annehmen, wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Denn deren Effektivität im Vergleich zu oder in Zusammenarbeit mit konventionellen Therapien muss sich noch beweisen. Die Effektivität ist auch eine Voraussetzung dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Anwendungen übernehmen. Entwickler müssen den „positiven Versorgungseffekt“ anhand wissenschaftlicher Studien nämlich nachweisen. Die Tinnitus-App Kalmeda wird dazu beispielsweise in den kommenden 12 Monaten mit 150 Probanden erprobt.
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Doch die derzeit noch fehlenden Aussagen zur Effektivität macht einige Mediziner skeptisch. So rät beispielsweise Thomas Kriedel, Vorstand bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), von digitalen Gesundheitsanwendungen ab, solange die Informationslage so dünn bleibt und offene Haftungsfragen bestehen. Auch muss geklärt werden, welche Kosten Entwickler von den Krankenkassen maximal für Apps verlangen dürfen. Unternehmen und Verbände stehen diesbezüglich im Gespräch.