17. August 2022, 11:28 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Kaum ein Unternehmen ist so mit den frühen Internet-Jahren verwoben wie AOL. Es war weltweiter Internet-Provider, Anbieter der beliebten Chat-Software ICQ und mehr. Doch wo steht AOL heute?
Warum AOL den Internet-Boom zu Beginn der 1990er Jahre maßgeblich angefeuert hat, lässt sich am besten mit dem Phänomen Facebook im Bereich Social Media vergleichen. Im Grunde lieferte AOL damals eine Rohversion von Facebook, zumindest eine Idee davon. Denn für AOL stand eines immer im Vordergrund: Die User sollten den AOL-Kosmos niemals verlassen. Als das World Wide Web noch in den Kinderschuhen steckte, galt das „freie“ Internet als kompliziert und gefährlich. Das Unternehmen hingegen präsentierte eine bunte, heile Online-Welt und einen unschlagbar einfachen Zugang gleich mit.
Übersicht
AOL steht für America Online und erlebt am 24. Mai 1985 im US-amerikanischen Dulles, Virginia, seine Geburtsstunde. Der neue Anbieter von Online-Diensten lebt zunächst von Kooperationen mit Unternehmen aus der Zeit der ersten Heimcomputer-Welle. Zu den Kunden gehören in den Anfangsjahren beispielsweise Apple, Atari und Commodore.
1990 steht dann das World Wide Web in den Startlöchern. Verschiedene Anbieter konkurrieren um einen Zugang zum Netz, darunter der Platzhirsch CompuServe und eben AOL. CompuServe verfügt damals zwar über mehr Erfahrung im Bereich Online-Dienste. AOL hingegen erreicht die jungen Menschen mit einer neuen, knallbunten Oberfläche gepaart mit einer aggressiven Werbestrategie deutlich besser.
AOL bringt die Menschen online
Wie der Name schon verrät, verfolgt AOL damals nichts anderes als Amerika online zu bringen. Durch das Angebot des Unternehmens wird die neue Online-Welt unwiderstehlich. Daher dauert es nicht lange, bis es auch den Rest der Welt davon überzeugt hat, endlich online zu gehen. Mit AOL funktioniert das auch wirklich kinderleicht. Die Zugangssoftware ist komplett kostenlos. In vielen Computerzeitschriften oder anderen Magazinen gibt es die AOL-CD als Gratisbeilage. Ein genialer Schachzug.
Da die Software schier unausweichlich präsent scheint, schiebt irgendwann jeder die CD ins Laufwerk und macht seine ersten Schritte in der Online-Welt. Dazu ein kleiner Exkurs: Der Weg ins Internet führte in den 1990er Jahren über DFÜ. DFÜ steht für Datenfernübertragung und funktioniert über das normale Telefonnetz. Ein Modem, welches mit dem Computer verbunden ist, sorgt dann für die Datenverbindung und stellt den Zugang zum World Wide Web her.
Durch die AOL-Software wird die Einwahl auch für Computer-Laien ein Kinderspiel. Nutzername und Passwort genügen. Dafür bekommen Kunden eine Art buntes Online-Magazin, durch das sich mit einfachen Klicks „blättern“ lässt. Browser oder URLs existieren in der AOL-Welt nicht. Der Zugang kostet natürlich Geld. Die Online-Minuten wurden damals über die Telefongebühren abgerechnet. Heute unvorstellbar: AOL war Mitte der 1990er Jahre der größte Konkurrent der Deutschen Telekom.
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Hohe Internet-Kosten und prominente Werbepartner
Die Verlockungen der neuen Online-Welt bekommen einige Kunden schon bald deutlich zu spüren, nämlich per monatlicher Telefonrechnung. Beträge über 500 Mark oder mehr waren damals in einigen Haushalten keine Seltenheit. Flatrates und Ähnliches gab es zunächst noch nicht. Auch über andere Wege online zu gehen, schien für die meisten -Kunden völlig unvorstellbar. Diese Abhängigkeit der eigenen Kunden nutzt AOL, um weiter zu wachsen.
Auf dem Höhepunkt des frühen Internet-Booms wirbt die deutsche Tennis-Legende Boris Becker für AOL. Die zu Beginn der 2000er Jahre gestartete Werbekampagne beginnt zu einer Zeit, in der AOL mit 30 Millionen Kunden weltweit zum größten Internet-Anbieter aufgestiegen ist. Sätze wie „Sie haben Post.“ oder „Ich bin drin.“ kennt damals fast jeder in Deutschland. Gleichzeitig steuert der Internet-Riese zielsicher auf den Abgrund zu und versinkt innerhalb weniger Jahre im Strudel der Bedeutungslosigkeit.
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Ende einer Ära Kultiges Chat-Programm ICQ endgültig eingestellt
Daran ist der Internet-Riese gescheitert
Rückblickend betrachtet bezeichnen Kenner der Online-Szene die Fusion mit dem US-amerikanischen Medienunternehmen Time Warner im Jahr 2000 als Hauptgrund für den Niedergang von AOL. Das neugegründete Unternehmen AOL Time Warner hielt zu lange an der Grundidee fest, das Internet als ein buntes Online-Magazin zu verkaufen. Außerdem hat inzwischen ein anderes Unternehmen parallel ganz neue Möglichkeiten eröffnet, online unterwegs zu sein. Dieses Unternehmen heißt Google.
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Andere Experten führen hingegen an, AOL habe die technische Entwicklung hin zum Breitband-Zugang komplett verschlafen. Es wäre nicht das erste Mal, dass einstige Global Player aufgrund von technischem Fortschritt von anderen, aufstrebenden Unternehmen abgelöst werden oder komplett von der Bildfläche verschwinden.
Komplett aufgelöst hat sich AOL jedoch nicht. Allerdings finden sich nur noch wenige Spuren des einstigen Internet-Riesen in den unendlichen Weiten der Online-Welt. Nach der gescheiterten Zusammenarbeit mit Time Warner verschwindet der Name AOL schleichend. In Deutschland schließt das Unternehmen im Jahr 2010 sämtliche Niederlassungen.
2015 übernimmt der US-amerikanische Mobilfunkbetreiber Verizon die noch übrigen Bestandteile. Allerdings bringt auch diese Hochzeit kein neues Glück. Im Jahr 2021 landen die Reste von AOL bei der US-amerikanischen Investorengesellschaft Apollo. Dennoch existiert AOL heute noch, beispielsweise über die Online-Zeitung Huffington Post oder das Online-Nachrichtenportal TechCrunch.