26. Juli 2023, 12:15 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Sie würde wohl auch hervorstechen, wenn sie nicht in der IT-Branche tätig wäre. Aber dass sie mit ihren 30 Jahren als Frau bereits eine Führungsposition bei Microsoft innehat, ist natürlich dennoch bemerkenswert. TECHBOOK hat mit Annahita Esmailzadeh über ihre Erfahrungen, die Branche und die Wichtigkeit von Vorbildern gesprochen.
Annahita Esmailzadeh bezeichnet sich selbst als Tech Leaderin; tatsächlich sind ihre Aktivitäten aber enorm vielfältig. Seit 2021 leitet sie bei Microsoft den Bereich Customer Success Account Management – Travel, Transport & Energy. Zuvor war sie als Head of Innovation für SAP im Forschungs- und Entwicklungszentrum München, dem SAP Labs Munich, tätig. Zudem hat sich die 30-Jährige einen Namen als „Spiegel“-Bestseller-Autorin gemacht und zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Business-Influencerinnen und Keynote-Speakerinnen im DACH-Raum.
Für August ist ihr neues Buch, „Von Quotenfrauen und alten weißen Männern: Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!“, angekündigt. Im Interview mit TECHBOOK spricht Annahita Esmailzadeh, die vom „Focus Magazin“ als eine der „100 Frauen des Jahres 2022“ ausgezeichnet wurde, über den steinigen Weg, den sie zu Beginn ihrer Karriere gehen musste. Außerdem erklärt sie, warum eine bloße Frauen-Quote allein nicht reicht, um Diversität gerade auch im Tech-Bereich zu schaffen, und sie erinnert an die Tech-Pionierin Grace Hopper, die einst für ihre Leistungen im Bereich der Computerwissenschaften zum „Man of the year“ gewählt wurde.
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Annahita Esmailzadeh im TECHBOOK-Interview
TECHBOOK: Frau Esmailzadeh, wie holprig war Ihr Weg anfangs, hatten Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?
Esmailzadeh: Während im Bachelorstudium noch gut 20 Prozent der Studierenden weiblich waren, war ich im Masterstudium als Frau eine absolute Rarität. Später arbeitete ich als IT-Prozessberaterin in der Automobil-Industrie. Da merkte ich schnell, dass ich mich mit der Kombination aus IT-Beratung und Automobil-Branche für eine Welt entschieden hatte, in der ich wie ein bunter Hund auffallen würde.
Nach meiner Zeit in der klassischen Beratung begann ich, industrieübergreifend große IT-Projekte zu leiten. Damit war ich plötzlich Menschen fachlich überstellt, die in der Regel fast doppelt so alt waren, wie ich, und rund 20 Jahre mehr Berufserfahrung auf dem Buckel hatten.
Wie hat gerade auch Mann darauf reagiert?
Nicht selten wurde ich in dieser Zeit von Kunden oder auch Kollegen beim ersten Aufeinandertreffen – mal mehr und mal weniger charmant –, aufgefordert, den Kaffee zu bringen oder in Terminen Protokoll zu führen. Der ertappte Blick der jeweiligen Personen, als ich – mal mehr und mal weniger freundlich –, darauf hinwies, dass ich die jeweiligen Projekte leite und weder die Projektassistenz noch die Praktikantin bin, wie man wohl automatisch angenommen hatte, sprach jedes Mal Bände.
Der Übergang von fachlicher zu disziplinarischer Führungsverantwortung verstärkte dieses Phänomen zunehmend. Heute leite ich als Führungskraft große Teams in der Tech-Branche und bin weitaus jünger als viele meiner eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. An die geschockten Mienen, wenn ich – Anfang 30, sichtbarer Migrationshintergrund, unaussprechlicher Vor- und Nachname –, meinen Verantwortungsbereich und mich vorstelle, habe ich mich inzwischen gewöhnt.
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Als Frau mit Migrationshintergrund in der Tech-Branche
Ist das – wohlgemerkt vermeintliche – Handicap als Frau mit Migrationshintergrund gleich doppelt schwierig zu durchbrechen?
Absolut. In dem Kontext spielt die sogenannte Intersektionalität eine entscheidende Rolle. Die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw, auf die der Begriff zurückgeht, verdeutlicht dieses Phänomen mit dem Bild einer Kreuzung von zwei Straßen, wobei die eine Straße beispielsweise für Geschlecht und die andere für ethnische Herkunft stehen kann. Zwar können Unfälle auf beiden Straßen passieren, doch wer sich in der Mitte der Kreuzung befindet, lebt mit einem höheren Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden, da die Autos von mehreren Seiten gleichzeitig kommen können.
So erfährt eine schwarze Frau mit einer Behinderung noch mehr Diskriminierung als eine Person, die ausschließlich aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder einer Behinderung Benachteiligung erfährt.
Hat sich seit Ihrem Aufbruch in die Tech-Welt auf breiter Basis etwas geändert? Gibt es etwa deutlich mehr Frauen in technischen Studiengängen und in technischen Berufen?
Im Jahr 2021 betrug der Frauenanteil unter den Studienanfängern im MINT-Bereich lediglich 34,5 Prozent, in der Informatik lag er sogar bei nur 21,8 Prozent. Und der Frauenanteil in MINT-Berufen ist nochmals niedriger und liegt beispielsweise im IT-Bereich bei nur 17,5 Prozent.
Dabei ist es vor allem angesichts der 96.000 offenen Stellen, auf die der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) hinweist, für die IT-Branche unabdingbar, Frauen bei der Besetzung dieser zukunftsfähigen Arbeitsplätze zu berücksichtigen.
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Es braucht also immer noch Missionarsarbeit?
Definitiv. Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder in Tech. Die 2022 von der Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt veröffentlichte Studie „MINT-Bildung“. Was junge Frauen darüber denken, zeigt, dass die Gesellschaft dringend mehr weibliche Role Models aus MINT-Berufsfeldern braucht. Denn 70 Prozent der befragten jungen Frauen geben an, ein persönliches Interesse an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik zu haben. Doch nur wenige der Befragten haben Freundinnen oder weibliche Verwandte, die in technischen Berufen arbeiten und sie zu einem Einstieg in diesen Bereich ermutigen oder beraten könnten.
Ihr in Kürze erscheinendes Buch trägt den Titel „Von Quotenfrauen und alten weißen Männern: Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!“ Müsste man sich angesichts dieses Titels und des immanenten Problems nicht fragen, ob eine Quotenfrau nicht besser ist als gar keine Frau?
Der Sinn der Quote ist nicht, wahllos Frauen in Positionen zu heben, die sie nicht verdienen. Niemand pfeift aufgrund der Quote willkürlich unqualifizierten Frauen auf der Straße hinterher und fragt sie, ob sie denn zufällig Lust darauf hätten, einen Aufsichtsratsposten zu besetzen. Die Quote ist nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen.
Sie ist auch kein Garant für Vielfalt über alle Diversitätsdimensionen hinweg, denn auch wenn ein Vorstand paritätisch mit Frauen und Männern besetzt ist, ist er nicht unbedingt divers. Die Quote allein wird die Herausforderungen nicht lösen, die zum Status quo und zu der existierenden Ungleichheit geführt haben. Sie bleibt wirkungslos, wenn sich an den zugrunde liegenden Denkmustern und Stereotypen sowie an den bestehenden strukturellen Herausforderungen nichts ändert.
Wenn ein renommiertes Institut wie Boston Consulting Group feststellt, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der Vielfalt in einem Unternehmen und dessen Innovationsfähigkeit, warum nehmen selbst dann manche Unternehmen, die sonst sprichwörtlich an den Lippen der Berater hängen, dieser Ergebnisse nicht an?
Weil Diversität unbequem ist – sie erzeugt Reibung. Viele nehmen daher lieber den Weg des geringsten Widerstands und entscheiden sich für homogene Teams. Und büßen damit eben jene Innovationsfähigkeit ein.
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Wenn der „Man of the year“ eine Frau ist
Zu guter Letzt: was würden Sie jungen Frauen heute raten, die sich vielleicht für einen Tech-Beruf interessieren, aber nicht wissen, wie sie das Ganze angehen sollen?
Als 1969 zum ersten Mal der Preis für den „Man of the year“ in Computerwissenschaften vergeben wurde, ging er an eine Frau – an Grace Hopper! Sie war es, die den ersten Compiler entwickelt hatte und den Begriff des „Bug“ für Softwarefehler prägte. So klebte sie eines Tages eine tote Motte in ihr Logbuch und schrieb daneben: „First actual case of bug being found“. Also: „Erster Fall eines entdeckten Bugs“.
Hopper gilt als Pionierin der Programmiersprachen. Damals waren die Menschen von Grace wahrscheinlich sogar weniger beeindruckt als heute, denn in der Frühzeit der Computerentwicklung war Programmieren noch ein typischer Frauenberuf. Das nur mal so nebenbei zu dem Vorurteil, dass Programmierung nichts für Frauen sei.
Mein größter Tipp ist es, sich Mentorinnen und Mentoren aus der Tech-Branche zu suchen – hierfür gibt es zahlreiche kostenlose Angebote. Ebenso existieren viele tolle Programme, etwa die „Hacker School“, die jungen Frauen technisches Wissen vermitteln.