30. September 2024, 14:14 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Schon seit Jahren gibt es eine Debatte darum, ob Smartphones – mehr oder weniger heimlich – mithören. Dann tauchten geleakte Dokumente auf, die das tatsächlich zu bestätigen scheinen. TECHBOOK hat sich die Rechtslage genauer angeschaut – und ein kleines Selbstexperiment durchgeführt.
Sie unterhalten sich mit einer Person über die Serie „Outlander“ und haben plötzlich Werbung für einen Schottland-Trip in Ihrem Instagram-Feed? Oder ein Katzenfreund war zu Besuch und sie werden auf einmal mit Cat Content überhäuft? Solche Erfahrungsberichte gibt es zuhauf. Ein anderes Thema wäre es, wenn man bestimmte Sachen googelt, für die man dann plötzlich Inhalte ausgespielt bekommt. Dass solche Daten verkauft werden, um gezielt Werbung zu schalten, ist schon länger bekannt. Aber nur mündlich geführte Gespräche? Das ist eine andere Geschichte. Der Verdacht des sogenannten Active Listening von Smartphones liegt da nahe. Geleakte interne Dokumente zeigten unlängst, dass das Thema größer ist, als von vielen vielleicht angenommen.
Übersicht
- Active Listening einfach erklärt
- Leak soll Active Listening bei großen Tech-Firmen belegen
- So reagieren Google und Co.
- Smartphones hören tatsächlich mit
- Wie sieht diesbezüglich die Rechtslage in Deutschland aus?
- Lustig – oder doch nur übergriffig?
- Von Babywindeln und Urlaubsplanung
- Active Listening über Einstellungen einschränken
Active Listening einfach erklärt
Der Begriff Active Listening kommt im Übrigen aus der Kommunikationswissenschaft. Er bezieht sich auf eine Zuhörmethode, bei der sich der Zuhörer bewusst und vollständig auf den Sprecher konzentriert, um das Gesagte zu verstehen, anstatt nur passiv zuzuhören. Dadurch soll eigentlich ein tieferes Verständnis des Gesagten erreicht werden.
Im hier thematisierten Kontext bedeutet Active Listening allerdings etwas anderes. Gemeint ist, dass technische Geräte wie Smartphones ihren Nutzern auch dann „zuhören“, wenn diese nicht aktiv bei der App-Nutzung ins Mikrofon sprechen. Die so erhaltenen Daten werden dann gezielt zum App Targeting genutzt. In einem Fall, der kürzlich Wellen schlug, fand der Begriff entsprechende Anwendung.
Leak soll Active Listening bei großen Tech-Firmen belegen
Die entsprechenden geleakten Dokumente wurden bei „404 Media“ veröffentlicht. Aus ihnen geht hervor, dass die Cox Media Group (CMG) entsprechende Abhörmaßnahmen seinen Werbepartnern angeboten habe. Konkret geht es um ein Tool zum Active Listening, auf Deutsch „Aktives Zuhören“. Das Tool kann etwa auf die Mikrofone von Smartphones zugreifen und so Gespräche mithören.
Eine KI soll anschließend die Daten auswerten, um entsprechende Erkenntnisse für passende Werbung zu gewinnen. Für diesen letzten Schritt sollen im Übrigen nicht nur die Gesprächsdaten, sondern auch Informationen zum digitalen Verhalten der Person zum Einsatz kommen. Laut dem bei „404 Media“ veröffentlichten Pitchdeck ist von 470 Quellen die rede, die dabei zum Einsatz kämen.
Dass es solche Tools gibt, ist brisant genug. In den geleakten Dokumenten gibt die Firma aber zudem an, dass mehrere namhafte Konzerne die Technologie bereits nutzen würden. Konkret ist die Rede von Google, Amazon und Facebook. Stimmt das?
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So reagieren Google und Co.
Längst haben sich sowohl die erwähnten Tech-Riesen als auch die CMG dazu geäußert. Meta, Facebooks Mutterfirma, antwortete, dass man umgehend eine Untersuchung einleiten wolle. Diese solle zeigen, ob gegen die Richtlinien des Unternehmens verstoßen wurde.
Google entfernte die Cox Media Group direkt aus seinem Partnerprogramm. In einem Statement heißt es: „Alle Werbeanbieter müssen die geltenden Gesetze und Vorschriften sowie unsere Google-Ads-Richtlinien einhalten, und wenn wir Anzeigen oder Inserenten identifizieren, die gegen diese Richtlinien verstoßen, werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen.“ Amazon hingegen versicherte auf TECHBOOK-Nachfrage: „Amazon Ads hat bei diesem Programm nie mit der CMG zusammengearbeitet und hat auch nicht die Absicht, dies zu tun.“
Auch die CMG reagierte öffentlich. Laut dem Unternehmen habe man „niemals Gespräche mitgehört oder Zugang zu irgendetwas gehabt, das über aggregierte, anonymisierte und vollständig verschlüsselte Datensätze von Dritten“ hinausgehe, die für Anzeigenschaltung verwendet werden dürften. Zudem verweist das Unternehmen darauf, mit Daten zu arbeiten, deren Erhebung und Verarbeitung die Nutzer zugestimmt hätten.
Die geleakten Informationen würden sich auf veraltete Daten und ein entsprechendes Produkt beziehen. Dieses habe man, um Missverständnissen vorzubeugen, aus dem Programm genommen. Veraltete Informationen hin oder her, das Pitchdeck an und für sich scheint also echt zu sein.
Smartphones hören tatsächlich mit
Die Cox Media Group macht übrigens mit ihrem Vorgehen nicht zum ersten Mal Schlagzeilen. Bereits 2023 berichtete ebenfalls „404 Media“ über entsprechende Vorgänge. Auch damals betonte die CMG, dieses Vorgehen sei nicht illegal. Nutzer würden beim Download von Apps entsprechenden AGB zustimmen.
Auch dieses Mal führt die CMG im Statement an, mit legal erhobenen Sprachdaten zu arbeiten. Und tatsächlich erfordert die Nutzung vieler Apps inzwischen, dass man bei ihrer Installation und der erstmaligen Nutzung Zugriff auf sein Mikrofon erlaubt. Um etwa Sprachnachrichten aufzuzeichnen oder Sprachassistenten nutzen zu können, sind entsprechende Freigaben nötig. Aber was bedeutet das abseits der intendierten Verwendung durch die Smartphone-Besitzer?
Zumindest im Geltungsbereich der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) ist das klar geregelt, wie Christian Solmecke, Anwalt für Internet- und Medienrecht, TECHBOOK auf Anfrage erklärte.
Wie sieht diesbezüglich die Rechtslage in Deutschland aus?
Das heimliche Abhören von Gesprächen unter bloßem Verweis auf die AGB ist dem Experten zufolge hierzulande in keinem Fall zulässig. „Abgesehen davon, dass die AGB nicht der richtige Ort für Informationen hierzu wären, sondern die Datenschutzerklärung, bestehen hier große datenschutzrechtliche Probleme. Das Abhören von persönlichen Gesprächen zu kommerziellen Zwecken, die dann auch noch mittels KI automatisiert analysiert werden, ist ein massiver Eingriff in die Privat- und teilweise sogar in die Intimsphäre von Menschen.“
Bei solchen Aktionen ginge es, so Solmecke, ja auch immer um besonders geschützte sensible Daten. Dazu gehören etwa die Sexualität, politische Einstellung oder auch die Gesundheit. Bei diesen Daten greift das „berechtigte Interesse“ von Unternehmen, das zu Werbe- und Funktionszwecken angeführt werden kann, ganz klar nicht, erklärt der Experte. Und er wird noch deutlicher: „Eine solche Praxis wäre nur nach einer ausdrücklichen, gut informierten Einwilligung der Nutzer möglich.“
Eine solche ausdrückliche Einwilligung dürfe keinesfalls versteckt über irgendwelche Klauseln eingeholt werden. Nutzer müssten stattdessen gut sichtbar und verständlich darüber informiert werden, ob Gespräche aufgezeichnet würden. Auch weiterführende Informationen müssten gut zugänglich und nachvollziehbar zur Verfügung stehen. Solmecke erklärt abschließend: „Dann müssten Nutzer die absolut freie Wahl haben, ob sie dem Zustimmen oder die Zustimmung ablehnen wollen. Sollten Dienste ohne eine solche Einwilligung Gespräche abgehört haben, können Betroffene neben der Löschung aller gesammelten Daten auch immateriellen Schadensersatz einfordern. Zudem dürften Bußgelder gegen die Unternehmen ergehen.“
Lustig – oder doch nur übergriffig?
In Netzwerken wie Reddit wird schon lange darüber gemutmaßt und auch gescherzt, dass Unternehmen über Smartphones Gespräche mithören, um passende Werbung auszuspielen. Viele sehen sich nun durch den Leak bestätigt. Ein Reddit-Nutzer berichtet etwa davon, dass er seit einem Gespräch ständig Werbung für Rasentraktoren erhalte – obwohl er schon einen besitze. Ein anderer bekam Werbung für Gaming-Stühle, nachdem er und seine Freunde sich ausgiebig über das neue Modell eines Freundes unterhalten hatten.
Weiter berichtet ein anderer Nutzer zudem: „Ein Kollege fragte mich einmal, warum Chiasamen in allen möglichen Lebensmitteln auftauchen. Ich hatte keine Ahnung, aber wir redeten ein oder zwei Minuten darüber. Zwanzig Minuten später bekomme ich Werbung für Chiasamen auf Facebook […]. Ich ging nach Hause und erzählte meiner Frau, was passiert ist […]. [Sie] sagte mir, ich sei paranoid. Eine Stunde später höre ich sie keuchen. Sie rennt rüber und zeigt mir ihr Handy und sie bekommt Werbung für Chiasamen.“
Ob solche Berichte konkrete Beweise dafür sind, dass Active Listening stattfindet, sei an dieser Stelle dahingestellt. Dass Apps auf Bewegungsdaten zugreifen, ist beispielsweise ebenfalls bekannt. Auch Crosstracking über mehrere Websites hinweg ist eine bekannte und bewährte Methode. Aus diesen Daten lassen sich ebenfalls passende Werbespots ableiten.
Und es gibt durchaus auch Nutzer, die das Thema eher lustig finden und argumentieren, dass sie ohnehin lieber für sie interessante Werbung ausgespielt bekommen als solche, die sie überhaupt nicht interessiere. Auf Reddit führt etwa ein Nutzer außerdem als Gegenbeispiel an, dass er permanent Werbung für Katzentoiletten bekommen würde, obwohl er keine Katze habe und dementsprechend auch nie über entsprechende Produkte reden würde. Viele finden den Gedanken, dass das Smartphone quasi mithört, aber auch gruselig.
Von Babywindeln und Urlaubsplanung
TECHBOOK hat daraufhin ein kleines Selbstexperiment gestartet. So wurde sich mehrere Tage in verschiedenen Abständen immer wieder über ein Thema unterhalten, das sonst für niemanden relevant gewesen wäre: in diesem Fall Autoreifen. Dabei wurde genau auf zwei Dinge geachtet. Zum einen wurde das Testhandy nur während der Arbeitszeit – sowohl im Homeoffice als auch im Büro – eingeschaltet, um etwaigen Datensalat durch den Kontakt mit vielen anderen Geräten in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu verhindern.
Zum anderen wurde darauf geachtet, auf dem Handy selbst nichts zu recherchieren, das auch nur entfernt mit Autoreifen zu tun hat. Nachdem anfangs nichts passierte, war aber nach etwa zwei Tagen der Feed des Testgeräts voll von Autothemen – Schwerpunkt Autoreifen.
Auch Redaktionsmitglieder der BOOK family können von entsprechenden Begebenheiten berichten:
Wenn das Smartphone schon weiter in der Lebensplanung ist
„In den vergangenen Monaten hat sich mein Smartphone in eine besonders aufmerksame Werbeassistentin verwandelt. Während früher mein Feed mit teuren Mode- und Beauty-Produkten voll war (berufsbedingt, versteht sich), zeigt mir mein Handy jetzt genau die Werbung, die ich brauche – oder besser gesagt, die es glaubt, dass ich sie brauche.
Beispiel gefällig? Nach analogen Gesprächen mit meiner besten Freundin, die im April Mama einer Tochter wurde, bombardiert mich mein Handy mit Babyprodukt-Werbung. Obwohl ich mit dem Thema Baby vorher kaum Berührung hatte, scheint mein Smartphone jetzt ein geheimes ‚Aktiv-Zuhören‘-Feature zu haben. Und nein, ich googel es auch nicht. Vielleicht denkt es, dass ich bald auch in den Baby-Modus umschwenken werde. Sehr aufmerksam, oder?“
Bitte keine Gummistiefelwerbung
„Mein Mann und ich haben uns vor einiger Zeit über ein bestimmtes Thema unterhalten. In den Tagen danach tauchte auf meinem Handy immerzu Werbung zu diesem Thema auf. Das war wirklich gruselig, weil wir dachten, jemand spioniert mein Handy aus. Im Endeffekt hat er sich einen Spaß daraus gemacht und immer wieder ‚Gummistiefel‘ gesagt, in der Hoffnung, dass ich mit Gummistiefelwerbung zugespammt werde, da hat es dann aber nicht mehr funktioniert – zum Glück.“
Urlaub gefällig?
„Das eingangs erwähnte Beispiel mit dem Schottland-Trip war kein zufälliges. Ich habe mich einmal mit einer Freundin über die Serie ‚Outlander‘ und die dort gezeigte schöne schottische Landschaft unterhalten. Plötzlich war mein Instagram-Feed voller wunderschöner Videos von Schottland. Noch schlimmer wurde es, als ich dieser Freundin eines der Reels weiterleitete. Ehrlicherweise bin ich dann eingeknickt – wir hatten im folgenden Jahr einen wunderschönen Roadtrip in Schottland. Nun können Sie dreimal raten, was passiert ist, nachdem wir ausführlich über italienische Pizza und Venedig gesprochen haben. Unsere Smartphones lagen neben dran, gegoogelt hat keine von uns etwas Entsprechendes. Der Italien-Urlaub ist bereits geplant. “
Kunstrasen? Die Arbeit ist schuld
„In der Redaktion sitzen wir jeden Morgen zusammen und besprechen die Themen des Tages – BOOKs-übergreifend. Ein Kollege von myHOMEBOOK pitchte dabei einen Artikel über Kunstrasen und dessen Vor- sowie Nachteile. Wenige Stunden später erschien dann plötzlich Werbung über Kunstrasen auf meinem Handy. Anfangs war ich überrascht, da ich mit diesem Thema so gar nichts am Hut und den Begriff auch nie gegoogelt habe. Dann aber erinnerte ich mich an die morgendliche Konferenz, bei der mein Pixel-Smartphone neben mir auf dem Tisch lag.
Offenbar hat die kurze Diskussion – sie ging wirklich nur etwa eine bis eineinhalb Minuten – über Kunstrasen in unserer Runde gereicht, um Google zu signalisieren, dass das Thema für mich interessant sein könnte. Spoiler: Ist es nicht. Was aber hängen blieb, ist die Erkenntnis, dass ich offenbar vorsichtig sein muss, was ich in Anwesenheit meines Smartphones sage.
Das zeigte ein weiterer Fall, eine Unterhaltung über einen Freund, der in die freiwillige Krankenversicherung gerutscht ist. Auch hier hatte ich zuvor nichts dergleichen im Internet gesucht, bekam nach dem Gespräch aber plötzlich Werbung zum Thema. Ein Zufall? Wohl kaum!“
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Active Listening über Einstellungen einschränken
Ob das alles nun beweist, dass Apps wirklich widerrechtlich auf Smartphone-Mikros zugreifen und vor allem, ob anschließend eine Auswertung der Daten stattfindet, ist nicht mit voller Sicherheit zu beantworten. Experten empfehlen allerdings, den Mikrofon-Zugriff von Apps über die Einstellungen gegebenenfalls einzuschränken, um Active Listening vorzubeugen.
Bei Apples iOS funktioniert das über das Einstellungsmenü und den Reiter „Datenschutz & Sicherheit“. Dort finden Sie den Unterpunkt „Mikrofon“ und eine Übersicht aller Apps, die darauf Zugriff haben. Bei Android ist das Vorgehen im Prinzip dasselbe. Gehen Sie in die Einstellungen und dann zum Punkt „Sicherheit und Datenschutz“. Tippen Sie erneut auf „Datenschutz“ und steuern Sie dann die entsprechenden Apps manuell an.