10. Mai 2024, 10:05 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es herrschte Krieg. Nun ja, ein „Formatkrieg“. Unter diesem Begriff jedenfalls ist der in den 70er und frühen 80er Jahren ausgetragene, verlustreiche Konkurrenzkampf zwischen den drei untereinander inkompatiblen Home-Video-Formaten Betamax, VCR/Video 2000 und VHS in die Geschichte der Unterhaltungselektronik eingegangen.
Wer das entsprechende Alter hat, kann sich bestimmt noch daran erinnern. Es waren die 80er Jahre und voller Vorfreude auf ein langes Heimkino-Wochenende machte man sich am Freitagabend auf den Weg zur Videothek. Dort konnte man angesagte Kino-Blockbuster, wie „Beverly Hills Cop“ mit Eddie Murphy oder „Blade Runner“ mit Harrison Ford, als Videokassette für den heimischen Videorekorder ausleihen. Diese Erinnerung schließt mit ein, dass in dieser Hoch-Zeit der Videothek die beiden Begriffe Videokassette und VHS-System bereits ein und dasselbe meinten. VHS hatte den Krieg längst gewonnen und war damit der uneingeschränkte Herrscher im Heimkino-Bereich. Hier allerdings soll es nicht um den strahlenden Gewinner gehen, sondern um die beiden Verlierer: VCR/Video 2000 und Betamax. Beide Systeme scheiterten nicht zuletzt an einer fehlerhaften Unternehmensstrategie.
Übersicht
Ein Monatseinkommen für einen Videorekorder
Die 1970er Jahre hatten gerade erst begonnen, als der deutsche Radio- und TV-Geräte-Hersteller Grundig sowie der niederländische Elektronik-Konzern Philips das Video-Zeitalter für den Hausgebrauch nicht nur einläuteten, sondern quasi erfanden. Die VCR-Kassette (VCR steht für Video Cassette Recorder), die eine Spielzeit von einer Stunde hatte, ermöglichte es nun erstmals, die Lieblingssendungen im Fernsehen via Videorekorder aufzunehmen. Ob eine Folge der Krimi-Serie „Der Kommissar“, die Unterhaltungsshow „Am laufenden Band“ oder die Länderspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft – man musste keine Angst mehr haben, etwas zu verpassen. Sendezeiten bestimmten nicht mehr die Freizeitgestaltung – in Zeiten von on-demand-Streaming selbstverständlich, aber damals ein Novum.
Ganz ohne Makel war dieses System bzw. Format aber nicht. Zum einen erlaubte es die auf eine Stunde begrenzte Spielzeit der VCR-Kassette nicht, einen Spielfilm in Gänze aufzunehmen. Denn der hat(te) in der Regel eine Spielzeit zwischen 90 und 120 Minuten, sodass eine zweite Kassette benötigt wurde. Hier aber handelte es sich nicht „nur“ um eine Frage der Bequemlichkeit. Vielmehr war auch der Kaufpreis ein Problem. Eine solche Kassette kostete damals um die 50 D-Mark, ein Rekorder gar um die 3.000 DM – was nicht weniger als ein durchschnittliches Monatseinkommen in der Bundesrepublik war.
Japan mischt den Markt auf
Mitte des Jahrzehnts drängten nun auch japanische Firmen, Sony mit Betamax und JVC mit VHS (Video Home System) auf den europäischen Markt. Größter Vorteil beider Systeme gegenüber VCR: eine Spielzeit von zwei Stunden plus. Das Problem: die drei Systeme waren untereinander nicht kompatibel. Wer umsatteln wollte, brauchte also auch einen neuen Rekorder, und die waren ähnlich teuer wie VCR-Modelle.
VCR-Hersteller Grundig brachte nun eine Kassettensystem mit überragenden fünf Stunden Spielzeit auf den Markt, das man entsprechend mit SVR betitelte – Super Video Recording. SVR aber war weder kompatibel zu den Geräten von Philips noch konnten die neuen Kassetten auf den älteren Grundig-Geräten abgespielt werden. Also musste ein neuer Rekorder her – und zwar zunächst bei Grundig selbst. So stampfte das fränkische Traditionsunternehmen für sage und schreibe 50 Millionen DM ein funkelnagelneues Videorekorderwerk aus dem Boden. Das war sicherlich ein Grund dafür, dass Grundig (gegründet 1930) in den 80er Jahren erstmals Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hatte. Nach einem steten Niedergang in den folgenden Jahren musste Grundig 2003 schließlich Insolvenz anmelden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Format-Durcheinander statt gesunder Menschenverstand
Philips musste auf die SVR-Aktivitäten des Konkurrenten natürlich reagieren. So stellte man 1977 ein Drei-Stunden-Band und einen entsprechenden Rekorder vor. Auf dem konnten zwar Grundig-Kassetten mit derselben Laufzeit abgespielt werden, die eigenen, älteren Bänder mit der geringeren Laufzeit aber nicht ab. Verständlich, dass sich angesichts dieses strategischen Desasters die Kundschaft mit Grausen von Grundig und Philips ab- und den beiden japanischen Alternativen, VHS und Betamax, zuwandte.
Erneut sah sich Philips genötigt, auf diese Entwicklung zu reagieren. Allerdings fiel diese Reaktion nicht so aus, wie es der gesunde Menschenverstand eigentlich hätte erwarten lassen. Statt sich mit Grundig auf ein einheitliches System zu einigen, führte man 1979 ein viertes System ein: Video 2000.
Video 2000 war für sich genommen zwar durchaus brauchbar, da es bis zu acht Stunden Spieldauer ermöglichte – die Kassette war beidseitig bespielbar, jede Seite brachte es also auf vier Stunden. Aber die potenzielle Kundschaft verzieh die fehlende Kompatibilität nun endgültig nicht mehr. So verschwand 1981 zunächst das VCR-/SVR-System schrittweise vom Markt, während Philips die Produktion von Video 2000-Rekordern schließlich 1986 auslaufen ließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das VHS-System längst nicht nur die Sympathien, sondern auch die Kaufbereitschaft der Video-Fans gesichert. Mit deutlich über 93 Prozent beherrschte VHS nun den Markt, während die restlichen sieben Prozent zu etwa gleichen Teilen an Video 2000 und Betamax gingen.
Weder Betamax noch Video 2000 in der „Erwachsenenabteilung“
Die enorme Stärke von VHS resultierte nicht zuletzt daraus, dass die Hersteller von Kauf- oder Leih-Videos sich auf VHS als Goldstandard geeinigt hatten. Die anderen Formate, Video 2000 und Betamax, wurden dagegen gar nicht mehr angeboten. Im Übrigen soll auch die Pornofilmindustrie beim Siegeszug von VHS eine gewisse Rolle gespielt haben. So weigerten sich Betamax 2000 und Video 2000 standhaft, hinter dem schweren Vorhang vertreten zu sein, der in der Videothek die „Erwachsenenabteilung“ abtrennte. Das VHS-Format kannte diese moralischen Bedenken dagegen nicht. Wirtschaftlich zahlte sich diese Flexibilität aus.
Apropos Betamax: Sonys Version von einem brauchbaren Home-Video-System war technisch, etwa bei der Bildqualität, VCR/Video 2000 und VHS überlegen. Aber auch die japanischen Firmen schwächten sich selbst. So verlangte Sony von seinen Lizenznehmern, im jeweiligen Vertriebsland eigene Produktionsstätten aufzubauen. Das aber überforderte manch potenziellen Lizenznehmer, vor allem aber sabotierte Sony damit eine schnelle, gewinnbringende Verbreitung von Betamax.
Japanischer Hersteller Wer steckt eigentlich hinter der Marke JVC?
Apple, Nintendo, Amazon … Technik von früher, die so richtig gefloppt ist
Mit dem Radio zu Weltruhm Was ist eigentlich aus Grundig geworden?
Sony sattelt um
Deutlich cleverer stellte sich JVC an. Das Unternehmen steckte in finanziellen Schwierigkeiten und man war darauf angewiesen, dass das Geld möglichst rasch fließen würde. Also wählte man den gegensätzlichen Weg und unterstützte potenzielle Lizenznehmer in einer Art und Weise, die beinahe schon an Selbstverleugnung grenzte. Nicht nur, dass man für die Produktionsstätten Aufbauhilfe leistete, JVC produzierte sogar Geräte für die Partner. Natürlich erhielten diese Geräte vor Lieferung aber noch das Markenzeichen des jeweiligen Partners. Was immer auf den Geräten stand, ob nun Grundig, das selbst mittlerweile VHS-Rekorder verkaufte, oder Panasonic oder Sharp – drinnen war meist JVC.
Damit war die Schlacht geschlagen, der Formatkrieg für VCR und Video 2000 verloren. Sonys Betamax bekam dagegen so etwas wie eine Galgenfrist bis zu Beginn der 2000er. Trotz der 18 Millionen verkauften Geräte beendeten schließlich auch Sony angesichts der überwältigenden Überlegenheit von VHS sein Engagement im Home-Video-Bereich. Stattdessen konzentrierte man sich nun auf den Profi-Bereich, machte aus Betamax kurzerhand Betacam, ein Video-Format fürs Fernsehen. Allzu lange aber konnte sich VHS nicht auf dem Erfolg ausruhen. Schließlich bedeutete das Aufkommen der CD Mitte der 90er Jahre, dass der nächste Formatkrieg nur eine Frage der Zeit sein würde …