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Pionier des Industrie-Designs

Was wurde eigentlich aus der Hi-Fi-Sparte von Braun?

Die Hi-Fi-Geräte von Braun sind berühmt für ihr schlichtes und funktionelles Industrie-Design
Die Hi-Fi-Geräte von Braun sind berühmt für ihr schlichtes und funktionelles Industrie-Design Foto: SSPL via Getty Images
Andreas Kötter
Freier Redakteur

15. April 2024, 13:02 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Der deutsche Elektronik-Hersteller Braun ist heute vor allem für seine Kosmetik-Sparte mit Rasierern und Epilierern bekannt. Vor 50 Jahren aber gehörten Hi-Fi-Geräte von Braun nicht nur zu den besten ihrer Zunft, sondern begeisterten gerade auch mit ihrem preisgekrönten Design

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Bei den meisten, die heute mit dem Elektronik-Hersteller Braun in Berührung kommen, dürfte es sich um eine haarige Angelegenheit handeln. Denn Braun, die Marke mit dem ikonischen Schriftzug, aus dem das „A“ deutlich herausragt, ist mit deutlichem Abstand Marktführer sowohl bei elektrischen Rasierapparaten als auch bei Epiliergeräten. Um Gesichts- und Körperpflege, um Rasierer und Epilierer aber soll es hier gar nicht gehen.

Vielmehr steht die legendäre Unterhaltungselektroniksparte von Braun im Fokus, die von den 1970er bis Ende der 1990er Jahre auch noch die höchsten Ansprüche von High Fidelty-Enthusiasten (Hi-Fi) befriedigte. Was Braun zu jener Zeit aber einzigartig machte, war, dass bei den Receivern, Tunern oder Plattenspieler – im übertragenen Sinne –, nicht nur der gute Ton, sondern auch das außergewöhnliche Erscheinungsbild die Musik machte. So war die Marke beinahe ein Synonym für herausragendes, oft auch preisgekröntes Industrie-Design, das Optik, Haptik und Bedienerfreundlichkeit auf höchstem Niveau vereinte.

1923: Max Braun stellt seinen ersten Rundfunkempfänger vor

Als der deutsche Maschinenbau-Ingenieur und Elektrotechniker Max Braun 1921 in Frankfurt eine Werkstatt für Maschinenbau eröffnete, war eine solche Entwicklung zunächst aber kaum abzusehen.

Brauns erstes Produkt war ein Treibriemenverbinder, den er unter dem Namen „Trumpf“ verkaufte. Ein Treibriemen ist heute ein in sich geschlossenes Band, das der Kraftübertragung dient; auch der Keilriemen beim Auto zählt dazu. Brauns Treibriemenverbinder war nun eine Apparatur, die einen Riemen per mehrerer Haken erst zum Treibriemen machte und die man sich ähnlich vorstellen kann wie einen Elektro- oder Büro-Tacker. Schon bald aber widmete sich der Ingenieur der Übertragung von Informationen über Funkwellen und stellte bereits 1923 seinen ersten Rundfunkempfänger vor, der den Namen Trumpf Walzendetektor trug.

Nachdem Braun Ende der 20er Jahre die Radioproduktion eines Konkurrenten übernommen hatte, trieb er in der Folge auch die Entwicklung eigener Geräte noch einmal voran. Die ersten beiden waren die Modelle „Mozart“ (1933) und „Edelsuper“ (1935). Und mit der Kombination von Radio und Plattenspieler in einem Gehäuse gehörte Braun mit dem Modell „Phono-Super 637 GW“ (1936) gar zu den ersten Anbietern solcher Geräte. Dieses Gerät, auch Musiktruhe genannt, nahm die Grundidee der viel später beliebten Kompaktanlage vorweg. Diese kombinierte in den 70er Jahren Radio, Plattenspieler und Cassetten-Deck in einem Gehäuse mit Plexiglas-Deckel. Braun selbst zeichnete zudem für das oben bereits erwähnte Firmenlogo (1934) verantwortlich, das im Laufe der Jahrzehnte stetig modernisiert wurde, dessen grundsätzlicher Charakter aber bis heute erhalten geblieben ist.

Dass ein findiger, erfolgreicher „Selfmade Man“ wie Max Braun hochinteressant für die Nationalsozialisten war, liegt auf der Hand. So versuchten die Nazis wiederholt, den Vorzeige-Unternehmer zum Eintritt in die NSDAP zu drängen. Braun aber weigerte sich stets und sei „in der gesamten Rundfunkwirtschaft der Einzige gewesen, der nicht in der Partei war“, wie sein Sohn Artur anlässlich des 120. Geburtstag des Vaters dem WDR erzählte. Natürlich hatte diese Standhaftigkeit Folgen. Von Betriebsdurchsuchungen über Hausarrest bis hin zu Hausbesetzungen mussten Braun und seine Familie etliche Schikanen ertragen. Da allerdings nie belastendes Material gefunden wurde, vor allem aber, weil das erfolgreiche Unternehmen wichtig für die deutsche Reputation und später, im Krieg, auch für die Rüstung war, beließ man es zunächst dabei. Während des Krieges musste auch Braun sich schließlich dem Druck fügen und konnte nicht umhin, Funk- sowie Minensuchgeräte für die Wehrmacht herzustellen.

Der erste Elektro-Rasierer mit flexiblem Scherblatt

Brechen aber ließ sich der Unternehmer nicht. Selbst dann nicht, als 1944 bei Luftangriffen seine beiden Frankfurter Werke weitestgehend zerstört wurden. Tatsächlich hatte er schon während des Krieges insgeheim ein neues Ziel ins Auge gefasst: einen elektrischen Rasierapparat mit flexiblem Scherblatt/Scherfolie. 1950 war dieser schließlich marktreif. Mit dem Modell „S 50“ hatte Braun nicht nur die Blaupause für moderne elektrische Trockenrasierer geschaffen, sondern damit auch das Fundament gelegt für den Aufstieg zur späteren Weltmarke. Er selbst sollte diesen Aufstieg allerdings nicht mehr erleben. Braun starb, nur 61 Jahre alt, am 5. November 1951. Seine beiden Söhne, Artur und Erwin, übernahmen nun die Geschäfte.

Vor allem Erwin war es, der eine neue, zeitgeistigere Unternehmenskultur einführte. Es ging ihm um ein zeitgemäßes Sortiment und ein neues, einheitliches Erscheinungsbild der Produkte. So wurden im Laufe der kommenden Jahre u. a. auch Haushalts- und Kosmetikgeräte jeglicher Art ins Portfolio aufgenommen, das nun vom elektrischen Massagegerät („Smoothy“; 1955) über eine Küchenmaschine („KM 3“, 1957) bis zum Heizlüfter („H1“; 1959) reichte. Und auch das Erscheinungsbild wurde den Erfordernissen der neuen Zeit angepasst. Denn das deutsche Wirtschaftswunder versetzte die Menschen nach den Entbehrungen des 2. Weltkrieges nun erstmals wieder in die Lage, zu konsumieren. Sie verlangten beim Kauf von Radio, Rasierer oder Taschenlampe jetzt nicht nur Funktionalität, sondern auch Genuss. Heißt: das neue Gerät sollte nicht nur seinen Zweck erfüllen, sondern zudem dem Auge und der Hand schmeicheln.

Das „Braun-Design“ nimmt mit Hi-Fi-Geräten Gestalt an

So wurde 1955 die Präsentation des neuen Unterhaltungselektronik-Sortiments auf der Düsseldorfer Funkausstellung zu einer Art Generalprobe. Den Braun-Messestand hatten der Student Hans G. Conrad und der Dozent für Visuelle Kommunikation Otl Aicher, beide von der Hochschule für Gestaltung Ulm, entworfen. Dabei hatten sie die Braun-Geräte in einem modernen Wohn-Ambiente bar jeder Spießigkeit präsentiert: kühl, aber nicht kalt, reduziert, aber nicht spärlich, funktional, aber nicht langweilig. So war in einer wohnraumähnlichen, großzügigen Umgebung teilweise nur eines der neuen Geräte zu sehen, etwa das neue Radio-Phono-Koffergerät „Combi“ von 1954.

Noch am Vorabend der Messe war entschieden worden, das bisherige, teilweise noch produzierte Braun-Geräteprogramm der alten Linie nicht sichtbar zu ausstellen, sondern es in die Besprechungsräume zu verbannen. Während die Resonanz durch die Medien durchweg positiv ausfiel, blieben die Händler zunächst aber zurückhaltend, weil sie – nicht zu Unrecht –, eine konservative Reaktion vieler Kunden befürchteten. Ändern sollte sich das erst mit der „lnterbau“ (1957), der internationalen Bauaustellung in Berlin. 80 Prozent der hier vertretenen internationalen Architekten wählten jetzt Braun-Geräte bei der Einrichtung ihrer Musterwohnungen. Jetzt machte sich bezahlt, dass die Braun-Brüder sukzessive die Entstehung eines „Braun-Design“-Stils vorangetrieben hatten, etwa durch eine Abteilung für Formgestaltung (später Abteilung für Produktgestaltung). Im Laufe der Jahre hatte man auch ausgewiesene Fachleute hinzugezogen, zu denen u. a. Wilhelm Wagenfeld zählte. Der „Bauhaus“-Schüler gilt als einer der bekanntesten Pioniere des Industrie-Designs. Einige seiner Entwürfe, wie die „Bauhaus-Leuchte“ werden als Design-Klassiker auch heute noch produziert.

„Bauhaus“ und Co – deutsches Industrie-Design macht Braun zur Weltmarke

Ebenfalls ein Mann mit „Bauhaus“-Vergangenheit war der deutsche Architekt, Innenarchitekt, Möbeldesigner und Hochschulrektor Herbert Hirche. Und auch in den Arbeiten des Architekten, Ingenieurs und Designers Hans Gugelot (Braun-Rasierer „Sixtant“, 1962) fanden sich Anklänge an das „Bauhaus“. Gemeinsam mit dem Industrie-Designer Dieter Rams entwarf Gugelot auch die Radio-Plattenspieler-Kombination „SK 4“ (im Volksmund auch „Schneewittchensarg“ genannt. Rams und sein Designteam sollten bis in die 1990er Jahre für das typische, sachlich-klare, funktionale Erscheinungsbild der Braun-Produkte stehen. Und gerade auch im Bereich der Unterhaltungselektronik schuf Rams etliche zeitlose Klassiker, wie etwa die Kompaktanlage „audio 310“.

Rams gilt heute als ein Begründer des industriellen Produkt-Designs. Jony Ive, der jahrelang Vize-Präsident für Industrie-Design und Chief Design Officer bei Apple war, soll sich oft bei Rams inspiriert haben. Als eines der berühmtesten Beispiele gilt der originale iPod mit dem Scroll Wheel. Die Idee dafür soll auf das  Transistorradio „T3“ zurückgehen. Auch andere Hi-Fi-Produkte aus dem Hause Braun sind in Apples Design-Sprache wiederzufinden. Etwa der Weltempfänger „T 1000“, dessen Lautsprechergitter im Mac Pro von 2006 wiederzufinden ist. Oder der Hi-Fi-Lautsprecher „Braun LE1“ mit Technik der britischen Firma Quad Electroacoustics, der Modell für den iMac von 2004 gestanden hat.

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Längst wurde dieser Mut zum Design auch mit internationalen Design-Preisen belohnt. So wurde Braun u. a. auf der 11. und 12. Triennale in Mailand (1957, 1960) mit dem „Grand Prix“ ausgezeichnet oder auch 1963 mit dem Interplas in London. Die größte Ehre aber wurde dem nun als „Braun-Design“ bekanntem Stil zuteil, als das New Yorker Museum of Modern Art 1964 eine Galerie mit einer Ausstellung des kompletten Braun-Programms eröffnete. Während die Fachwelt verzückt schien, zuckte die Masse der Käufer allerdings noch immer mit den Schultern angesichts solcher Innovationen.

Verkauf an The Gillette Company

Geld verdiente Braun, bereits seit 1962 eine Aktiengesellschaft, in erster Linie mit Blitzgeräten, Diaprojektoren und natürlich mit den Rasierern, die sich zur umsatzstärksten Säule des Braun-Portfolios entwickelten. Und gerade wegen dieser Kosmetik-Sparte zeigte nun ein US-Unternehmen, The Gillette Company (heute im Besitz von Procter & Gamble), großes Interesse. Gillette verdiente sein Geld mit Nassrasierern und wollte nun auch in den Markt der Trockenrasierer einsteigen. Am 19. Dezember 1967 schließlich nahmen die beiden Hauptaktionäre, Artur und Erwin Braun, das Angebot der Amerikaner an und verkauften ihre Anteile. Sie erhofften sich, Braun-Produkte, die in erster Linie in Deutschland und Europa erfolgreich waren, nun auch auf dem Weltmarkt platzieren zu können.

Der Unterhaltungselektronik-Sparte schadete das (zunächst) aber nicht. Im Gegenteil, einige der ikonischsten, nun unter dem Label „High Fidelty“ beworbenen Modell-Kreationen sollten von Ende der 60er bis Mitte der 80er Jahre erscheinen. Mit einem eigens erstellten Prospekt stimmte man potenzielle Kunden auf die Bedeutung von „Stereo“ und „High Fidelity“ ein. Einzelne Komponenten wie Receiver, Tuner, Plattenspieler, Lautsprecherboxen und Cassetten-Deck wurden ebenso angebauten wie Kompaktanlagen. Besonders mit der „Cockpit“-Serie wollte man durch die Verwendung neuer Materialien, wie Kunststoff, mit einem entsprechend sozialverträglicheren Preis gerade auch jüngere Kunden ansprechen. Heute vermittelt nicht zuletzt der schwarze, technoid anmutende Kunststoff, der von einigen kleinen Farbakzenten – etwa die grüne Ein-Aus-Drucktaste –, „durchbrochen“ wird, einen modernen Eindruck. Auch abseits jeglicher nostalgischen Anwandlung vermag man sich „Cockpit“ auch heute noch im eigenen Wohnzimmer vorzustellen.

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Mit der „Atelier“-Systemreihe endet die legendäre Hi-Fi-Ära bei Braun

Apropos Wohnzimmer: Geräte, wie die der legendären „Atelier“-Systemreihe der 80er Jahre waren mindestens ebenso sehr Prestige-Objekt wie sie den höchsten Hi-Fi-Ansprüchen genügten. Die Reihe umfasste ein breites Spektrum an Komponenten für Home Entertainment, die allesamt, also auch der Plattenspieler, fernbedient werden konnten und miteinander kommunizierten. Heute ist die „Atelier“-Reihe im Museum of Modern Art in New York zu bewundern. Wer damals etwas auf sich und seinen Stil hielt und die gute Stube ohnehin schon mit Design-Möbel-Klassikern, wie dem Eames Lounge Chair, dem Barcelona Chair von Mies van der Rohe oder der Arca Bogenlampe bestückt hatte, der mochte in diesen Jahren auch nicht ohne High Fidelty von Braun sein.

Dass dies kein billiges Vergnügen war, kann man sich denken. So kam man bei Vollausstattung der in Schwarz oder einem ganz zarten Grauweiß verfügbaren, stapelbaren „Atelier“-Geräte, also Receiver R4, CD-Player C4, Plattenspieler P4 sowie Gerätefuß AF1 und Systemfernbedienung RC1 auf rund 9500 D-Mark. Nicht nur Mitte der 80er Jahre ein stolzer Preis, den sich damals die wenigsten leisten konnten. Und den sich auch Braun selbst schließlich nicht mehr leisten konnte. Braun-Geräte boten Highest Fidelity, wenn man so will, und waren ein Fest für die Sinne. Was sie aber nicht waren: kompatibel mit Produkten anderer Hersteller und letztendlich einfach nicht konkurrenzfähig angesichts ihres Preises. So wurde schließlich 1990 das Produktionsende der Unterhaltungselektronik verkündet.

Verabschieden wollte man sich mit einer „Last Edition“ der „Atelier“-Reihe, wofür man mit ganzseitigen Anzeigen in der Fachpresse war. Eine Kampagne, die sich Braun damals sage und schreibe 2,5 Millionen D-Mark hat kosten sollen. Mehr als zwanzig Jahre später, 2013, wagte ausgerechnet Quad Electroacoustics (s. o.) mit dem Modell „Braun LE1“ ein Comeback. Seit 2020 schließlich wird die legendäre LE-Serie nun unter dem Namen „Braun Audio“ vermarktet. Hinter „Braun Audio“ steht der britische Digitalradio-Hersteller Pure.

Die Markenlizenz aber hält nach wie vor Procter & Gamble, der heutige Mutterkonzern von Braun.

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