24. September 2024, 14:35 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Das Interesse an DVDs und Blu-rays ist weiterhin rückläufig und das hat Konsequenzen. Inzwischen möchte Sony die Produktion sogar ganz einstellen. Für TECHBOOK-Autor Woon-Mo Sung ist das ein einziges Trauerspiel. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich liebe es, Dinge zu besitzen, die ich mag. Sie in den Händen zu halten, anzuschauen, manchmal sogar dran zu schnuppern und zu wissen: Das ist meins, das gehört mir. Ich gestehe, ohne zusätzlichen Kontext klingt das ein wenig besorgniserregend, aber keine Sorge, es geht nicht um Zwischenmenschliches. Sondern „nur“ um Dinge – CDs, Schallplatten, DVDs oder Blu-rays. Die sammle ich liebend gern und tagein, tagaus schaue ich durch meine Regale mit Gollums Stimme im Kopf, die flüstert: „Mein Schatz!“. Doch die aktuelle Entwicklung stimmt mich sehr traurig. Denn der Niedergang physischer Medien schreitet unaufhaltsam voran.
Übersicht
- Nichts ist besser als eine eigene Videothek aus DVDs und Blu-rays
- Dank DVDs und Blu-rays gehören Filme mir
- Wer digital kauft, besitzt gar nichts
- Streaming ist toll, aber …
- Umsätze innerhalb 10 Jahren mehr als halbiert
- Sonys Pläne sind ein unheilvolles Zeichen
- Der Fall „Oppenheimer“
- Gibt es Hoffnung für Fans?
Nichts ist besser als eine eigene Videothek aus DVDs und Blu-rays
Ich bin zum Glück in einer Zeit des florierenden Heimvideomarktes aufgewachsen. Schon als Grundschulknirps konnte ich meine Eltern dazu überreden, VHS-Kassetten nicht nur von kindgerechten Trickfilmen zu leihen oder zu kaufen, sondern auch vom Sci-Fi-Actionklassiker „Aliens – Die Rückkehr“ (FSK 16, aber wen juckt’s).
Dass ich eine Kopie meines Lieblingsfilms mein Eigentum nennen und ihn jederzeit und so oft ich will anschauen kann – das fühlt sich bis heute an wie purer Luxus. Gerade in Zeiten der Dominanz diverser Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+. In meiner eigenen kleinen und liebevoll kuratierten Videothek aus DVDs und Blu-rays gibt es (zumindest in meinen Augen) fast ausschließlich sehenswerte Highlights, die ich gerne wiederholt genieße:
Da steht ästhetischer Arthouse-Horror wie „The Eyes of my Mother“ (gibt es mit Stand vom 2. Juli 2024 in keinem Streaming-Abo) neben der nerdigen Indie-Romanze „Ich und Earl und das Mädchen“ oder der Actionkracher „The Raid 2“ neben der berühmt-berüchtigten belgischen Mediensatire „Mann beißt Hund“ oder der japanischen Komödie „Beyond The Infinite Two Minutes“. „Top Gun: Maverick“ auf 4K-Blu-ray? Darf bei mir auch nicht fehlen. Und den französischen Klassiker „Hass“ besitze ich sogar dreimal.
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Dank DVDs und Blu-rays gehören Filme mir
An all dem erfreue ich mich ohne den Launen einer wackeligen Internetverbindung und undurchsichtigen Lizenzvereinbarungen ausgesetzt zu sein. Denn wenn ich einen Film kaufe, dann gehört er mir auch, basta. Mit Ausnahme einer Pfändung von all meinem Hab und Gut oder einem guten alten Einbruch, kommt niemand vorbei und nimmt ihn mir einfach weg.
Denn kaufen heißt heutzutage oft eben nicht mehr einfach kaufen. Ich weiß, dass ich Titel auch ganz einfach und oftmals für deutlich weniger Geld digital erstehen kann. Das spart Zeit, Material und Platz – und schont den Rücken beim nächsten Umzug. Das geht zum Beispiel bei Amazon und ist auch schon längst der dominierende Weg, um an neue Videospiele zu kommen.
Wer digital kauft, besitzt gar nichts
Was viele jedoch nicht wissen: Niemand sagt einem, dass man genau genommen nur für die Dienstleistung der Bereitstellung bezahlt. Doch ändert sich hinter den Kulissen ein Vertrag, läuft eine Vereinbarung aus oder wird ein Dienst gar komplett eingestellt, dann kann es passieren, dass auch die digitale Videothek ganz unerwartet futsch ist. Das gilt übrigens auch für Streaming-Abos.
Abgesehen von den jeweils exklusiven Filmen und Serien kommen und gehen lizenzierte Werke täglich – da verliert man schnell die Übersicht. Mit meinen DVDs und Blu-rays jedoch komme ich mir mittlerweile vor wie ein Archivar wertvoller Kulturgüter, der sie für die Nachwelt hortet. Und wenn ich Lust auf einen bestimmten Film habe, muss ich ihm nicht in verschiedenen kostenpflichtigen Abos nachspüren – falls es ihn dann überhaupt gibt.
Streaming ist toll, aber …
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich erkenne die Vorzüge des Streamings durchaus an und habe sie in der Vergangenheit rege genutzt: Die ständige und vor allem bequeme Verfügbarkeit zahlreicher Titel und einige sehr sehenswerte Eigenproduktionen zu einem verhältnismäßig niedrigen Preis – wer kann da schon widerstehen?
Allerdings bemerkte ich mit der Zeit, dass mir die „alles auf einmal“-Mentalität einfach nicht liegt. Als man damals PlayStation-Spiele illegal kopieren konnte, hatte ich plötzlich einen Stapel an Games. Die kurzfristige Erfüllung aller Träume wich schnell der Erkenntnis, dass ich jetzt zu viele Spiele besaß, um ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Mit Streaming ist es genauso: Ich ertappte mich dabei, daheim immer seltener Netflix und Co. zu öffnen. Und wenn ich es doch tat, klickte ich mich einfach durch irgendwelche Kacheln und schaute am Ende – nichts.
Umsätze innerhalb 10 Jahren mehr als halbiert
Deswegen möchte ich in Anbetracht des langsamen Todes von DVDs und Blu-rays am liebsten nur heulen. Mit dem Aufkommen der neuen Streaming-Technologien wenden sich immer mehr Menschen Abo-basierten Angeboten zu, während die silbernen und blauen Scheiben immer mehr zu Ladenhütern werden.
So schreibt Statista, dass 2023 mit dem DVD-Verkauf in Deutschland 163 Millionen Euro umgesetzt wurden. Neun Jahre zuvor war es noch mehr als eine Milliarde. Mit Blu-rays erzielte man im vergangenen Jahr sogar nur 139 Millionen, was ebenfalls rückläufig ist. Zwischen 2013 und 2023 ist der Absatz auf 49,5 Millionen Stück gesunken – das ist mehr als die Hälfte.
Ähnlich düster sieht es auf dem Verleihmarkt aus: Lediglich neun Millionen Euro erwirtschafteten die noch aktiven Videotheken im Jahr 2022. Noch 2011 waren es 222 Millionen. Das sinkende Interesse bewirkt eine schwindende Anzahl an Verleihbetrieben: Zuletzt sollen es nur noch 345 herkömmliche oder Automatenvideotheken in Deutschland gewesen sein. Der Statista-Umfrage zufolge sollen 52 Prozent der Menschen hierzulande zumindest selten eine DVD oder Blu-ray nutzen – beinahe 20 Prozent weniger als 2014.
Sonys Pläne sind ein unheilvolles Zeichen
Dass in diesen Zeiten ein so großes und, insbesondere für die Blu-ray, auch einflussreiches Unternehmen wie Sony seinen langfristigen Rückzug aus dem Geschäft plant, wirkt wie ein Dolchstoß durchs Sammlerherz. Die Japaner waren als Teil der Blu-ray Disc Association (zu der weitere Konzerne wie Samsung, LG oder Philips gehören) einst an der Entwicklung und Markteinführung der Blu-ray maßgeblich beteiligt. Die Entscheidung, für die PlayStation 3 als erste Spielekonsole überhaupt primär auf Blu-ray-Technologie zu setzen, soll für den damaligen Siegeszug des Mediums gegenüber dem Konkurrenzprodukt HD-DVD entscheidend gewesen sein, wie „Focus“ berichtete.
Doch das war einmal. Wie die japanische Zeitung „The Mainichi“ von Insider-Quellen erfahren haben will, streicht Sony an einem seiner wichtigsten Produktionsstandorte für optische Medien 250 der bislang 670 Stellen. Langfristig, so die Quellen, wolle das Unternehmen die Herstellung sogar vollständig einstellen. Erst 2023 kündigte der Filmproduktionsbereich Sony Pictures an, in Deutschland nicht mehr selbst DVDs und Blu-rays vertreiben zu wollen.
Sony ist damit nicht alleine: Auch Disney, ebenfalls Teil der Blu-ray Disc Association, gibt dem US-Branchenblatt „Variety“ zufolge den nordamerikanischen Disc-Vertrieb ab – ironischerweise an Sony. Aufgrund der jüngsten Entwicklung wird dies wohl nur ein vorübergehendes Engagement sein. In Deutschland vollzog man diesen Schritt ebenfalls schon 2023. Hierzulande übernahmen laut einer Pressemitteilung die LEONINE Studios die Aufgabe, Sony hingegen hat in Plaion Pictures einen Partner gefunden.
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Der Fall „Oppenheimer“
Der Niedergang von DVDs und Blu-rays scheint zumindest für den breiten Mainstream-Markt fürs Erste unausweichlich zu sein, wenngleich er später eintritt, als mein Kollege Adrian Mühlroth einst prognostizierte. Das Medium zeigt sich dennoch kämpferisch und hat dafür auch prominente Unterstützung.
So sagte Regisseur Christopher Nolan, dass sich Fans die physische Edition seines mehrfach oscarprämierten Meisterwerks „Oppenheimer“ zulegen sollten, „damit kein böser Streaming-Dienst“ kommen und ihn wegnehmen könne. Man habe viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt in die Blu-ray-Fassung gesteckt. Die Fans zeigten sich dankbar: Der Ansturm auf die 4k-Blu-ray von „Oppenheimer“ war sogar so groß, dass sie zwischenzeitlich ausverkauft war, wie „The Wrap“ berichtete.
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Gibt es Hoffnung für Fans?
Freilich, ein solcher Erfolg ist heutzutage eine Ausnahme. Diese zeigt jedoch, dass sehr wohl noch ein Markt für die Scheiben existiert. Dieser mag zwar immer kleiner werden, doch vielleicht können Filme und Serien auf physischen Medien ähnlich überleben (und dann wieder zurückkommen?) wie zum Beispiel Vinylplatten. Diese galten auch für lange Zeit als tot und verkaufen sich seit circa zehn Jahren immer besser.
Auch die CD verzeichnete zuletzt einen unerwarteten Aufschwung nach 20 Jahren rückläufiger Verkaufszahlen, dank so großer Namen wie Taylor Swift, Olivia Rodrigo oder Metallica. Und selbst die Musikkassette und der dazugehörige Walkman feiern ein kleines Comeback.
Schon jetzt gibt es zahlreiche spezialisierte Liebhaber-Labels für Arthouse- oder Genrefilme, die ihre Anhängerschaft mit liebevoll gestalteten, physischen Fassungen bedienen. Unter Kennern ist die Criterion Collection schon lange weltbekannt, bei der sogar Netflix-Filme erschienen sind. Im deutschsprachigen Raum gibt es wiederum Betriebe wie zum Beispiel Nameless Media, die derbe Horrorfilme wie „Terrifier“ Teil 1 und 2 mit mehreren einzigartigen Covern auf den Markt bringen, deren Auflagen vollständig ausverkauft werden.
Sicher, es werden nicht die größten Auflagen sein. Aber wenn DVDs und Blu-rays zumindest in Zukunft ein beständiges Nischendasein fristen könnten, wäre ich schon sehr glücklich. Wer weiß, vielleicht feiern sie dann eines Tages auch ein Revival. Andere Medien zeigen, dass wider Erwarten mehr Menschen ihre Schätze doch gerne in Händen halten. Und vielleicht erfolgt eine Rückbesinnung auch aufgrund der immer höheren Streaming-Preise, von denen Verbraucher zunehmend frustriert sind. Immerhin: Die Netflix-Hitserie „Arcane” soll auch auf Blu-ray erscheinen.
Ich werde physischen Medien solang es geht die Treue halten. Dazu liebe ich das Ritual einfach zu sehr: abends auf dem Sofa die Folie von einem neuen Film abziehen, die Hülle aufklappen, die Disc in der Hand halten und vorsichtig ins Laufwerk schieben. „Mein Schatz“.