27. Mai 2023, 16:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Max Headroom erscheint 1985 das erste Mal auf der Bildfläche. Halb auf einem Schauspieler beruhend, halb animiert erreichte „der erste computergenerierte Fernsehmoderator“ schnell Kultstatus.
George Orwell schreibt im Jahr 1948 seine düstere Version der Zukunft. Im Roman „1984“ lebt die Menschheit in einem totalen Überwachungsstaat. Privatsphäre gibt es keine mehr. Es herrschen Angst, Armut und Krieg. Bestimmte Wörter gelten als Bedrohung und werden daher aus Alltagssprache entfernt. Ausgerechnet im Orwell-Jahr betritt Max Headroom die Bühne. Der teilweise computer-animierte Ansager von Musik-Clips ist allerdings das bunte Gegenteil von Orwells grau-schwarzer Zukunftswelt. Er entwickelt sich zu einer digitalen Kultfigur in einer ansonsten noch analogen Zeit.
Übersicht
Das Internet ist noch nicht geboren. Durch die Cyber-Figur Max Headroom bekommt die Welt allerdings einen ersten Eindruck einer nicht mehr allzu weit entfernten digitalen Zukunft. Er ist das Produkt der britischen Computerdesigner Annabel Jankel und Rocky Morton. Der britische TV-Sender Channel 4 suchte damals einen neuen Anchorman für eine Musikclip-Sendung. Die Wahl fällt auf Max Headroom.
Max Headroom, eine Figur aus Bits und Bytes?
Der Computermensch mit akkurat zurückgekämmten blonden Haaren, stahlblauen Augen und einem Gebiss, das Zahnärzte lieben würden, entwickelt sich rasch zum Renner auf Channel 4. Dabei handelt es sich bei Max Headroom gar nicht um eine per Computer erzeugte digitale Figur, sondern um den kanadischen Schauspieler Matt Frewer. Die Entwickler des computeranimierten Moderators machen lange Zeit ein Geheimnis um die wahre Existenz ihrer Kunstfigur. Die Zuschauer glauben jedenfalls lange Zeit, Max Headroom sei aus Bits und Bytes zum Leben erweckt worden.
Damit Matt Frewer aussieht wie Max Headroom, braucht es eine Gesichtsmaske aus Haferbrei und Gummi, blaue Kontaktlinsen und eine Latexperücke. Die Verwandlung in die digitale Kunstfigur dauert jedes Mal über vier Stunden.
Tatsächlich aus dem Computer stammt nur das verfremdete Bild und der animierte Hintergrund, vor dem Max Headroom seine flotten Sprüche dem Publikum um die Ohren haut. Sämtliche Visualisierungen und Effekte sind auf einem Commodore Amiga programmiert worden.
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Vor allem ein englisches Phänomen
Der Mann mit den blonden Haaren gewinnt wegen seiner frechen Art sehr schnell die Gunst des Publikums. Die Erfinder unternehmen daher alles, um die Popularität der Figur aus der Zukunft weiter zu steigern. Im Jahr 1985 läuft in den USA der Fernsehfilm „Max Headroom – 20 Minutes into the Future“. In Deutschland taucht das Machwerk erst Jahre später unter dem Titel „Max Headroom – Der Film“ auf.
Der Kult um den „ersten computergenerierten Fernsehmoderator“ konzentriert sich vor allem auf den englischsprachigen Raum. In Deutschland hält sich das Interesse in Grenzen, weil reine Musikclip-Sendungen wie in Großbritannien hierzulande unbekannt sind. Das deutsche Publikum schaut sich lieber echte Moderatoren in der Chartshow „Formel Eins“ an. In dieser TV-Sendung begegnen die Zuschauer Max Headroom im Jahr 1986. Der digitale Anchorman ist der Star im Video der Kunst-Pop-Gruppe The Art of Noise. Die hat damals mit dem Song „Paranoimia“ einen kleinen internationalen Hit.
Max Headroom: Werbefigur und Serienstar
Der Ruhm von Max Headroom in der englischen Welt wächst weiter. Die blonde Kunstfigur wirbt sogar für Coca-Cola. Die Regie für die kurzen Werbespots übernimmt kein Geringerer als Ridley Scott. Der hat schon einen ikonischen Werbeclip für Apple gedreht. Horror-Freunde verehren den Regisseur für den beklemmenden Schocker „Alien“.
Im Jahr 1987 entsteht in den USA eine ganze Serie um Max Headroom. Darin erfährt die Welt endlich, wie die Figur zu ihrem Namen gekommen ist. Der Reporter Edison Carter verliert sein Leben bei einem Unfall. Die letzten Worte, die er vor seinem Tod liest, lauten „max. headroom“. Diese stehen auf der Schranke, die ihn das Leben kostet. Übersetzt bedeuten die Worte: „maximale Durchfahrthöhe“.
Mithilfe eines Computerspezialisten landen die Gedanken von Edison Carter im Kopf einer computer-generierten Figur. Die heißt wie die letzten Gedanken des Verstorbenen: Max Headroom. Fortan kämpft die Computerkopie des Reporters gegen Korruption, Verbrechen und Unterdrückung.
Die erste Staffel der Serie läuft zumindest im englischsprachigen Raum erfolgreich. Die folgende zweite Staffel kann daran allerdings nicht anknüpfen und wird vorzeitig abgesetzt. Angeblich möchte der Schauspieler Elijah Wood das Format Max Headroom als Serie reaktivieren.
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Ein letztes Lebenszeichen
Die Figur sorgt zuletzt im Jahr 1987 für mächtig aufsehen. Der sogenannte „Max Headroom Hijacking Incident“ schlägt im US-Fernsehen hohe Wellen. Dabei gelingt es einer Hacker-Gruppe, sich in das laufende TV-Programm einzuschalten. Auf dem Bildschirm taucht eine skurrile Figur mit Max-Headroom-Maske auf und verstört die TV-Zuschauer. Bis heute fehlt von den Hackern jede Spur.
Und auch in Deutschland erlebt Max Headroom Ende der 1990er Jahre seine Wiederauferstehung. Robert T-Online schaut aus wie dessen digitaler Bruder. Die deutsche Werbefigur preist im Spot die DSL-Anschlüsse von T-Online an.
Danach geht die Kultfigur allerdings endgültig in die digitale Rente. Denn inzwischen hat die Realität die Cyber-Zukunft eines Max Headroom nicht nur eingeholt, sondern schon lange überholt. Mit Künstlicher Intelligenz und Deepfake Videos steht uns bereits eine neue Zukunft bevor.