22. November 2020, 9:02 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Viele der erfolgreichsten Games aller Zeiten haben eine Gemeinsamkeit – es sind sogenannte Rollenspiele. Doch was macht „Dark Souls“, „Ultima“, „World of Warcraft“, „The Elder Scrolls“, „Fallout“ und Co. so beliebt und wie sind sie in die fast 50-jährige Geschichte des Gaming-Rollenspiels einzuordnen?
Rollenspiele sind eines der beliebtesten Gaming-Genres der Welt. Die wichtigsten Kriterien eines sogenannten RPGs (Role-Playing Game) sind die modifizierbare Spielfigur, die Quest-Struktur, die durch das Spiel führt und in der Regel das Bekämpfen von Monstern enthält, sowie die erdachte Spielwelt. Im Laufe der Jahrzehnte ist dieses Grundkonzept natürlich etwas aufgeweicht und teilweise erweitert worden. Der Kern, eine „Rolle zu spielen“, ist aber stets derselbe.
Der früher Vorläufer: Stift und Papier
Die Wurzeln des Genres liegen im Pen-&-Paper-Spiel begründet, bei dem mittels Stift und Papier fiktive Charaktere sowie Welten entworfen und darauf aufbauende Geschichten erzählt werden. Die Spielrunden moderiert dabei der sogenannte Spielleiter. Dieser entscheidet über den Rahmen der Handlung, den Ablauf der Ereignisse und die Schauplätze, vor allem aber darüber, wie sich die Figuren verhalten, die nicht von anderen Spielern übernommen werden. Das sicherlich bekannteste Pen-& Paper-Spiel ist „Dungeons & Dragons“, in dem der Fokus klar auf die Spielhandlung und die Entwicklung der Figuren abzielt.
Erste Computerspiele des Genres in den 70ern
1974, im selben Jahr wie „Dungeons & Dragons“, erschien das Rollenspiel „dnd“. Die Rolle des Spielleiters übernimmt darin der Computer, Grundkonzept und Spielmechaniken sind aber wie in der analogen Version. RPG-Computerspiele waren damals, anders als heute, absolutes Nischenprodukt. Die ersten Entwickler waren vor allem Studenten, weil neben den großen Universitäten kaum jemand über Netzwerke mit ausreichend Rechenleistung verfügte – private Haushalte schon gar nicht. Für die Unis wiederum waren die RPGs in erster Linie technische Spielereien. Um Speicherplatz zu sparen, wurde deshalb vieles wieder gelöscht.
„dnd“ („The Game of Dungeons“) ist das älteste noch erhaltene Rollenspiel für den Computer. Der Spieler steuert darin einen selbsterschaffenen Charakter durch einen großen Dungeon (Höhle), der über mehrere Ebenen beziehungsweise Level verfügt. Dabei muss er gegen verschiedene Monster kämpfen und seine Fähigkeiten weiterentwickeln. Bemerkenswert ist das bereits deutlich ausgeprägte Skill-System des Spiels, an dem sich viele kommende orientierten. Skills sind die Fähigkeiten der Spielfigur wie etwa Magieangriffe oder maximales Leben.
1975 folgte mit „Dungeon“ direkt der nächste Meilenstein. Dargestellt wurde nämlich auch die Umgebung und das, was die Spielfigur sieht. Dank dem sogenannten „Line-of-Sight“-Prinzip bewegte sich der Avatar von unten nach oben über den Bildschirm. Ebenfalls noch in den 70ern gab es bereits erste Multiplayer-Rollenspiele für den PC, die sich stark an „Dungeons & Dragons“ orientierten. Namentlich sind hier in erster Linie „Obliette“ und „Avatar“ zu nennen – beides ebenfalls studentische Projekte.
Zunehmender Erfolg der Rollenspiele in den 80ern
Direkt im Jahr 1980 erschien das Spiel „Rogue“. An der University of California in Berkeley entwickelt war es das erste (Rollen-)Spiel mit einer zufällig generierten Welt. Um das rechnerisch möglich zu machen, wurden die Spielelemente rein grafisch mit ASCII-Zeichen (Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen) dargestellt. Ein näher kommendes Monster war für den Spieler lediglich als bewegtes „M“ zu sehen. Ziel des Spiels war es, das Amulett von Yendor in dem Dungeon zu finden und sich dabei gegen zahlreiche Gegner zu wehren, indem man bessere Waffen findet und Fähigkeiten weiterentwickelt – also ganz grundlegende Rollenspiel-Elemente.
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Eines der heute noch bekanntesten Spiele aus dieser Zeit ist „Ultima“ (1981), das über die Jahre zu einem großen Franchise mit mehreren Ablegern wurde. Nicht nur, dass die Spielwelt „Britannia“ gut ausgearbeitet war, auch die neuartige Kachel-Optik prägte das Genre für viele Jahre.
Ebenfalls 1981 erschien „Wizardry“, das erste „richtige“ Multiplayer-Rollenspiel. Die Spieler konnten zu Beginn eine bis zu sechsköpfige Gruppe erstellen und dabei aus verschiedenen Rassen, Gesinnungen und Klassen wählen. Den größten Schritt stellte allerdings die Grafik dar. Die Umgebung war erstmalig komplett dreidimensional, was die Geburtsstunde der Ego-Perspektive einläutete. Der Erfolg war enorm: Das Spiel verkaufte sich nicht nur in Nordamerika gut, sondern auch in Japan und legte den Grundstein für bekannte Rollenspiele aus dem asiatischen Raum.
In einer Meilenstein-Liste der Rollenspiele darf auch „Dungeon Master“ aus dem Jahr 1987 nicht fehlen. Große Neuheit waren in diesem Fall die Echtzeitkämpfe. Zuvor kämpfte man, ganz im „Dungeons & Dragons“-Stil, rundenbasiert auf Textbefehl. In „Dungeon Master“ kombinierte man das mit Elementen des aufstrebenden Action-Adventure-Genres, was das Spiel spannungsreicher und weniger strategisch gestaltete – und der Popularität einen enormen Schub brachte.
1990er: Der Grundstein für große Rollenspiel-Franchises
Der echte Durchbruch der RPGs erfolgte dann in den 90ern. Viele der großen und auch heute noch bekannten Klassiker des Genres entstanden in dieser Dekade. Um weiter chronologisch vorzugehen, nennen wir „Neverwinter Nights“ (1991) an erster Stelle. Den Entwicklungsauftrag gab Internetanbieter AOL mit einem recht durchsichtigen Geschäftsmodell: Eine Stunde Spielspaß kostete stolze 6 US-Dollar. Damit sollten in erster Linie auch die enormen Internetkosten für den Anbieter gedeckt werden – „Neverwinter Nights“ war nämlich das erste Massively Multiplayer Online Game (MMO).
Der nächste Meilenstein und gleichzeitig ein echter Klassiker ist „Diablo“ aus dem Jahr 1996. Abgesehen von der enormen Bedeutung, die das Spiel für Entwickler Blizzard hatte, war es außerdem wegweisend in Sachen Charakterentwicklung einer Spielfigur. Eine weitere Besonderheit war die fixierte isometrische Ansicht in der zufallsgenerierten Spielwelt. Diese gibt durch den Blickwinkel die Sicht auf Objekte frei, die durch Drauf- oder Seitenansicht nicht sichtbar wären und erzeugt so den Eindruck einer 3D-Umgebung. Das unterstreicht den Schritt in Richtung Action-Rollenspiel.
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1998 erschien außerdem „Baldur’s Gate“ – für Fans des Genres bis heute eines der besten Rollenspiele aller Zeiten. Das Entwicklerstudio BioWare hatte dabei einen klaren Fokus auf ausgefeilte Figuren und Storytelling. Kernkonflikt ist die halbgöttliche Abstammung des Protagonisten, der vor seinem göttlichen Erbe sowie seinem bösen Halbbruder auf der Flucht ist. Die vielgelobte Erzählweise ist vor allem dank des schlau eingesetzten Flaschenhalsprinzips möglich. Das nächste Kapitel wird erst erreicht, nachdem eine Reihe von Aufgaben erledigt wurde.
Ebenfalls in den 90ern erschienen außerdem die ersten Teile zweier großer Rollenspielreihen, die bis heute das Genre mitbestimmen: „The Elder Scrolls: Arena“ (1994), „The Elder Scrolls II: Daggerfall“ (1996) und „Fallout“ (1997). Erstere sind riesige Fantasy-Schinken mit einer Open World von Bethesda, letzteres ein postapokalyptisches Action-RPG gespickt mit jeder Menge schwarzem Humor. Beide Serien existieren bis heute und versorgen ihre Fans mit Nachschub. Insgesamt ebneten die 90er dem kompletten Genre technisch und inhaltlich den Weg und etablierten es bis zu einem gewissen Grad im Mainstream.
Der Beginn des neuen Jahrtausends
Die großen Namen der 2000er Jahre sind viel zu zahlreich, um sie hier alle zu nennen und im Detail auf sie einzugehen. „The Elder Scrolls“ Teil 3 und 4, „Gothic“, „Star Wars: Knights of the Old Republic“, „Neverwinter Nights“ (die Neuauflage von Bioware), „Mass Effect“, „Deus Ex“ und noch so viele mehr. Aber ab 2004 dominierte ein Fantasy-RPG von Blizzard die Gaming-Welt und unterstrich damit den Trend des Genres und vor allem das Potenzial von MMOs: „World of Warcraft“. Als erstes MMORPG überhaupt schaffte WoW den Durchbruch in Europa und erschloss einen wichtigen Markt für Rollenspiele. Es ermöglichte eine völlig neue Art des Zusammenspielens und eine besondere Bindung an den Avatar.
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Für die Verbreitung von Rollenspielen fast noch wichtiger als die eben genannten großen Titel sind aber die Hardware-Entwicklungen der 00er-Jahre. Die PlayStation 2 (bis heute die meistverkaufte Spielekonsole der Welt) und Gaming-Plattformen wie Steam taten Games egal welchen Genres einen großen Gefallen.
Die 2010er-Jahre sind eine Dekade der RPG-Fortsetzungen
Wer auf die großen Rollenspiel-Neuheiten der vergangenen 10 Jahre blickt, sieht vor allem eines: Fortsetzungen. Eine Ausnahme bildet „Dark Souls“, das 2011 erstmals für die PlayStation 3 erschien. Im Gegensatz zu vielen anderen prominenten Vertretern des Genres gibt es in dem Spiel so gut wie keine stringent erzählte Handlung. Stattdessen ist der Spieler dazu angehalten, innerhalb einer groben Rahmenhandlung die Spielwelt selbst zu erkunden. Die besondere Herausforderung liegt dabei nicht in der Erfüllung von Quests, sondern im reinen Überleben. Die Kämpfe in „Dark Souls“ gelten dabei allgemein mit als die schwierigsten aller Zeiten.
Ebenfalls 2011 erschien außerdem Teil 5 der „Elder Scrolls“-Reihe, „Skyrim“. Bis heute ist es eines der bestbewerteten Spiele überhaupt und setzt den Maßstab in Sachen Spielwelt und Charakterentwicklung. Tausende von Spielstunden können Spieler damit zubringen, durch das verschneite Himmelsrand zu laufen, Quests zu erledigen, Kräuter zu sammeln und Häuser einzurichten. Für Skyrim gilt, wie wohl für kein anderes Rollenspiel: Der Weg ist das ultimative Ziel.
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Auch wenn „The Witcher 3: Wild Hunt“ kein klassisches Rollenspiel ist, erfüllt es doch genügend Kriterien, um als Action-RPG durchzugehen. 2015 erschienen, trat das Spiel von CD Project Red eine Begeisterungswelle für Fantasy-Spiele los. Gerade was das Storytelling und die Beeinflussbarkeit der Spielwelt anging, ist „The Witcher 3“ ein echter Meilenstein. Allein die Haupt-Quest kann auf zehn unterschiedliche Arten zu Ende gehen, je nachdem, wie der Spieler im Laufe der Zeit entschieden hat. Die Möglichkeiten der Charakterentwicklung sind durch die existierende Buchvorlage des polnischen Autors A. Sapkowski zwar deutlich begrenzt. Das Game geht somit aber den Weg weiter, den schon „Skyrim“ eingeschlagen hat: Die Spielwelt ist das tragende Element.
Ein für Rollenspiele, aber auch die ganze Gaming-Welt, einschneidendes Jahr war 2017. Im März brachte Nintendo seine Hybrid-Konsole, die Nintendo Switch, auf den Markt. Zum Start erschien auch das RPG „Zelda: Breath of the Wild“. Dem aufmerksamen Rollenspiel-Fan wird nicht entgangen sein, dass in diesem Artikel bisher fast ausschließlich von Meilensteinen westlicher Rollenspiele die Rede war. Große Namen wie „Final Fantasy“ oder „Dragon Quest“ sind noch gar nicht gefallen. Damit soll ihnen keinesfalls ihre Bedeutung abgesprochen werden, sogenannte JRPGs (Japan Role-Playing Games, synonym verwendet für ostasiatische Rollenspiele) basieren aber auf anderen Kriterien als die oben erwähnten. Der jüngste „Zelda“-Ableger vereint die verschiedenen Rollenspiel-Traditionen wie bisher kaum ein anderes Spiel. Die aus den Vorgängern bekannte Haupt-Quest, die Rettung von Prinzessin Zelda, wird in der riesigen Spielwelt zeitweise zur Nebensache. Stattdessen belohnt das Spiel fleißiges Erkunden, versteckt überall in Hyrule sogenannte Schreine, die kleinen Naturgeister namens Krogs, Feenquellen und vieles mehr.
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Die neue Dekade hat ja bereits angefangen und große Rollenspiel-Titel wie „Cyberpunk“ oder „Assassins Creed: Valhalla“ liefern kleine Hinweise, in welche Richtung sich das Genre in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Was beide Spiele eint, ist eine extrem detailreiche und grafikgewaltige Spielwelt. Sehr wahrscheinlich wird sich dieser Trend, der sich bereits in den 2010er Jahren abzeichnete, fortsetzen. Große technische Sprünge oder innovative neue Kampfsysteme sind kaum zu erwarten. Dafür aber jede Menge spannender Geschichten und verzweigte Queststrukturen, die die Spieler einladen, sich komplett auf die Spielwelt einzulassen.