26. Oktober 2018, 15:52 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mürrische Gangster, Pferdemist und Pulverdampf: „Red Dead Redemption 2“ simuliert den Wilden Westen so gut wie es vorher kein Spiel getan hat. Wer das facettenreiche Spiel komplett erkunden will, braucht aber viel Zeit und Geduld.
Romantik. Das ist vielleicht nicht das erste Wort, das Spiele-Fans zu den Titeln von Rockstar Games einfällt. Berühmt-berüchtigt ist das Entwicklerstudio schließlich vor allem durch die eher brachiale „Grand Theft Auto“-Reihe.
Doch das Western-Epos „Red Dead Redemption 2“ zeigt eindrucksvoll, das Rockstar auch anders kann – zumindest ab und zu. Denn natürlich finden sich Elemente anderer Rockstar-Spiele auch im neuen „Red Dead“: Es wird geschossen und geflucht was das Zeug hält, der Humor ist meist rabenschwarz und oft nicht jugendfrei, Gewalt ist eher Alltag als Ausnahme. Doch es gibt auch reichlich ruhige Momente. Und in denen ist das Spiel klar am besten. Beim einsamen Ritt über die Steppe, beim Sonnenaufgang in stillen Wäldern oder wenn einer der Charaktere am abendlichen Lagerfeuer ein Lied anstimmt.
Camp ist Dreh- und Angelpunkt des Spiels
Dass diese Momente so schön sind, liegt auch an der eindrucksvollen Technik von „Red Dead Redemption 2“: Dass sich aus den inzwischen doch recht betagten Konsolen noch derart eindrucksvolle Postkarten-Panoramen herauskitzeln lassen, ist schon eine Überraschung. Die Lagerfeuer-Romantik ist aber nicht nur schöner Schein, im Gegenteil.
Denn das Camp, zu dem das Lagerfeuer gehört, ist Dreh- und Angelpunkt beziehungsweise Herz und Seele des Spiels. Hier haust der Spieler in der Rolle von Revolverheld und Berufsgangster Arthur Morgan mit seiner Gang, hier entspannt er sich nach getaner Arbeit und besorgt sich neue Ausrüstung. Hier hält er Schwätzchen mit seinen Kumpanen oder seinem Boss und Ziehvater Dutch van der Linde – allesamt ausgefeilte Charaktere mit erkennbarem Eigenleben. Und hier erhält er meistens auch die Aufträge für den nächsten Ausritt.
Der Kniff mit dem Camp verschafft dem Spiel einen ganz eigenen Rhythmus, wodurch vor allem der Beginn des Spiels ungewohnt langsam wirkt: Vor und nach jeder dramatischen Schießerei gibt es erst einmal viel Leerlauf, viele lange Gespräche – und wenig Action. Allerdings entsteht so auch erst der Raum, den die Geschichte zum Atmen braucht, ähnlich wie in einer guten Fernsehserie. Und die Geduld zahlt sich aus: Wenn die Story dann nach ein paar Stunden doch an Fahrt aufnimmt, ist sie nämlich umso mitreißender – schließlich sind die Charaktere dem Spieler längst ans Herz gewachsen.
Einfach auch mal nichts los
Den Mut zum Leerlauf hat Rockstar auch in anderen Teilen des Spiels bewiesen: Abseits des Camps gibt es natürlich Dörfer und Bauernhöfe, auch ein paar echte Großstädte, aber vor allem viel unberührte Wildnis. Und anders als in anderen Spielen, bei denen auch im tiefsten Urwald Daueraction herrscht, ist in den Bergen und Wüsten von „Red Dead Redemption 2“ auch einfach mal nichts los.
In der Zivilisation gibt es für Arthur mehr zu tun: Der Spieler kann Poker spielen, die Felle gejagter Tiere verkaufen, an seinen Waffen herumbasteln oder einfach nur quatschen. Denn beinahe jeder Charakter in der Spielwelt lässt sich ansprechen. Oft führt das zu nichts, manchmal bekommt Arthur so aber auch einen Hinweis auf Geheimnisse der Spielwelt oder neue Missionen. Das macht das Spiel unvorhersehbar im besten Sinne: Anders als beim oft etwas seelenlosen Checklisten-Design anderer Spiele weiß man hier nie ganz genau, was hinter der nächsten Ecke wartet.
Ab 17. August Eines der besten Videospiele kommt für die Nintendo Switch
Start, Gameplay, Story, … Alle Informationen und Gerüchte zu GTA 6
TECHBOOK Hands-on Was taugt die Handheld-Konsole Steam Deck?
In vielen Kleinigkeiten nicht mehr zeitgemäß
Der Mut, „Red Dead Redemption 2“ so ganz anders zu machen, zeigt sich auch anderswo – da allerdings mit weniger schönen Ergebnissen. Die Steuerung zum Beispiel ist noch immer so schwergängig wie im ersten „Red Dead“ oder anderen Rockstar-Spielen: Bis sich Arthur oder sein Pferd mal in Bewegung setzen, dauert es oft ein wenig. Und auch viele andere Routine-Aktionen dauern einfach zu lang oder sind nur umständlich auszulösen.
Was auch daran liegt, dass „Red Dead Redemption 2“ kein besonders guter Lehrer ist: Neue Mechanismen und Tricks erklärt es meist mit kleinen Texten am oberen linken Bildrand, und ohne viel Feedback beim Ausprobieren. Das war in den älteren Rockstar-Spielen auch schon so und auch da nur noch halbwegs zeitgemäß. Inzwischen gibt es aber längst elegantere und bessere Mechanismen für diese Tutorials.
Und auch bei den Menüs, dem Nutzer-Interface und vielen anderen Kleinigkeiten ist Rockstar anzumerken, dass die Firma in einer Art Vakuum operiert und die Konkurrenz beziehungsweise deren Ideen komplett ignoriert. Teilweise wirkt das Spiel deshalb etwas aus der Zeit gefallen, manchmal sogar altbacken. Gleichzeitig hat „Red Dead Redemption 2“ so aber auch eine seltene Qualität: Es ist in jeder Hinsicht einzigartig.