23. Juni 2024, 9:50 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Anfang der 1970er-Jahre beginnt die Zeit der Telespiele. Das Spiel „Pong“ von Atari gilt weitläufig als das erste Telespiel überhaupt. Das stimmt allerdings nicht ganz. Im Jahr 1972 bringt Magnavox die Konsole Odyssey in den USA heraus, ein paar Wochen, bevor Atari mit „Pong“ die Spielhallen erobert. Odyssey lässt sich hingegen im heimischen Wohnzimmer auf dem Fernseher spielen. Noch ohne Mikroprozessor an Bord, verkauft sich die erste Spielekonsole am Ende mehr als 350.000 Mal.
In den USA tüftelt Ralph Baer, ein Ingenieur mit deutschen Wurzeln, bereits seit Mitte der 1960er Jahre an einem Gerät, mit dem auf einem Fernseher interaktiv gespielt werden kann. Er und sein Team führen die sogenannte Brown Box ab dem Jahr 1969 mehreren Unternehmen vor. Darunter auch Magnavox, der US-Tochter von Philips.
Die Brown Box ist – wie der Name vermuten lässt – eine schlichte, braune Kiste. In der Box verbergen sich Kondensatoren, Widerstände und Transistoren – elektronische Teile, die sich auch in analogen TV-Geräten befinden.
Der Prototyp von Ralph Baer und seinem Entwicklerteam verfügt nur über eine einzige Spielvariante: Tischtennis. Das erinnert schon sehr stark an das später veröffentlichte „Pong“. Zwei steuerbare quadratische Punkte dienen als Schläger, ein kleineres Quadrat ist der Ball und in der Mitte des Bildschirms befindet sich eine durchgezogene weiße Linie, das Netz.
Odyssey – keine klassische Spielekonsole
Magnavox bekommt schließlich den Zuschlag und alle notwendigen Lizenzen. Ab dem Jahr 1971 beginnt das Unternehmen mit der Produktion einer Konsole für den Heimbedarf. Knapp ein Jahr später, im Frühjahr 1972, präsentiert Magnavox Odyssey, die erste Spielekonsole der Welt – zunächst nur in den USA. Wobei sich Technik-Nerds bis heute wegen der fehlenden Mikroprozessoren um den Begriff „Konsole“ streiten. Schließlich setzt das Gerät komplett auf elektronische Elemente.
Dennoch verfügt Odyssey über eine „Programmier“-Schnittstelle. Das Gerät besitzt einen Schlitz. Dort können verschiedene Karten eingesteckt werden. Dadurch lassen sich unterschiedliche Spielsituationen simulieren.
Allerdings verlangen die ersten Telespiele den Gamern noch viel Fantasie ab. Denn im Grunde tauchen immer nur quadratische Lichtpunkte auf dem Bildschirm auf, die sich, je nach Spielvariante, anders verhalten.
Keine Farbe, kein Sound
Tennis, Tischtennis, American Football, Brett- oder Lernspiele lassen sich mit den verschiedenen Steckkarten am Fernseher spielen. Das Bild ist dabei schwarz-weiß. Sound gibt es keinen.
Dafür gehören zum Lieferumfang von Odyssey dünne, bunte Bildschirmfolien. Diese müssen vor dem Spielen auf den Bildschirm gelegt werden. Dank elektrostatischer Anziehung bleibt die Folie am Bildschirm haften. So kommt zumindest etwas Farbe ins Spiel und das Game-Erlebnis wirkt realistischer.
Die quadratischen Lichtpunkte werden mit zwei aus heutiger Sicht klobigen Kisten gesteuert. An den Seiten befinden sich Drehregler. Damit lassen sich die Lichtpunkte nach oben und unten oder rechts und links verschieben.
Für etwas Abwechslung beim Spiel sorgen zwei weitere Funktionen. An der Rückseite der Konsole lässt sich mit einem Rädchen die Geschwindigkeit des „Balles“ erhöhen. Zudem verfügen beide Steuerungen über einen weiteren, kleineren Drehregler. Damit kann jeder Spieler dem „Ball“ einen Drall verpassen. Dadurch wird es für den Gegner schwieriger, den Lichtpunkt zu treffen.
Knapp 100.000 Odyssey-Geräte werden im ersten Jahr in den USA verkauft. Der Preis lag damals bei 99,95 US-Dollar. Das wären heutzutage inflationsbereinigt etwa 650 Euro.
Odyssey kommt nach Deutschland
Obwohl die damit angepeilte Absatzmarke von 140.000 Geräten verpasst wird, beginnt Magnavox seine Spielekonsole in anderen Ländern zu vermarkten. Das Unternehmen konzentriert sich zunächst auf den europäischen Markt, hier vor allem auf Deutschland.
Im Jahr 1973 taucht Odyssey auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin auf. In Deutschland übernimmt den Vertrieb der Spielekonsole ITT Schaub-Lorenz, eine damals führende Marke im Bereich TV, Radio und Elektrotechnik. Der Ladenpreis für die Odyssey-Spielekonsole liegt bei 400 D-Mark, was heute ungefähr 710 Euro entspräche.
Inzwischen hat Atari sein Videospiel „Pong“ veröffentlicht. Davon profitiert indirekt auch der Absatz der Odyssey-Konsole. Denn das Gerät bietet ähnlichen Spielspaß. Dafür muss allerdings niemand in eine Spielhalle, der heimische Fernseher reicht aus.
Der Boom hält dennoch nicht lange an. Zu rasant schreitet die Entwicklung der Telespiele oder Videospiele, wie sie später genannt werden, voran. Magnavox bringt zwar später noch ein Spiel-Gewehr heraus, mit dem sich Lichtpunkte auf dem Bildschirm abschießen lassen. Doch im Mai 1975 ist die Zeit der Odyssey beendet und die Produktion wird eingestellt.
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Erfolgreiche Pionierarbeit
Spät, allerdings nicht zu spät, erkennt die Geschäftsleitung von Magnavox, welches Potenzial sie mit dem Telespiel-Patent in den Händen halten. Nach zäher Einigung vor Gericht erhält das Unternehmen zumindest von Atari Geld für die Lizenzierung. Für Atari gut investiertes Geld. Denn ab dem Jahr 1977 beginnt mit der Konsole Atari 2600 eine neue Ära im Bereich der Telespiele.
Auch wenn die Odyssey-Konsole nicht mit der Heimkonsole von Atari vergleichbar ist, Magnavox hat den Weg für die Videospiel-Industrie geebnet.