5. August 2024, 16:45 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Im Vergleich zu anderen Kunstformen sind Videospiele recht kurzlebig, was auch an den Herstellern liegt. Wer Videospiele bewahren möchte, sollte deshalb schnell eine neue Bürgerinitiative unterschreiben. Für TECHBOOK-Redakteur Woon-Mo Sung hat es selten eine leichtere Entscheidung im Leben gegeben.
Als Sammler physischer Medien kaufe ich nicht nur um zu genießen, sondern auch um zu besitzen. Natürlich bringt das einige Nachteile mit sich: Der Platz in den eigenen vier Wänden schwindet und bei jedem Umzug droht mein Rücken ein wenig mehr, endgültig in sich zusammenzubrechen. Dafür ist meine Wohnung eine Schatzkammer voll wertvoller Perlen aus Film, Fernsehen, Musik und auch Videospiele. Die Digitalisierung sorgt aber dafür, dass vieles nur noch in Form von Code-Zeilen existiert. Und das hat auch die Bedeutung von Kauf und Eigentum verändert. Wenn Sie, genau wie ich, gerne Videospiele bewahren möchten, sollten Sie deshalb dringend einer neuen Bürgerinitiative ihre Stimme geben.
Übersicht
- Videospiele zu bewahren so schwierig wie nie
- „Stop Destroying Videogames“-Initiative will Videospiele schützen
- So sieht die Rechtslage in Deutschland aus
- Ehrgeiziges Ziel für Erfolg der Initiative nötig
- Es geht nicht nur um Produkte, sondern auch um Kunst
- Fallbeispiel „Spec Ops: The Line“
- Bitte unterschreiben Sie alle „Stop Destroying Videogames“
Videospiele zu bewahren so schwierig wie nie
Vielleicht erinnern Sie sich noch an damals, zu Zeiten des Super Nintendo oder der ersten PlayStation-Generation. Die Verpackung zog Sie schon im Laden in ihren Bann und wenn die Eltern einmal erfolgreich zum Kauf überredet waren, konnte man es kaum noch abwarten, die Folie abzureißen und loszulegen. Die Spielkassette oder CD das erste Mal in Händen zu halten, war immer ein magischer Moment, der unmissverständlich klarmachte: Das ist jetzt meins. Und zwar für immer.
Im Jahr 2024 sieht das etwas anders aus. Digitale Downloads sind allgegenwärtig und punkten mit schneller und bequemer Verfügbarkeit. Das hat aber einen neuen Nachteil mit sich gebracht, den viele nicht antizipiert haben. Denn gehört mir ein digital gekauftes Spiel überhaupt noch? Mehr denn je scheint große Verwirrung darüber zu herrschen, was in diesem Fall das Wort „kaufen“ bedeutet. Eigentlich meinen Spiele-Publisher mit „Verkauf“ in Wahrheit nur die Bereitstellung des jeweiligen Titels wie eine Dienstleistung.
Doch sollte einmal ein Store verschwinden oder die Server werden abgeschaltet, dann war’s das – das bezahlte Spiel ist futsch oder wird zumindest unspielbar, weil eine zentrale Funktion (z. B. Online-Multiplayer) verloren geht. Videospiele bewahren geht so nicht und der zahlende Kunde wird scheinbar seiner Ware beraubt. Stattdessen steht man als Fan plötzlich dumm da. Viele fühlen sich deswegen regelrecht abgezockt – so auch ich.
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„Stop Destroying Videogames“-Initiative will Videospiele schützen
Es kommt immer häufiger vor, dass gekaufte Spiele nicht mehr spielbar sind oder Titel nicht mehr zum Verkauf angeboten werden. Das ist ärgerlich: Entweder man hat bereits sein sauer Verdientes investiert oder hatte eigentlich noch vor, einen tollen, aber älteren Titel auszuprobieren. Bislang scheint es auch kein Mittel dagegen zu geben. Im Falle eines Online-Multiplayer-Spiels würde es dann noch nicht einmal helfen, eine physische Kopie zu besitzen, wenn der Publisher an anderer Stelle die Stecker zieht.
Um dem entgegenzuwirken, hat der YouTuber Ross Scott eine neue europäische Bürgerinitiative mit dem Namen „Stop Destroying Videogames“ mit ins Leben gerufen. Diese richtet sich an Publisher, die Spiele oder dazugehörige Features innerhalb der EU an Verbraucher verkaufen oder lizenzieren. Ziel ist es, sie dazu zu bringen, ihre Titel dauerhaft in einem spielbaren Zustand zu belassen. Und das soll vor allem dann gewährleistet sein, wenn die Hersteller selbst die aktive Unterstützung des Spiels einstellen.
Insbesondere will man die Quasi-Fernabschaltung von Games unterbinden, sofern die Hersteller vorher noch keine Mittel zur Weiternutzung bereitgestellt haben. Aber wie sieht das ganze überhaupt aus rechtlicher Sicht aus? Habe ich nach dem digitalen Kauf eines Spiels (oder eines Filmes, eines Musikalbums) überhaupt das Recht auf dessen zeitlosen Besitz beziehungsweise dessen dauerhafte Inanspruchnahme?
So sieht die Rechtslage in Deutschland aus
Dazu habe ich bei der Anwaltskanzlei WBS.LEGAL nachgehakt und folgende Antwort erhalten:
„Digitale Produkte kauft man nicht wie körperliche Gegenstände, die man dann auf ewig sein Eigentum nennen kann. Sondern man erwirbt eigentlich nur die vertragliche Nutzungsmöglichkeit an dem digitalen Inhalt. Das Vertragsverhältnis ist also viel mehr als beim Kauf von der Ausgestaltung des individuellen Vertrags abhängig. Dabei handelt es sich um eine eigenständige Vertragsart, die im Gesetz auch seit 2021 gesondert geregelt ist.“
WBS.LEGAL
Man kauft also tatsächlich nicht das Produkt selbst, sondern nur die Erlaubnis zu dessen Nutzung. Zudem heißt es, dass „Anbieter einer digitalen Dienstleistung gewährleisten müssen, dass einem das Erworbene für einen Zeitraum zur Verfügung steht, den man vernünftigerweise erwarten kann.“ Eine konkrete Festlegung für die Dauer gibt es nicht, meist gehe man aber von circa zwei Jahren aus, wobei es Ausnahmeregelungen geben kann.
Demnach ist es möglich und vor allem legal, dass Inhalte einem „weggenommen“ werden können. Leider ist dies vielen Verbrauchern beim „Kauf“ nicht bewusst. Laut der Kanzlei sei vor allem wichtig, die Einstellung einer Dienstleistung rechtzeitig anzukündigen.
Ehrgeiziges Ziel für Erfolg der Initiative nötig
Die Initiative „Stop Destroying Videogames“ möchte dem entgegenwirken, indem sie Hersteller und Publisher dazu verpflichtet, Spiele in irgendeiner Form spielbar zu belassen. Sollten genug Stimmen für die Aktion zusammenkommen, stehen die Chancen gut, dass sich die EU mit der Thematik auseinandersetzen wird. Allerdings ist ein sportliches Ziel vorgegeben: Eine Million Stimmen in der Europäischen Union müssen zusammenkommen. Ein erster Meilenstein wurde dabei schon Anfang August erreicht, als die Initiative bereits auf 100.000 Unterschriften kam.
Dabei würde es außerdem nicht reichen, wenn diese theoretisch nur aus einem einzigen Land kämen. Wie Scott in einem Erklärvideo bei YouTube kommentierte, müssen in mehr als sieben Nationen bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, damit auch deren jeweilige Stimmen ins Gesamtergebnis einfließen dürfen. Immerhin ist aber bis zum 31. Juli 2025 Zeit dafür.
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Es geht nicht nur um Produkte, sondern auch um Kunst
Ich persönlich kann nur jedem Videospielliebhaber dazu raten, die Initiative mit einer Unterschrift zu unterstützen. Die Vorstellung, dass sich eine über Jahre aufgebaute, digitale Spielebibliothek einfach auflösen kann, ist der blanke Horror. Und in immer mehr Fällen bleiben mir kaum Optionen, wenn ich ein Spiel nur noch digital erwerben und anschließend nicht behalten darf. Doch der reine Verbraucheraspekt ist für mich dabei nur zweitrangig. Mir geht es darum, Videospiele dauerhaft zu bewahren. Denn mit der Deaktivierung der Spielbarkeit verschwindet nicht einfach nur ein Produkt in der Versenkung – sondern ein Kunstwerk droht, in Vergessenheit zu geraten.
Und Kunst ist nicht nur schön, wenn sie neu ist. An Bedeutung und Relevanz gewinnt sie auch im Laufe der Zeit. In der historischen Einordnung werden deren Bedeutung und Einfluss erst richtig klar und dann sollte es auch möglich sein, sich Jahre später mit ihr zu befassen.
Nicht nur aus nostalgischen Gründen. Sondern auch um das Werk wertzuschätzen und etwas über das Medium zu lernen. Deswegen gehen wir in Kunstgalerien, Film- und Musikarchive oder Retro-Screenings. Gerade in Film und Musik ist es ohnehin schon lange üblich, Klassiker immer wieder neu aufzulegen und in den Verkauf zu bringen. Mit Buchhandlungen muss ich gar nicht erst anfangen.
Fallbeispiel „Spec Ops: The Line“
Deswegen möchte ich auch alte Videospiele spielen können, ungeachtet ihres Alters oder irgendwelcher Konzernüberlegungen. Viele Titel verdienen es, dass sie dauerhaft und für spätere Gamer-Generationen in irgendeiner Form gesichert oder zumindest regelmäßig angeboten werden. Doch noch tut sich die Branche damit schwer. Das Rennspiel „The Crew” wurde vor Kurzem nach einer vorherigen Ankündigung deaktiviert und ist seither nicht mehr spielbar, wie „IGN“ schrieb. Dies war auch ein Grund für die Initiative.
Ein anderes junges und prominentes Beispiel dafür ist „Spec Ops: The Line“. Der 2012 erschienene einflussreiche Shooter gilt als erzählerisch herausragend, da er die Mechanismen des typischen Ballerspiels nutzt, um eine aufwühlende Geschichte über die Schrecken und Traumata des Krieges eindrucksvoll und vielschichtig zu vermitteln. Dabei schlüpfen Spieler nicht in die Rolle des Helden, sondern in die des Täters.
Doch wie unter anderem „4P“ berichtete, verschwand der Titel Anfang des Jahres aus sämtlichen Online-Stores. Als Grund nannte Publisher 2K auslaufende Lizenzvereinbarungen. Zwar sind noch physische Kopien im Umlauf. Wer aber das Spiel jetzt (Stand: 5. August 2024) neu spielen möchte, muss dazu Ebay bemühen. Alle anderen bekommen derzeit keine Chance.
Und das ist ein herber Verlust. Für alle, die das Spiel bisher nicht ausprobieren konnten, aber insbesondere für dieses einzigartige audiovisuelle Erzählmedium der Videospiele selbst. Ist es das beste Game aller Zeiten? Sicher nicht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass „Spec Ops: The Line“ für die Ewigkeit bewahrt gehört. In ein Museum ausgestellt oder in ein Nationalarchiv aufgenommen werden sollte – oder eben auch dauerhaft in digitaler Form. Videospiele machen nicht nur Spaß, sie sind auch kulturell so wichtig wie noch nie zuvor und verdienen eine entsprechend sorgsame Behandlung vonseiten der Hersteller.
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Bitte unterschreiben Sie alle „Stop Destroying Videogames“
Immerhin gibt es Bemühungen, daran langfristig etwas zu ändern. Zum Beispiel gibt es in Berlin, Hamburg oder Hannover Museen, die sich ausschließlich um Video- und Computerspiele drehen. Retrokonsolen wie der Sega Mega Drive Mini bringen klassische Hard- und Software im neuen Format zurück. Nintendo bringt im Zuge des Abos bei Switch Online regelmäßig Games alter Plattformen zurück. Aber es kann und muss mehr getan werden.
Deswegen lautet meine Aufforderung: Wenn Sie Videospiele lieben, unterschreiben Sie unbedingt „Stop Destroying Videogames“. Jede Stimme zählt. Spiele dürfen nicht einfach so deaktiviert werden, obwohl wir dafür Geld bezahlt haben. Sondern auch, um sie für die Zukunft zu erhalten.