31. Juli 2024, 13:31 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Zum ersten Mal seit circa 20 Jahren steigt der internationale CD-Verkauf wieder. Und auch wenn noch unklar ist, ob dies ein letztes Aufbäumen vor dem Untergang ist oder vielleicht auch nur der Anfang von einem neuen Hype – für TECHBOOK-Autor Woon-Mo Sung ist dies Grund zur Freude und ein guter Anlass, in der Sammlung herumzuwühlen.
„Alte Liebe rostet nicht“, lautet die allseits bekannte Redewendung. Nun möchte ich nicht über vergangene zwischenmenschliche Liebschaften und Affären schreiben, aber wenn ich ganz ehrlich bin: Meine wirklich erste große Liebe war die CD. Damals, lange vor Spotify, ja sogar noch vor Napster und Co., starrte ich stundenlang ins Booklet der jeweiligen Alben, während die Silberlinge im Laufwerk ihre musikalischen Runden drehten und Beats und Melodien aus den Boxen tönten. Mittlerweile habe ich auch – recht spät, ich weiß – die Vinylplatte für mich entdeckt. Doch bei der Meldung, dass der CD-Verkauf in mehreren Ländern wieder steigt, lodert eine alte Flamme in mir neu auf.
Übersicht
Auch ich kurble den CD-Verkauf an
Wie genau ich mit der Compact Disc überhaupt das erste Mal in Kontakt kam, weiß ich nicht mehr. Ich gehe aber fest davon aus, dass es eine Mischung aus meinem Bruder, Freunden und den dekorativ in Läden aufgehängten, glänzend-schimmernden Scheiben gewesen sein muss. Aber an meine erste CD, die ich mir von meinem eigenen (Taschen-)Geld gekauft habe und die ich tatsächlich selbst besaß, erinnere ich mich: „Amerikkka’s Most Wanted“ von Ice Cube.
Mein Englisch war – als damals elfjähriger Knirps – kaum vorhanden. Allerdings verstand ich bereits das Wort „Motherf***er“ und auf dem Gangsta-Rap-Album fällt es zuhauf – je mehr „Motherf***er“ desto besser. Der aggressive Sprechgesang und die harten Beats zogen mich direkt in den Bann. Als wir Schüler abwechselnd unsere Lieblingsmusik der Klasse vorstellen sollten, beschallte ich die anderen Kinder und meine (zu meiner Überraschung gar nicht schockierte) Lehrerin mit dem Titeltrack und setzte sie damit vielen englischen Schimpfwörtern aus – was für ein Heidenspaß!
In den darauffolgenden Jahren wurde der CD-Kauf zur persönlichen Obsession. Nicht nur hatte ich große Lust auf neue Musik, sondern ich wollte sie auch besitzen. Je älter ich wurde, desto mehr Taschengeld bekam ich, das in neue Alben oder Compilations investiert werden wollte. Wenn das nicht reichte, wurde ich dreist und erfinderisch: Das Geld für Bus und Bahn habe ich schön gespart und bin dann einfach schwarzgefahren. Manchmal habe ich CDs auch mit anderen getauscht.
Auch später, mittlerweile mit eigenem Einkommen, leistete ich meinen Beitrag zu den CD-Verkaufszahlen. Schließlich neige ich zum Kaufrausch und dann kommt es schon mal vor, dass ich mit einem Stapel aus 14 CDs aus einem Laden spaziere – Rap, Filmmusik, Soul, Rock, fast alles geht.
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Filesharing und Streaming machen dem CD-Verkauf den Garaus
Die CD bot damals viele Bequemlichkeiten, über die man heute kaum noch nachdenkt. Sie ist kleiner und leichter als eine Schallplatte, sie hat keine Bänder, die sich verheddern können wie eine Kassette, dafür schnelles und leichtes Skippen und Vor- und Zurückspulen. Mein persönlicher Favorit war die oft bei Spielern vorhandene Memory- oder Programmierfunktion. Mit der konnte man einfach eine individuelle Playlist der jeweiligen CD einrichten und so nur die Highlights anhören.
Das sind auch heute noch praktische Features. Nur nutzen viele sie ausschließlich digital: Ob auf dem Rechner oder auf dem Handy, im Jahr 2024 konsumieren viele Musik vor allem rein digital, entweder als MP3, FLAC oder direkt als Stream bei Spotify oder anderen Musik-Streaming-Diensten.
Man kann es auch niemandem verübeln, denn wo schon die CD eine große Verbesserung des Abspielkomforts bedeutete, hat der technische Fortschritt beim Streaming noch einen draufgesetzt. Jetzt ist einfach jedes Lied jederzeit und überall verfügbar. Deswegen zeigte die Kurve des internationalen CD-Verkaufs seit knapp 20 Jahren beständig nach unten und ich fürchtete bereits den Tag, an dem ein Saturn oder Media Markt das letzte CD-Regal abbaut.
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Die CD hält noch tapfer durch
Wenn man allerdings nicht ständig auf die Statistiken schaut, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es dem CD-Verkauf eigentlich gar nicht so schlecht geht. Noch immer gibt es in den einschlägigen Ketten oder bei Amazon reichlich Auswahl und auch viele Alben erscheinen immer noch physisch.
Damit läuft es in der Musikbranche gerade noch ein klein wenig anders als im Gaming oder bei Filmen: Große neue Spiele wie „Alan Wake 2“ oder „Hellblade 2“ erscheinen zum Start ausschließlich als Download, ganz zu schweigen von den vielen Indies. Und schon lange kommen bei Netflix und Co. etliche Filme und Serien nur noch als Stream heraus. Nur ausgewählte Titel bekommen noch eine physische Version.
Tatsächlich tut sich aber wieder etwas und innerlich jauchze ich „Halleluja!“. So schrieb der „Guardian“, dass 2023 zum ersten Mal seit zwei Dekaden der CD-Verkauf in Großbritannien wieder steigen würde – immerhin um zwei Prozent. In den USA war es laut „Gitnux“ sogar bereits 2021 so weit. Damals verzeichnete man einen Anstieg der Verkäufe um stolze 47,7 Prozent. Im gleichen Zeitraum ging der CD-Verkauf in Deutschland um 3,4 Prozent und in Südkorea um 9 Prozent nach oben.
Megastars mit Mega-Sammlereditionen und begeisterte Japaner
Aber woher kommt der unerwartete Aufschwung? Dafür gibt es einige Gründe. Wie man beim „Guardian“ andeutet, haben namhafte Künstler wie Taylor Swift oder The Weeknd neue Alben mit teuren, exklusiven Editionen auf den Markt gebracht, für die leidenschaftliche Fans nur allzu bereitwillig ihre Geldbeutel öffneten. Auch Adele oder die K-Pop-Formation BTS trugen wesentlich dazu bei.
Zugleich verhält es sich mit CDs so ähnlich wie mit Vinyl. Immer mehr junge Leute beginnen, physische Medien als etwas zum Anfassen, Hinstellen und Sammeln wertzuschätzen. Zusätzlich sind sie aktuell deutlich günstiger als ihre zumeist 12-Zoll-großen Pendants. Allerdings hat die Inflation auch hier die Preise hochgeschraubt und von daher für höhere Erlöse gesorgt. Dieser Punkt ist auch wichtig: Die Einnahmen sind zwar gestiegen, aber laut „Guardian“ ist zumindest im Vereinigten Königreich die Anzahl der verkauften CDs trotzdem noch rückläufig.
In manchen Nationen scheinen außerdem überdurchschnittlich viele musikbegeisterte Sammler zu leben. So soll 2020 Japan für 70 Prozent der weltweiten CD-Verkäufe verantwortlich gewesen sein, wie „Gitnux“ anführt.
Streaming ist unfair für Künstler
Als Verfechter physischer Medien, der auch wegen des Niedergangs der Blu-ray trauert, freue ich mich sehr darüber, dass CDs, aber auch Vinylplatten noch nicht ganz weg sind. Das kommt auch den vielen Künstlern zugute, die mit dem Verkauf mehr pro verkaufter Einheit verdienen können als pro Stream. Denn auch wenn die Musikindustrie mittlerweile die meisten Einnahmen mit Streaming erwirtschaftet, so bleibt die Verteilung der Gelder in diesem Segment fraglich.
Als Paradebeispiel sei an dieser Stelle Spotify genannt. Der Musikstreaming-Primus schreibt auf einer Supportseite Folgendes:
„Wir berechnen den Stream-Anteil, indem wir die Gesamtanzahl der Streams in einem bestimmten Monat zählen und ermitteln, welchen Anteil an diesen Streams Personen ausmachen, die Musik eines bestimmten Rechteinhabers gehört haben.
Auch wenn du vielleicht etwas anderes gehört hast, Spotify bezahlt Künstler nicht für jede Wiedergabe oder jeden Stream. Die Lizenzzahlungen, die Künstler erhalten, variieren unter Umständen je nach Art und Weise, wie ihre Musik gestreamt wird, oder danach, was sie mit ihren Labels oder Distributoren vereinbart haben.“
Spotify
Das heißt: Künstler werden nicht einfach für die Streams ihrer eigenen Werke ausbezahlt. Stattdessen landen ihre Aufrufzahlen und die von Usern gezahlten Abogebühren in ein und demselben Topf, aus dem dann, je nach Anteil des jeweiligen Künstlers an der Gesamtzahl der Streams, verteilt wird. Spotify behält einen eigenen Anteil, weitere Summen gehen an Verwertungsgesellschaften wie die GEMA. Den größten Teil erhalten die Labels, die von ihren Einnahmen dann die Künstler bezahlen.
Dann kommt es auf die jeweiligen Verträge an, die sie mit ihren Plattenlabels geschlossen haben. Grundsätzlich gilt aber: Zwar sorgen mehr Streams auch für höhere Einnahmen. Allerdings müssen sich kleine und große Künstler denselben Geldtopf teilen, aus dem sich die bekannteren stärker bedienen dürfen. Das heißt, eine Taylor Swift wird immer mehr verdienen als eine Indie-Band, deren Streams trotzdem zum Gesamtwachstum der verfügbaren Summen beitragen, die auch Swift zugutekommen, anstatt direkt von ihnen zu profitieren.
Laut einer Übersicht des ZDF sorgt das aktuelle Auszahlungssystem dafür, dass sich zahlreiche Künstler zum Monatsende nicht einmal eine Tafel Schokolade leisten könnten. Viele würden im Jahr weniger als 1000 US-Dollar durch Spotify verdienen. Laut „iGroove“ kämen pro Stream nur 0,0033 Euro bei Künstlern an. Viele haben auch keine Fans, die sich mitunter nur zum gemeinsamen Musikhören treffen, um ihre Liebsten mit Dauerstreaming zu unterstützen, wie eine Arte-Doku aufzeigt.
Musik verändert sich durchs Streaming
Bislang muss ein Song mindestens 30 Sekunden lang gestreamt werden, um sich für eine Ausschüttung zu qualifizieren. Zudem soll einem Bericht des WDR zufolge Spotify angekündigt haben, dass ein Song in Zukunft mindestens 1000 Streams zusätzlich im Jahr erreichen muss, um das Kriterium zur Ausbezahlung zu erfüllen.
Viele Lieder kleinerer Acts erreichen diese Zahlen nicht. Um also möglichst viele Streams generieren zu können, geht der Trend laut „The Washington Post“ hin zu immer kürzeren Songs. Schließlich sollen sie möglichst oft gespielt werden können, was dann auch wohlwollend vom Algorithmus wahrgenommen wird – das führt wiederum zu noch mehr Streams.
Tatsächlich sind Lieder in den Charts im Durchschnitt nur noch 3:15 Minuten lang. In den 90ern war es noch eine Minute mehr. Kurze Social-Media-Schnipsel tragen ebenfalls zu dem Trend bei, dass Werke schneller und eingängiger auf den Punkt kommen müssen.
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Ich liebe Musik – also liebe ich CDs
Natürlich gibt es auch viele tolle Songs, die kurz und knackig sind. Aber ich finde auch Film- und klassische Musik schön, die traditionell deutlich länger ist. Und auch im Metal und sogar Rap gibt es Stücke, die zehn Minuten locker überschreiten. Eine ausufernde, komplexe Komposition, mit Tempowechseln und emotionalen Höhen und Tiefen – das ist einfach großes Hörkino und eben kein Akustik-Fast-Food.
Ich möchte, dass auch weiterhin Künstler ihre musikalischen Visionen so realisieren können, wie sie es für richtig halten und nicht, weil sie sich einer monströsen Datenmaschine unterwerfen. Auch deshalb unterstütze ich den CD-Verkauf. Nicht nur macht es mir Spaß, Dinge in Händen halten zu können. Ich fühle mich auch insgesamt besser, auf diese Weise einen positiveren Beitrag zur Kunstform zu leisten, als nur aus reiner Bequemlichkeit zu streamen.
Besonders schön ist es, wenn ich über Bandcamp oder ihre Homepages Alben direkt bei den Acts bestelle. Dann kann es mitunter auch zum persönlichen Austausch kommen. Das bietet mir kein Streaming-Dienst der Welt. Auch wenn sie sich meine Aufmerksamkeit und mein Geld mit Vinyl, Blu-rays und physischen Videospielen teilen muss, werde ich der CD die Treue halten.
Tatsächlich habe ich erst gestern nach Jahren spontan einen neuen vollwertigen Player gekauft. Damit werde ich jetzt die Tage den „Final Fantasy VII: Rebirth“-Spielsoundtrack hören – eine Komplettbox bestehend aus acht Scheiben.