5. Februar 2020, 12:30 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
„Through the Darkest of Times“ ist ein wichtiges Spiel, mit dem die Entwickler zeigen wollen, was ziviler Zusammenhalt selbst in so düsteren Zeiten wie dem Dritten Reich in Deutschland bewirken kann.
Das rundenbasierte Strategiespiel „Through the Darkest of Times“ ist am 30. Januar 2020 erschienen. Seitdem diskutiert sich die Gaming-Welt die Köpfe heiß: Braucht es noch ein Spiel über das Nazi-Regime, in dem erneut die düsteren Jahre in Deutschland und sogar Hakenkreuze gezeigt werden? Bekannte Spiele wie zum Beispiel die „Wolfenstein“-Reihe täten das doch bereits zur Genüge. Wer sich auch nur oberflächlich mit dem Spiel des Berliner Indie-Entwicklerstudios Paintbucket Games beschäftigt, stellt allerdings schnell fest, dass es nichts mit den bisher erschienenen Dritte-Reich-Spielen zu tun hat.
Der Widerstand steht im Fokus
Der Plot ist in vier Kapitel aufgeteilt: Hitlers Machtergreifung 1933, der Gipfel 1936 (in diesem Jahr wurde unter anderem der „Reichsführer SS“, Heinrich Himmler, zum Chef der deutschen Polizei bestimmt, die Gerichte wurden dem neu eingerichteten Reichskriegsgericht unterstellt und deutsche Truppen besetzten das Rheinland), der Krieg in den Jahren 1940/41 und letztlich der Zusammenbruch des Regimes 1944/45. Jedes Kapitel umfasst dabei mehrere Runden, die jeweils einer Woche Handlungszeit entsprechen.
Der Spieler ist aktives Mitglied einer kleinen Widerstandsgruppe und dafür verantwortlich, die Aktionen der Gruppe zu planen und umzusetzen. In erster Linie ist also Strategie gefragt und nicht, wie etwa im Ego-Shooter „Wolfenstein“, exzessives Geballer, um ein hochrangiges SS-Mitglied zu eliminieren oder die okkulten Pläne der Nazis zu vereiteln. Stattdessen gestaltet sich das Spiel als ein gut recherchiertes Abbild der Lebensrealität vieler kleiner Widerstandsgruppen, die es in Berlin zu dieser Zeit gegeben hat. Als Anführer der Widerstandsgruppe ist es zum Beispiel Aufgabe des Spielers, Verbündete zu finden, Informationen zu sammeln und die Bevölkerung mit Flugblättern über die wahren Pläne der Nazis aufzuklären.
Der klare Fokus auf den verdeckten Widerstand der Zivilbevölkerung wird schon im Trailer deutlich, wenn eine Frauenstimme sagt: „Als Adolf Hitler 1933 zum Kanzler ernannt wurde, jubelten die Massen – aber wir nicht. Wir wussten, dass nun schlimme Zeiten anbrechen würden. Wir wussten, dass die Drohungen der Nazis keine leeren waren. Dass sie meinten, was sie sagten. Wir mussten etwas tun, wir durften nicht schweigen. Aber wir wussten auch, es kann uns den Kopf kosten (…)“
Und über allem die Frage: Wie hätte ich mich verhalten?
Seinen Charakter kann der Spieler selbst erstellen. Dabei kann er nicht nur das Äußere, sondern auch Beruf und politische Gesinnung festlegen, die zum Teil Auswirkungen auf Quests haben können. So sind bestimmte Aufgaben als Kommunist oder Anarchist einfacher zu lösen. Am Anfang des ersten Kapitels ist die Widerstandsgruppe noch sehr klein; im Laufe des Spiels ist es möglich, sie ordentlich zu vergrößern. Das und auch der erfolgreiche Abschluss von Missionen hebt die Moral der Gruppe und garantiert ihr Überleben bis zum Ende des Krieges. Zwischen den rundenbasierten Quests gibt es regelmäßig eingespielte Visual-Novel-Sequenzen, in denen der Spieler nach dem Multiple-Choice-Prinzip Entscheidungen treffen muss.
Gleich zu Beginn des ersten Kapitels von „Through The Darkest of Times“ wird man beispielsweise Zeuge, wie ein alter Mann mit Kippa von SS-Leuten zusammengeschlagen wird. Nun muss man sich entscheiden, ob man direkt eingreift, flieht oder mit Worten versucht, die Angreifer zur Vernunft zu bringen. Viele dieser Entscheidungen tragen zur Entwicklung der Charakter-Attribute bei und haben außerdem später im Spiel noch Auswirkungen. Und noch viel wichtiger: Der Spieler wird ständig mit der Frage konfrontiert, wie er sich in dieser düsteren Zeit verhalten hätte. Teilweise steht man bei seinen Entscheidungen unter Zeitdruck, die auch Gruppenmitglieder oder unbeteiligte Zivilisten das Leben kosten können. So entsteht ein unübersichtliches, weitverzweigtes Netz an Handlungsmöglichkeiten, über das sich viele Spieler freuen dürften und das sie darüber hinaus fast schon zwingt, sich eindringlich mit dem Plot zu beschäftigen.
Beeindruckender visueller und akustischer Stil in „Through the Darkest of Times“
Gewöhnungsbedürftig aber nichts desto trotz fesselnd ist die Bildsprache des deutschen Spiels. Die Grundfarben Schwarz, Grau und Braun werden fast nur von roten Farbakzenten unterbrochen. Meist agiert man auf einer stilisierten Übersichtskarte Berlins, unterbrochen von den bereits angesprochenen Sequenzen. Die farbliche Konzentration soll, neben der eindrücklichen Bildsprache, die so entsteht, eine Hommage an jene Künstler sein, die von den Nazis als „entartet“ bezeichnet und verboten wurden. Gleiches gilt für die Musik und die generelle akustische Untermauerung der Handlung. Die zurückhaltende Klaviermusik, die vom Berliner Rufus Temple Orchestra eingespielte, den Nazis verhasste, Swing-Musik der 20er Jahre und nicht zuletzt die von der Journalistin Nora Hespers, deren Großvater wegen seines Widerstands gegen die Nazis von diesen umgebracht wurde, eingesprochenen Passagen untermauern die drückende Atmosphäre eindrucksvoll.
Insgesamt vermeiden die Entwickler die in vielen anderen so gerne bediente „Nazi-Ästhetik“ des Dritten Reiches. „Wir wollten kein Leni-Riefenstahl-Spiel sein“, sagt Entwickler und Gründer von Paintbucket Games Sebastian Schulz dazu. Deswegen habe man sich von der expressionistischen Kunst der Weimarer Republik inspirieren lassen. Die explizite Darstellung von Hakenkreuzen im Spiel wird mitunter kritisiert, nicht zuletzt von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Generell ist die Darstellung sogenannter „Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen“ laut §86 des Strafgesetzbuchs nur dann erlaubt, wenn es „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“. Unter diese Klausel fallen auch Videospiele seit dem Jahr 2018, als die USK – Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle – die Einführung einer Einzelfallprüfung beschloss. Damals ging es unter anderem auch um die bereits angesprochene „Wolfenstein“-Reihe, die teilweise in der NS-Zeit angesiedelt ist.
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Positive Reaktionen geben den Entwicklern Recht
Auf der Webseite des Entwicklerstudios, das von HandyGames vertrieben wird und zum Gaming-Kollektiv „Saftladen“ gehört, heißt es unter anderem: „Wir entwickelten ‚Through the Darkest of Time‘, weil wir aufrichtig davon überzeugt sind, dass es nötig ist. Ziviler Widerstand im Dritten Reich ist so ein faszinierendes und wichtiges Thema und Quelle so vieler interessanter Geschichten von wahrem Heldenmut in einer wirklich furchtbaren Zeit, dass wir finden, dass es wirklich eine Schande ist, dass es noch kein Spiel darüber gibt. Wir sind außerdem überzeugt davon, dass die meisten Spiele diese Epoche der Geschichte immer noch unzureichend darstellen und wichtige Aspekte weglassen. Das nationalsozialistische Deutschland wird allzu oft nur als Fraktion gezeigt und seine Ästhetik wird ohne Kommentar oder Kontext verwendet. Spiele sind ein narratives Medium wie Filme oder Bücher und sie können darüber hinaus noch mehr als das, was sie bisher gezeigt haben – wir hoffen, dass TtDoT helfen wird, das Medium voranzubringen und auch andere Entwickler ermutigt, diesen Weg zu gehen.“
Bisher gibt der Erfolg den Machern Recht. Auf der Spieleplattform Steam fallen die Rezensionen absolut positiv aus. Besonders die vielschichtigen Entscheidungen, die in den real-historischen Rahmen eingebettet sind, gefallen vielen Spielern, ebenso die düstere Atmosphäre des Spiels, die den Alltag der Widerstandskämpfer von den ökonomischen Problemen des Geldbeschaffens bis zur existenziellen Bedrohung des Entdecktwerdens zum Leben erweckt.
„Through the Darkest of Times“ gibt es bisher für knapp 15 Euro auf Steam. Weitere Plattformen sollen bald folgen.