19. November 2019, 12:04 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Nie wieder eine Konsole kaufen, immer die beste Hardware haben. Das ist das Versprechen von Googles Cloud-Gaming-Dienst Stadia. Technisch sieht es schon gut aus, doch an anderer Stelle knirscht es noch.
Andere arbeiten noch dran, Google hat es schon. Stadia, eine funktionierende Cloud-Gaming-Plattform. Statt teure Hardware zu Hause zu haben, nutzen Spieler die Google-Rechenzentren. Die Spiele laufen dort, man streamt nur das Videobild auf TV, Computer oder Smartphone.
Stadia wird heute ausgeliefert
Für Vorbesteller der Founder’s Edition, bestehend aus Controller und Googles Streamingstick Chromecast Ultra, geht es am 19. November (18.00 Uhr) mit Stadia los. Sie sollten in den nächsten Tagen ihre Päckchen erhalten. Für diesen Test wurde ein Vorabzugang über die Founder’s Edition von Stadia genutzt.
Stadia kommt unauffällig in einem weißen Pappkarton. Also Packung auf, Controller raus, Chromecast Ultra in den Fernseher stecken, installieren, fertig. Nun, nicht ganz. Zunächst muss man das Konto einrichten und Nutzername sowie Avatar wählen. Dann müssen das Konto und Chromecast Ultra verknüpft werden, schließlich noch der Controller und der Fernseher. Aber wie?
Der Teufel steckt in den Einstellungen
Erst beim zweiten Versuch findet sich in den Chromecast-Einstellungen die richtige Option. Nun erscheint auch der Anmeldecode auf dem Bildschirm. Einmal rechts, X, B, einmal links auf dem Controller drücken. Jetzt kann es endlich losgehen. Wer halbwegs technisch versiert ist, wird daran nicht verzweifeln. Irgendwie beschleicht einen aber der Gedanke: Das geht doch bei Google sonst einfacher.
Am Smartphone ist es das auch. App starten, Controller per USB-Kabel verbinden, loslegen. Ebenso am PC mit Chrome-Browser. Moment, USB? Ja, kabelloses Spielen wird jenseits von TV und Chromecast Ultra erst später möglich sein. Was allerdings gar nicht schlimm ist. Stadia klappt auch mit anderen USB-Controllern.
Und dann sind da noch drei Besonderheiten. Zwar läuft die App auf allen iPhones und Androiden. Spielen kann man aber vorerst nur auf Googles Pixel 3, 3a und 4. Und: Wer schon einen Chromecast Ultra hat, kann damit bis zu einem Software-Update noch nicht Stadia empfangen. Das können nur die in der Founders Edition mitgelieferten Geräte.
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Zum Shop geht es auf Umwegen
Einmal eingerichtet, geht es in den Online-Shop zum Spielekauf. Hier gibt es zum Start 22 Titel, darunter etwa „Assassin’s Creed Odyssey“, das Western-Epos „Red Dead Redemption 2“, die drei jüngsten Spiele der „Tomb Raider“-Reihe, „Just Dance 2020“ oder der Musikpuzzler „Kine“.
Weitere Spiele sollen bis Jahresende folgen. Im Vergleich zu den gut gefüllten Spiele-Bibliotheken von Sony, Microsoft oder Steam ist das noch etwas dürftig, aber Stadia steht ja auch erst am Anfang. Zum Einkaufen oder Einlösen von Codes muss man bislang auf den Computer oder das Smartphone mit Stadia-App wechseln – am TV geht es aktuell noch nicht.
Zwischen 20 und 60 Euro kostet ein Spiel, wobei es Ermäßigungen für Nutzer mit Pro-Abonnement (10 Euro im Monat) von bis zu 50 Prozent gibt. Ein Abo-Dienst für Spiele ist Stadia nicht. Abonnenten erhalten ausgewählte Spiele ohne Zusatzkosten. Die meisten muss man allerdings kaufen.
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Keine Spur von Streamingproblemen
Aber genug mit Einrichtung und Shop gehadert, ab zu den Spielen. Und hier klotzt Stadia mächtig rein. Es ist ziemlich sensationell, dass ein etliche Gigabyte großer Titel wie „Red Dead Redemption“ einfach sofort spielbar ist. Keine Wartezeit beim Download, keine Installation, keine Patches. Stadia heißt hier: kaufen und loslegen.
Auch Ladezeiten und Grafik können sich sehen lassen und bewegen sich nicht auf Konsolenniveau. Ein Vergleich mit einem gut ausgestatteten Gaming-PC ist treffender. Die endlosen Wüstenweiten von „Red Dead Redemption 2“ sehen auf dem Wohnzimmer-TV fantastisch aus, Lara Crofts tempogeladene Hüpfpartie durch den Dschungel Perus in „Shadow of the Tomb Raider“ läuft extrem flüssig in 4K-Auflösung. Kleine Bildstörungen gibt es nur selten.
Damit das klappt, ist natürlich ein guter Internetanschluss nötig. In diesem Test war das System per 50-Megabit-DSL verbunden. Ist dann noch ein halbwegs moderner WLAN-Router im Haus, reicht das völlig aus. Dass hier keine Spielkonsole im Schrank am Werk ist, merkt man nur bei langsamer Internetverbindung oder einem lahmenden Firmennetzwerk. Dann hängt der Stream plötzlich, Klötzchen erscheinen, oder Bild und Eingaben kommen verzögert an.
Es muss allerdings nicht 4K sein. Das gibt es bei Stadia ohnehin nur gegen zehn Euro Abogebühr im Monat. Für Streams in HD-Auflösung (1280 zu 720 Pixel) oder Full HD (1920 zu 1080 Pixel) reichen schon 10 und 20 Megabit pro Sekunde. Ob die Verbindung gut genug ist, ermittelt Googles Geschwindigkeitstest. Wer sich Stadia als Spieleplattform vorstellen kann, sollte auch den eigenen Internetanschluss auf mögliche Datenobergrenzen prüfen. Der Datendurchsatz ist enorm.
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Und dann fehlt da noch was
Neben den Spielen soll Stadia noch alles erhalten, was Spieledienste heutzutage ausmacht. Also Freundeslisten, Verdienste, Streaming und Co. Auch Dienste wie Discord sollen sich einbetten lassen. In der Vorabversion ließ sich das natürlich nicht testen.
Ebenso wenig der Familienmodus zum Teilen gekaufter Spiele. Er folgt nach Angaben von Google erst 2020. Ähnliches gilt für Stream Connect oder Crowd Play. Dabei können sich im aktuellen Spiel Streams von Freunden anzeigen lassen, oder man springt per Knopfdruck aus dem Spiel eines Streamers direkt ins Spiel. Hier gibt es zusammen mit Googles Videoplattform Youtube ein enormes Potenzial für Stadia.
Und dann ist da noch die Cross-Plattform-Frage: Können Stadia-Spieler eines Tages mit ihren Playstationfreunden spielen oder ihre Titel auf Playstation und Stadia spielen? So ganz klar ist das noch nicht. Man arbeite dran, erklärten die Entwickler jüngst in einer Fragerunde auf der Onlineplattform „Reddit“.
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Fazit: Fängt gut an, dürfte noch besser werden
Stadia abschließend zu bewerten, wäre unfair. Schließlich steht der Dienst noch ganz am Anfang. Und ist auch noch keiner breiten Masse zugänglich. Aktuell muss man Käufer einer Founder’s (ausverkauft) oder Premiere Edition (129 Euro) sein, um beim Start dabei zu sein. Das kostenlose Basisangebot startet erst 2020.
Konzentrieren wir uns also auf den technischen Eindruck: Einen entsprechenden Internetanschluss vorausgesetzt, läuft alles gut und flüssig – auf TV, PC und Mobilgerät. Wenn Google nun noch an der Bedienbarkeit arbeitet und die fehlenden Features nachliefert, spricht von technischer Seite gar nichts gegen Stadia – im Gegenteil. Wenn Stadia der Tradition anderer erfolgreicher Google-Dienste folgt und ständig neue Funktionen bekommt, könnte der Konsolenkauf alle vier bis fünf Jahre künftig Geschichte sein.
Der Haken ist aktuell der Spielekatalog. Auch wenn er noch wachsen soll, gibt es woanders momentan einfach mehr Spiele für weniger Geld. Wenn Google hier noch nachbessert, dürfte sich Stadia als gleichwertige Plattform neben Playstation, Xbox, Switch und PC etablieren. Und: Spieler müssen nach aktuellem Stand davon ausgehen, dass sie alle Spiele für Stadia neu kaufen müssen. Eine Übertragung anderer Käufe auf die Plattform gibt es bislang nicht.
TECHBOOK meint
„TECHBOOK konnte bereits die Vorabversion von Mortal Kombat 11 antesten. Mit zwei Controllern ging es gegeneinander in den Ring – ganz ohne einen PC oder eine Konsole. Die Controller liegen erstaunlich gut in der Hand und das Spiel läuft absolut flüssig. Weder Mikroruckler noch „Dropped Frames“, also übersprungene Einzelbilder, treten im Spiel auf. Auch konnten wir optisch fast keinen Unterschied zu den Versionen für Xbox und PlayStation ausmachen. Die Grafik schien sogar etwas besser zu sein, was nicht verwunderlich wäre, schließlich läuft Stadia über High-End Server-Rechner, die selbst den heimischen Gaming-PC alt aussehen lassen. Auch wenn ich feststellen musste, dass ich eine absolute Mortal-Kombat-Niete bin, hat es einfach Spaß gemacht. Allerdings bin ich angesichts der schlechten Internetgeschwindigkeiten in großen Teilen Deutschlands skeptisch, dass sich Stadia in der breiten Masse durchsetzen kann. Aber die steigende Bedeutung von Cloud-basierten Diensten lässt auf ein Umschwenken hoffen.“– Adrian Mühlroth, Redakteur