13. April 2018, 13:08 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Der Commodore 64 war in den Achtzigern DER Kult-Computer in Deutschland. Nun feiert er in einer Mini-Variante mit 64 vorinstallierten Spielen und Joystick sein Comeback. Macht der Oldie auch 35 Jahre später noch Spaß? Der Test von TECHBOOK zeigt es.
1983 hieß der deutsche Fußballmeister HSV, der „Stern“ veröffentlichte die gefälschten Hitler-Tagebücher, Udo Lindenberg sang im Palast der Republik vor DDR-Funktionären – und in Westdeutschland kam der Commodore 64 (C64) in den Handel und eroberte die Herzen im Sturm. Bis zum Produktionsende 1994 gehen allein hierzulande mehr als 3 Millionen Geräte über die Ladentische, es gibt Tausende Spiele und unzähliges Zubehör wie Joysticks, die Datasette, Mäuse und sogar ein Grafiktablett mit Stift.
2018 will das britische Unternehmen Retro Games Ldt. den Hype mit einer geschrumpften Version des liebevoll „Brotkasten“ getauften Heimcomputers wieder auferstehen lassen: Das C64 Mini (90 Euro) kommt mit 64 vorinstallierten Spieleklassikern und einem Nachbau des Competition-Pro-Joysticks und lässt sich per HDMI-Kabel an jeden Fernseher oder Monitor andocken. Aber locken die 35 Jahre alten Spieleschwarten heute noch jemanden vor dem Ofen hervor? TECHBOOK hat sich das Gerät besorgt und es ausführlich getestet – auch im Video:
C64 Mini: Die Hardware
Optisch ist der C64 Mini dem Original nachempfunden, die Tastatur ist allerdings nur ein Fake und funktioniert nicht. Das ist nicht schlimm, denn an der Seite befinden sich zwei USB-Ports, an denen man eine herkömmliche Tatstatur anschließen kann (Vorsicht: Apple-Tatstaturen funktionierten im Test nicht).
Der mitgelieferte Joystick sieht optisch gut aus, erweist sich beim Spielen aber schnell als großer Kritikpunkt: Die Verarbeitung ist mäßig, die Reaktionszeit manchmal träge. Oft muss man den Knüppel schon sehr stark in eine Richtung pressen, bevor sich auf dem Bildschirm etwas tut. Die zahlreichen Knöpfe sorgen zudem schnell für Verwirrung.
Ansonsten spendiert Retro Games noch ein HDMI-Kabel und ein Micro-USB-Kabel für die Stromzufuhr. Schade: Ähnlich wie bei Nintendos Mini-Konsolen fehlt das USB-Netzteil. Jeder, der ein Smartphone hat, sollte aber sicher eines daheim haben.
C64 Mini: Die Spiele
Das Herzstück eines jeden Zockersystems sind jedoch die Spiele – und die C64-Bibliothek ist riesig! Da das System bis heute noch viele Hobbyprogrammierer reizt, gibt es inzwischen rund 10.000 Spiele. Ein Großteil davon ist Software-Schrott, viele sind Mittelmaß und einige inzwischen echte Klassiker. Es wäre nur logisch von Retro Games Ldt., genau diese auf das System zu packen. Doch leider ist das nicht passiert, weshalb die Auswahl der Games auch der größte Kritikpunkt des C64 Mini ist.
Klar, einige große Namen wie „Impossible Mission“, „Speedball“, „Paradroid“ oder „California Games“ sind dabei und machen – trotz ungenauem Joystick – auch heute noch Spaß. Doch der Eindruck bleibt, dass viel Füllmaterial und mäßige Spielhallen-Klone benutzt wurden, um die 64 Spiele voll zu bekommen. Wo bleiben Klassiker wie „International Karate“, „Last Ninja“, „Turrican“ oder Ron Gilberts Adventure-Klassiker „Maniac Mansion“ oder „Zak McKracken“?
Immerhin: Das C64 Mini ist ein weitaus offeneres System als die Geräte der Classic-Mini-Reihe von Nintendo. Wer die Originale noch besitzt, kann sich aus dem Netz das Disk Image von weiteren Spielen herunterladen, auf einen USB-Stick packen und diese dann auf dem C64 Mini starten. Das ist jedoch umständlich (die Dateien müssen einen ganz bestimmten Namen haben, außerdem müssen Sie die Oberfläche der Programmiersprache BASIC öffnen und eine bestimmte Kette an Befehlen eingeben. Eine Anleitung dafür gibt es hier) und bringt weitere Probleme mit sich: Der Stick darf nur ein Spiel haben, was den Wechsel der Spiele umständlich macht. Retro Games Ltd. verspricht zwar, das Problem per Update zu lösen – wann das passiert, steht aber noch in den Sternen. Probleme machen dann auch die zwei USB-Ports: Wenn in einem der Anschlüsse ein Stick mit einem Spiel hängt, bleibt nur noch einer für Tastatur oder Joystick übrig – nicht aber für beide.
Und die Tastatur ist durchaus ein wichtiger Faktor: Manche Spiele-Modi lassen sich im Hauptmenü nur über diese anwählen. Wer keine Tastatur hat, kann zwar auch auf Knopfdruck eine virtuelle einblenden – diese ist aber umständlich zu bedienen und sollte nur im Notfall genutzt werden.
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C64 Mini: Fazit
Eine abschließende Empfehlung abzugeben ist gar nicht so einfach: Retro-Spiele leben von Nostalgie-Gefühlen. Wer in den Achtzigern einen Teil seiner Jugend mit dem Brotkasten verbracht hat, wird gerne über die mangelnde Qualität des Joysticks oder der Spiele hinwegsehen und in wohligen Erinnerungen schwelgen. Diese Zielgruppe wird die 90 Euro für das Gerät auch nicht bereuen.
Alle anderen landen wahrscheinlich schnell auf dem harten Boden der Realität: Viele Spiele sind einfach nicht gut gealtert und machen heute höchstens nach einigen Bier mit Kumpels noch Spaß. Der hakelige Joystick macht das Gesamtpaket leider auch nicht runder, weshalb hier dringend vor dem Kauf zum Probespielen geraten wird.