Wenn Maik Pallasch Musik bei Spotify hört, dann muss er immer aufpassen, dass er mit dem richtigen Profil angemeldet ist. Job und Privatleben – das kann er musikalisch nur schwer trennen. Beim Streaminganbieter Spotify hat er deshalb ein Arbeits- und ein Privat-Profil – denn nur auf diese Weise wird ihm der Algorithmus auch privat passende Songvorschläge liefern.
Pallasch ist der Listenmacher-Chef bei Spotify in Deutschland. In seinem Leben drehte es sich schon immer um Musik, „Musik ist bei mir Ausgangspunkt für alles.“ Früher war er in vielen Clubs und auf Konzerten unterwegs, hat selbst Musik aufgelegt. Schnell lernte er dadurch Leute aus der Branche kennen, die ihm ein Praktikum anboten. Es wird zum Einstieg in das Business, das sein Leben bis heute bestimmt. Er studierte BWL in Hamburg, arbeitete für Sony und BMG. Seit September 2017 arbeitet er für Spotify, hat ein bisschen die Fronten gewechselt, wie er selbst sagt. „Mich haben neue Technologien schon immer gereizt. Ich habe, seit ich denken kann, einen Computer gehabt“, sagt Pallasch. Die Affinität für die Technik habe ihn nicht losgelassen. „Jetzt habe ich beides: Ich kann mich mit Technologie-Themen sowie Daten und Musik auseinandersetzen.“
Mit mehr als 170 Millionen aktiven Nutzern in 61 Ländern ist Spotify weltweit der Riese unter den Musik-Streamingdiensten. 75 Millionen Nutzer sind zahlende Abonnenten. Besonders beliebt bei den Streaming-Kunden sind die Playlists, die nach „Genre“, „Mood“ (also Stimmung) oder „Aktivität“ sortiert sind.
4500 Playlists werden weltweit von 150 Mitarbeitern kuratiert, 450 dieser Listen stammen aus Deutschland. Fünf Redakteure arbeiten in Pallaschs Team daran, die neueste Musik für Listen wie „Top Hits Deutschland“, „Modus Mio“ oder „New Music Friday“ auszuwählen. Jeder von ihnen ist für ein Genre wie Metal oder Hip Hop zuständig.
So entsteht eine Playlist
Der Arbeitsplatz von Maik Pallasch und seinen Kollegen liegt mitten in Berlin nahe des Potsdamer Platzes. Obwohl sich bei Spotify alles um Musik dreht, läuft diese meist nur im Foyer des Büros. Stundenlang Musik hören die Listenmacher an ihrem Arbeitswerkzeug Nummer eins: Kopfhörer. An langen Schreibtischreihen sitzen sie in einem eher unspektakulärem Großraumbüro. Interessanter klingen da schon die Namen der Konferenzräume, etwa „Berghain“ oder „The Wall“. In einem großen Raum mit Bühne finden öfter Livesessions von Musikern statt.
Die Idee für eine neue Liste entsteht meist in einem der Konferenzräume. Das Team um Pallasch überlegt, welche neuen Listen für die Spotify-Hörer interessant sein könnten. Dafür stellen sie neue Hypothesen auf. „Das kann eine bestimmte Stimmung oder Aktivität sein, die wir einfach noch nicht bedient haben, oder ein bestimmtes Genre“, sagt Pallasch. Hierfür analysieren sie ganz unmusikalisch immer wieder die Daten der Hörer, die ihnen sagen, welche Musik sie in welchen Umfeldern wirklich hören wollen. Globale Trends, kulturelle Events wie etwa der Christopher Street Day und die Newslage haben sie dabei auch im Blick. Der plötzliche Tod des schwedischen DJs Avicii war so ein Fall: Das öffentliche Interesse war bei den Spotify-Nutzern hoch, mehrere Playlists gab es ihm zu Ehren.
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Die Macht der Daten
„Daten spielen eine sehr wichtige Rolle bei uns. Wenn es um neue Musik geht, brauchen wir die kulturelle Expertise von Redakteuren, die Musik einschätzen und Playlist-Hypothesen aufstellen können. Sobald die Playlisten live sind, zeigen uns die Daten, wie die Hörer die Listen finden. Das entscheidet darüber, was das Team als nächstes macht“, erklärt Pallasch.
Auch der Algorithmus des Streamingsdienstes ist von großer Bedeutung. Einige Playlist werden allein von ihm bestimmt, wie etwa „Dein Mix der Woche“ oder „Release Radar“. Die redaktionellen Listen werden auf Basis von Daten gepflegt. Es existieren aber ebenso Playlisten, bei denen beide gefragt sind, der Algorithmus und die Fähigkeiten des Redakteurs. Dabei schlägt der Algorithmus neue Songs vor, der Redakteur wählt aus. Das Listenmacher-Team spürt ständig neue Musik auf. Dafür nutzen sie sämtliche Kanäle, die Discovery-Playlisten von Spotify ebenso wie den direkten Kontakt zu allen wichtigen Protagonisten der Musikbranche wie den Künstlern selbst, Managern und Plattenlabels. Die Redakteure kommunizieren weltweit miteinander und sprechen über aktuelle Trends in ihren jeweiligen Regionen.
Für sogennante Genre-Listen sei das Verständnis über die Kultur der Szene besonders wichtig, während es bei den Mood-Playlists eher darum gehe, das Gefühl oder die Aktivität zu verstehen. Etwa bei der Liste „Top of the Morning“ überlegen die Redakteure genau, welche Musik Menschen morgens beim Aufstehen gerne hören würden. „Das sind auf keinen Fall traurige Lieder“, erklärt Pallasch.
„Es gibt Playlisten, bei denen nur ein paar Songs pro Woche ausgetauscht werden. Aber es gibt auch Playlists, die werden jede Woche komplett neu umgestellt“, sagt Pallasch. Ein Beispiel hierfür sei „New Music Friday“, bei der jede Woche 50 neue Songs hinzugefügt werden. Geht eine neue Liste live schaut das Team um Pallasch gebannt auf die Zahlen. Wie viele folgen der Liste? Wie viele Menschen hören sie täglich? Kommt das Cover, die Beschreibung und letztlich die Songauswahl gut an? „Wenn wir richtig liegen, dann ist das für alle ein extrem spannender Moment, der uns motiviert“, sagt Pallasch.
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Sequencing: Die richtige Reihenfolge der Songs
Die Listenmacher wählen aber nicht nur die Songs aus, sie entscheiden auch darüber, in welcher Abfolge diese in der Playlist gespielt werden. „Sequencing“ heißt das. Eine generelle Vorgehensweise gäbe es dabei nicht, der Einzelfall entschiedet. „Manchmal kommen die neuesten Songs nach ganz oben, manchmal die Songs, die am besten performen, teilweise werden neue Songs einfach immer wieder in die Liste eingespielt.“ Vieles habe letztlich mit der Erfahrung der Redakteure zu tun. Der Flow müsse da sein, die Harmonie stimmen, die Songs müssten ineinander übergehen und genau in der Reihenfolge funktionieren. Das Ziel: So wenig übersprungene Songs wie möglich! Die größten Listen werden in Bezug auf Sequencing täglich von den Redakteuren bearbeitet.
Pallasch erklärt Sequencing am Beispiel der Liste „Modus Mio“. Die Redakteure würden die Hypothese aufstellen, die erfolgreichsten Deutschrap-Songs in der Listen zu haben. Ein Teil davon sind neu, die der Redakteur auswählt und hinzufügt. Die anderen Songs stammen von den Daten der Hörer. Kriterien sind hierbei meist gehörte Songs, ob ein Song übersprungen, einer Playlist hinzugefügt oder in die eigene Bibliothek aufgenommen wurde. All das würde zeigen, ob ein Song das Potential für eine nächstgrößere Playlist besitzt.
Detaillierter möchte Maik Pallasch das nicht erklären. Ein bisschen Zauber soll die Playlists wohl noch umgeben.
Der Name ist entscheidend
Ähnlich wie bei einem Produkt ist auch der Name einer Playlist von besonderer Bedeutung. Er kann darüber entscheiden, ob eine Musikliste floppt oder ein Hörer-Hit wird. Gebastelt wird daher von den Redakteuren nicht nur an der Musik selbst, sondern an dem Gesamtpaket, zu dem vor allem der Name gehört. Besonders interessant findet Maik Pallasch unter all den Playlists „ShiSha Club“. „Wir haben diese Musik häufiger privat in Shisha-Bars gehört, da haben wir die Hypothese angepasst“, erklärt Pallasch. Die Mischung aus Dancehall, R&B, Trap und HipHop wurde kurzerhand in „ShiSha Club“ umbenannt. Auch das Umfeld wurde dementsprechend angepasst, Musik noch mehr nach dem Aspekt der Shisha-Bar ausgewählt. Seitdem wurde die Liste viel häufiger angehört, die Nutzerzahlen hätten sich verdreifacht. Ein voller Erfolg. Bei der Playlist „Techno Bunker“ sind die Redakteure neben der Namensänderung sogar noch einen Schritt weitergegangen, haben eine Mood List in eine Genre List umgewandelt. „Techno Bunker“ läuft seit der Änderung besser, wird sogar im Ausland viel gehört.
Wenn Musikhören Arbeit ist
Wie viel Musik er am Tag hört, kann Pallasch nur schätzen. Mindestens vier Stunden sind es immer, bis zu neun Stunden können es sein. Eine präferierte Musikrichtung hat er dabei nicht. Er höre „alles von bis“. Das war aber nicht immer so, früher hat er mehr Nischen gehört: Mit acht Jahren Metal, in den 80er Jahren viel Mainstream-Pop, dann hatte er eine Funk-, Soul- und Ska-Phase, anschließend hörte er viel Techno und elektronische Musik. Am Ende steht die Weisheit: „Je älter du wirst, desto mehr Musik hörst du, desto weniger grenzt du dich von bestimmten Subkulturen ab“, sagt er.
Viel Musik hört er nicht nur im Büro, sondern auch zu Hause. Privat ist das vor allem elektronische Musik, Pop, Indie, HipHop und Mainstream. Als Teamleiter bei Spotify bewege er sich nicht in einem Genre, sondern ist ein Allarounder. Für das Hören von Musik bezahlt zu werden, das klingt wie ein Traumjob und das sei es auch, versichert Pallasch. Aber manchmal braucht auch er eine Pause. „Ich kann nicht den ganzen Tag Musik hören.“ Ein Tag Auszeit sei für Gehirn und Ohren seien wichtig.
Dank Spotify zum Durchbruch?
Am Freitag- oder Samstagabend spielt die Musik für Pallasch meist noch an einer anderen Stelle. Sein Handy klingelt dann deutlich häufiger, weil die Musiklabels anrufen. Spotify-Daten sind zu den Chartsdaten der heutigen Zeit geworden. „Das wird am selben Tag diskutiert“, weiß Pallasch, der beide Seiten kennt. Auf der Seite Spotify for Artists können sich Künstler verifizieren lassen und Einblick in die Datenwelt des Streamingdienstes erhalten. Die Playlists haben in der Musikwelt eine große Dimension angenommen. Selbst die Industrie diskutiere darüber, welcher Anlass genau zu einem Erfolg geführt habe, wie etwa das Hinzufügen zu einer großen Liste.
„Wir können Musik immer nur initial testen. Der Hörer entscheidet am Ende. Aber wir können dafür sorgen, dass wir das richtige Umfeld, die richtige Playlist für einen Song finden.“ Es gäbe Songs, die mehr Zeit brauchen, bis sie gehört werden. „Einige brauchen Monate“, sagt Pallasch.
Dann könnten Playlists ebenso dabei helfen, dass Künstler erfolgreich werden. Das seien die besten Momente in seinem Job: „Menschen, die viel für ihre Musik geopfert haben, sich mit viel Mut für ein Leben als Künstler entschieden haben, dabei zu unterstützen, dass sie ihren Traum leben können.“
Thank you @Spotify for making an official “This is: Dermot Kennedy” playlist! And thank you to everybody listening to my tracks. X https://t.co/AdxfsQwW5P
— Dermot Kennedy (@dermkennedy) 13. April 2018
Tipp für die perfekte Musik
Obwohl er sich die meiste Arbeitszeit mit den Playlisten verbringt, habe er keine Lieblingsliste. Eine, die für ihn aber immer gehen würde, stammt nicht aus der Hand der Listenmacher, sondern wird vom Algorithmus bestimmt: „Dein Mix der Woche“. „Die funktioniert für mich immer sehr gut.“ Und damit Spotify-Hörer hier immer die besten Vorschläge bekommen, hat er noch einen Tipp: „Spotify-Hörer sollten ihr Profil sauber halten und ihren eigenen Account anlegen, mit dem nur sie selbst Musik hören. Nur so funktioniert der Algorithmus gut.“ Auch sollten Nutzer dem Service zeigen, was ihnen gefällt, zum Beispiel durch Speichern eines Songs oder Erstellen eigener Playlists. Dann würden die Hörer mit individuellen Vorschlägen belohnt werden.