29. März 2021, 11:15 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nach „Mulan“ und „Raya und der letzte Drache“ soll nun auch „Black Widow“ parallel zum Kinostart bei Streaming-Anbieter Disney+ landen. Ist dieses Konzept zukunftsfähig? Und wie verändert sich dadurch die Filmbranche und auch unser Verhältnis zum Kino?
Generell hat sich der Abstand zwischen Kino-Start und Streaming-Start in den vergangenen Jahren immer weiter verringert. Dauerte es anfangs, als Netflix gegen Ende der 2000er Jahre endgültig ins Streaming-Geschäft einstieg und es etablierte, noch Monate, wenn nicht gar Jahre, bis Blockbuster auch zu Hause gestreamt werden konnten, so ist die Wartezeit inzwischen deutlich kürzer. Die Pandemie hat diesen Prozess nun beschleunigt und gezwungenermaßen auf die Spitze getrieben. Große Studios veröffentlichen ihre Filme nun teilweise aufgrund der geschlossenen Kinos direkt bei Streaming-Anbietern. Eine Analyse des Konflikts zwischen Kino und Streaming:
Die Menschen streamen immer mehr
Generell hat sich die Streaming-Branche in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Marktriese Netflix etwa knackte unlängst die Marke von 200 Millionen Nutzer*innen weltweit. Corona hat das Streaming-Geschäft weiter befeuert, zum einen, weil die Menschen natürlich an sich mehr Zeit zu Hause verbracht haben, zum anderen, weil die Kinos mit als erste schließen mussten und vielerorts immer noch geschlossen sind. Selbst wenn Öffnungen bald wieder möglich sein könnten, so können die Kinosäle nicht in alter Gewohnheit gefüllt werden. Zusätzlich sind heutzutage auch die technischen Möglichkeiten bezüglich Heimkino deutlich verbessert; die Fernseher sind größer, das Soundsystem besser etc.
Die Lösung war im vergangenen Jahr vermehrt, den geplanten Start im Kino auf die Streaming-Dienste zu verschieben. Parallel fanden und finden auch große Filmfeste wie etwa die Berlinale ebenfalls digital statt. Das hat natürlich den Vorteil, dass das Format mehr Menschen zugänglich ist. Auf der anderen Seite türmt sich die Katastrophe für die Kinos immer höher auf.
Streaming-Dienst Disney+ geht neue Wege mit eigenen Kino-Produktionen
Aktuell sorgt eine Meldung für Schlagzeilen, die Marvel und damit auch Disney+ betrifft. Nach dem epischen Abschluss des MCU Phase 3 in „Avengers 4: Endgame“ (2019) sollte es eigentlich 2020 mit „Black Widow“ weitergehen. Der Film um die von Scarlett Johansson gespielte Superheldin Natasha Romanoff sollte bereits im Frühjahr 2020 über die große Leinwand laufen. Aufgrund der Corona-Pandemie verschob sich das Startdatum dann mehrfach. Aktuell steht der 9. Juli 2021 als offizieller Termin fest, hoffentlich bleibt es dabei. Wie nun im März allerdings bekannt wurde, plant Disney, zu dem Marvel Studios gehört, parallel eine Veröffentlichung auf dem hauseigenen Streaming-Portal Disney+. Ähnlich ging das Unternehmen bereits bei den beiden Filmen „Mulan“ sowie „Raya und der letzte Drache vor“.
Auf Disney+ können Abonnent*innen die Filme dann streamen – gegen eine zusätzliche Gebühr von ca. 21 Euro. Einige Monate später sind die Filme dann Bestandteil des regulären Angebots. Das neue Modell stieß nicht überall auf Gegenliebe. Heftige Kritik gab es vor allem von Kino-Betreibern, die durch diese neue Praxis der Streaming-Dienste zusätzlich unter Druck stehen.
Andere Plattformen ziehen nach
Disney+ setzte im Herbst 2020 mit der Realverfilmung von „Mulan“ scheinbar neue Maßstäbe. Zum einen etablierte der Konzern das Konzept, dass Filmstudios eigene Streaming-Plattformen an den Start bringen. Zum anderen hat sich die Veröffentlichung von Kinofilmen auf diesen Plattformen anscheinend finanziell gelohnt, denn Warner Brothers zog bald nach. Ende 2020 gab das Unternehmen bekannt, alle seine Filme zeitgleich zum Start im Kino auch auf dem kürzlich in den USA gestarteten Streaming-Dienst HBO Max zu veröffentlichen. Noch im Dezember machte „Wonder Woman 1984“ den Anfang. Im Jahr 2021 sollen nun eine ganze Reihe großer Blockbuster folgen, darunter „Godzilla vs. Kong“, „Dune“ sowie „Matrix 4“. Wie Warner in Deutschland, wo es HBO Max bisher nicht gibt, vorgehen möchte, ist nicht bekannt.
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Kino und Streaming verändern sich
Auch ein Blick auf die diesjährigen Oscar-Kandidaten zeigt, dass einige echte Hochkaräter zuerst bei Streaming-Anbietern liefen und inzwischen ein großer Teil der Kandidaten bei Netflix, Amazon und Co. gestreamt werden kann. Dafür setzte die Academy – fürs erste einmalig – die bisher geltenden Regeln außer Kraft, dass Filme nur antreten dürfen, wenn sie mindestens eine Woche im Kino liefen. Der große Gewinner dieser Regel ist mit Blick auf die Nominierungen klar Streaming-Anbieter Netflix, der Verlierer sind die Kinos.
Große Produktionen rechnen sich für die Macher nur, wenn sie die Ausgaben mindestens wieder einspielen. Der bereits erwähnte Marvel-Film „Avengers: Endgame“ etwa kostete in der Produktion stolze 356 Millionen US-Dollar ein. Dem gegenüber steht allerdings ein Einspielergebnis von 2,6 Milliarden US-Dollar, was nur möglich war, weil der Film überall auf der Welt in den Kinos lief und erfolgreich war. Dass das aufgrund der Corona-Pandemie so schnell nicht mehr gehen wird, dürfte inzwischen allen klar sein. Aber sind die Streaming-Dienste die endgültige Lösung? Oder müssen die Produktionsbudgets in Zukunft schmaler ausfallen?
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Streaming-Dienste und Kino-Betreiber sollten an einem Strang ziehen
Um einen Abgesang auf die Lichtspielhäuser zu singen, ist es allerdings noch deutlich zu früh. Denn bei allem technischen Fortschritt kann ein Abend auf der Coach nur schwierig mit einer waschechten Kino-Erfahrung konkurrieren. Außerdem kann es nicht im Interesse der Streaming-Dienste sein, dass es der Kino-Branche schlecht geht. Dafür profitieren Netflix und Co. zu sehr von den großen Produktionen, die dadurch finanziert werden. Das Gleiche gilt für die Studios, auch wenn sie eine eigene Streaming-Plattform haben.
Für die Corona-Zeit und um im Einzelfall den eigenen Anbieter zu vermarkten, mag es deshalb eine gute Idee sein, Filme zeitgleich im Kino und im Stream zu starten. Langfristig kann das aber nicht für alle großen Filmproduktionen gelten, wenn die Studios ihr Verhältnis zu den Kino-Betreibern nicht irreparabel beschädigen wollen. Streaming ist sicherlich ein wesentlicher Teil der Branchenzukunft, da können sich die Kinos auch nicht auf die Romantik des Publikums verlassen. Die Streaming-Dienste sollten aber auch niemals vergessen, wie sehr sie vom Kino und ebendieser Romantik profitieren.