24. September 2019, 21:29 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Viele Lebensmittel landen hierzulande im Müll, obwohl sie eigentlich noch verwertbar sind. Auf der Seite „Sirplus“ kann man deshalb Lebensmittel retten. Doch rechtfertigt das das geforderte Investment?
Ein Unternehmen mit Herz – das möchte das Berliner Start-up „Sirplus“ sein und trägt deshalb sogar ein Herzlogo im Namen. „Heute schon die Welt gerettet und dabei Geld gespart?“, fragt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Genau das ist das Konzept hinter dem Start-up: Verbraucher sollen Lebensmittel retten und dabei Geld sparen können.
Die Zahlen sprechen für sich: Genau diese Lebensmittel möchten die Gründer von „Sirplus“ vor der Mülltonne retten. 2017 haben Raphael Fellmer und Martin Schott „Sirplus“ gegründet. Doch vor allem Raphael Fellmer beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit dem Thema Lebensmittelverschwendung. 2010 begann er seinen 5,5-jährigen Geldstreik, um Bewusstsein für die Lebensmittelverschwendung zu schaffen. Seit 2011, als Raphael die Lebensmittelretter-Bewegung (später foodsharing) gegründet hat, haben er und Martin Schott an der Mission gearbeitet, die Lebensmittelverschwendung zu beenden. Raphael Fellmer war jahrelang als Mülltaucher unterwegs, um Lebensmittel, die von Supermärkten weggeworfen wurden, selbst zu verzehren.
Was wird gerettet?
Allein in Deutschland werden jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Davon sind, laut dem WWF, ungefähr zehn Millionen Tonnen vermeidbar. Davon fallen circa fünf Millionen Tonnen, also rund 50%, beim Endverbraucher, in Deutschlands Haushalten an.
Vor allem zwei Eigenschaften erhöhen die Verschwendung von Lebensmitteln: Schönheitsfehler wie sie etwa eine krumme Gurke hat oder ein abgelaufenes MHD, also wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. „Wir haben verpackte Trockenware, Getränke und Backwaren sowie Obst und Gemüse, kühlpflichtige Waren von Milchprodukten über Fleisch sowie Fertigprodukte uns sogar Tiefkühlprodukte im Angebot. Ebenso haben wir gerettete Kosmetik und andere Dinge des täglichen Gebrauchs für Küche und Bad“, sagt Raphael Fellmer. Und: „Des weiteren retten wir auch Produkte, die aufgrund von Auslistungen, Produktionsfehlern, Verpackungsänderungen oder -fehlern aussortiert wurden.“ Ungefähr 500 Produkte befinden sich im Sortiment.
Wie wird gerettet?
„Unsere Vision ist eine Welt, in der alle Menschen genügend zu essen haben und alle produzierten Lebensmittel auch gegessen werden“, sagt Raphael Fellmer. Die meisten Lebensmittel werden in großen Mengen direkt bei Produzenten, Großhändlern und Logistikern abgeholt. Meistens werden die Lebensmittel aufgrund des MHDs aussortiert. Daneben retten „Sirplus“ Lebensmittel von vier Händlern: Lindner, real, METRO und Edeka. „Unser konventionelles Obst und Gemüse retten wir mehrmals die Woche auf dem Berliner Großmarkt, während wir das Bio Obst und Gemüse von unserem Partner Querfeld beziehen“, sagt Raphael Fellmer. Die Ware kaufen sie für einen geringen Preis und verkaufen diese Lebensmittel anschließend für ungefähr die Hälfte des Ladenpreises an den Konsumenten. „Seit unserer Gründung in 2017 haben wir von SIRPLUS circa 2.000 Tonnen Lebensmittel gerettet“, sagtRaphael Fellmer.
So funktioniert der Online-Shop
In dem Onlineshop des Unternehmens werden verpackte und nicht gekühlte Lebensmittel angeboten. Verbraucher aus Deutschland könne auf diese Weise durch den Kauf von Lebensmitteln auf der Seite dabei helfen, dass diese gerettet, demnach nicht weggeschmissen werden. „Wir bieten dort verschiedene Retterboxen an, die man einzeln oder auch im Abo bestellen kann und dann versandkostenfrei nach Hause geliefert bekommt. Die meisten Lebensmittel die verpackt sind und nicht gekühlt werden müssen, sind in der Regel viele Monate aber auch teilweise Jahre nach Ablauf von dem Mindesthaltbarkeitsdatum noch bestens genießbar“, erklärt Martin Schott.
Neben dem Onlineshop gibt es auch drei Rettermärkte in Berlin, also Supermärkte, in denen gerettete Lebensmittel gekauft werden können. Verbraucher können dort Bio- sowie Nicht-Bio-Lebensmittel erwerben.
Nimmt „Sirplus“ den Tafeln etwas weg?
Die Idee, Lebensmittel vor der Tonne zu retten, ist nicht neu. Seit 26 Jahren retten die Tafeln deutschlandweit Lebensmittel, um sie an bedürftige zu verteilen. Nimmt „Sirplus“ auf diese Weise den Tafeln Lebensmittel weg – und damit auch den Bedürftigen, die auf die Lebensmittelspende der Tafel angewiesen sind? „Bei uns gilt ausnahmslos die Tafel-First-Regel“, sagt Martin Schott. Dies bedeute, dass neue Partner immer darauf hinweisen werden, dass die Tafeln mit der Mission nur ergänzt werden sollen und diese immer Vorrang habe. „Wenn es also um einen Betrieb geht der schon mit der Tafel kooperiert, holt die Tafel meistens als erstes ab und wir retten nur das, was die Tafel nicht abholen kann oder möchte. Des Weiteren kaufen wir unseren Partnern die Lebensmittel nur für einen sehr geringen, symbolischen Preis ab. Damit möchten wir verhindern, dass der Anreiz, die Lebensmittel zu verkaufen statt zu spenden so gering wie möglich ist“, erklärt Martin Schott.
Die Gründer erhoffen sich ein Investment von 700.000 Euro für sechs Prozent der Anteile an ihrem Unternehmen.
So lief der Auftritt in der Sendung
Die Löwen zeigen sich sehr interessiert an den Lebensläufen der beiden Gründer. Carsten Maschmeyer will es ganz genau wissen, er möchte die Einkaufspreise, die die Gründer für die Lebensmittel an die Supermärkte zahlen, genannt bekommen. Bei Obst und Gemüse vom Großmarkt seien die Preise deutlich geringer als die von Supermärkten, erklärt Raphael Fellmer. Als Beispiel nennt er Obst, dass er für 2,50 Euro einkauft. Verkauft wird die Ware anschließend 50 Prozent günstiger als im Einzelhandel.
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Georg Kofler: „Moralaposteln, die die Welt retten wollen“
Investor Nils Glagau zeigt sich verwundert über die hohe Eigenbewertung des Unternehmens. „Woher kommt diese hohe Bewertung?“, fragt Glagau. „Sirplus“ sei bereits ein etabliertes und erfolgreiches Unternehmen, entgegnen die Gründer. Allein im vergangenen hätten sie 1,2 Millionen Euro Umsatz gemacht und 100.000 Kunden. Löwe Georg Kofler zeigt sich irritiert von der Idee. „Was mich fundamental stört, ist euer moralisierendes Schöngerede von eurem Geschäftsmodell“, sagt Kofler. Sie würden Lebensmittel lediglich billig einkaufen und dann teuer verkaufen. Dabei würde es sich um ein normales kaufmännisches Geschäft handeln. Wie „Moralaposteln, die die Welt retten wollen“ würden Martin Schott und Raphael Fellmer auftreten, kritisiert Kofler weiter. Auch die Bewertung würde sie als „obergierige Kapitalisten“ entlarven.
Auch Maschmeyer befindet die 11-Millionen-Bewertung von „Sirplus“ für zu hoch. „Das ist jetzt so ein Bruch vom Geldstreik bis zu 26-Millionen-Gewinn, diesen Widerspruch kriege ich nicht gewechselt“, erklärt Carsten Maschmeyer und steigt aus dem Deal aus. Ralf Dümmel findet das Thema Lebensmittelverschwendung wichtig, geht aber in den Geldstreik und steigt nicht ein. Raphael Fellmer nutzt die Gelegenheit und ergreift noch einmal das Wort. Die Lebensmittel könnten allein auf freiwilliger Basis nicht in dieser Form gerettet werden, deshalb sei ein unternehmerischer Ansatz wichtig. „Aber uns beiden sowie dem gesamten Team geht es nicht ums Geld“, beteuert Fellmer. So richtig glauben will das aber nun keiner der Löwen mehr.
„Wenn man mit so einer Bewertung hier reinkommt, heißt das für mich persönlich, ihr habt nicht so ein großes Interesse auf einen Löwen, auf einen Deal, sondern ihr habt vielleicht eher das Interesse, wir bringen die Botschaft weit in die Welt“, mutmaßt Nils Glagau. Er will keinen Deal eingehen, wie auch alle anderen möglichen Investoren in der Höhle der Löwen.
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Gründer nach der Sendung
Nach ihrem Auftritt seien die beiden Gründer enttäuscht gewesen. Sie hätten nicht erwartet, dass die Löwen das Potential ihres Unternehmens nicht erkannt hätten. Der wirtschaftliche Aspekt ihres sozialen Unternehmens sei zu sehr in den Fordergrund gerückt wurden. „Wir haben auch explizit in der Aufzeichnung und danach auch nochmal mit Amiaz darüber gesprochen, dass wir, wenn „Sirplus“ in Zukunft Gewinne abwerfen sollte, von diesen mindestens 80 Prozent in soziale bzw. nachhaltige Projekte, Firmen und Organisationen stecken werden“, sagt Raphael Fellmer gegenüber TECHBOOK. Generell sehen die Gründer ihren Auftritt aber positiv, schließlich helfe die mediale Berichterstattung dabei, das Thema in der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu rücken. „Außerdem erhöht die Berichterstattung zum Thema den Druck auf Handel und Produzenten, nachhaltiger zu agieren und das Thema in der Prioritätenliste immer weiter nach oben zu rücken“, sagt Fellmer.